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24.03.2010
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner: Ein Jahr Kultusministerin Henzler – ein verlorenes Jahr für Hessens Schulen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kultusministerin Henzler ist dieser Tage etwas mehr als ein Jahr im Amt. Ich habe eine ganz einfache Frage: Hat sich eigentlich wirklich irgendetwas an unseren Schulen in den letzten zwölf Monaten verändert? – Meine Damen und Herren, das ist eine ganz einfache Frage. Alle, die mit Lehrerinnen und Lehrern, die mit Schülerinnen und Schülern sowie die mit Eltern in unserem Land sprechen, werden auch eine ganz einfache Antwort geben: Nein, es hat sich an unseren Schulen nichts geändert, seit Kultusministerin Henzler im Amt ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der FDP)

Herr Kollege Greilich, der von der FDP im Wahlkampf versprochene Aufbruch für Hessens Schulen ist schlicht und ergreifend ausgeblieben. Es geht leider einfach weiter so mit den gescheiterten Konzepten, die wir schon in den vergangenen zehn Jahren in Hessen kannten.

Es gilt leider eine ganz einfache Wahrheit: Da, wo Dorothea Henzler draufsteht, sind weiter Karin Wolff und Hans-Jürgen Irmer drin. So ist es: kein Aufbruch, keine Veränderung durch die FDP.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Deshalb sagen wir: Das erste Jahr von Kultusministerin Henzler war leider ein verlorenes Jahr für Hessens Schulen.

Frau Ministerin, es ist Ihnen leider nicht gelungen, Antworten auf die zentralen Fragen unseres Bildungssystems zu geben. Wir alle wissen, dass wir in Deutschland und in Hessen – es ist kein rein hessisches Problem, sondern ein Problem der gesamten Bundesrepublik – eine viel zu hohe Abhängigkeit des Bildungserfolgs der Schülerinnen und Schüler vom sozialen Hintergrund ihrer Eltern haben. Das ist ein Problem, das wir in allen Bundesländern haben, aber auch in Hessen. Da kann man aber doch erwarten, dass eine neue Kultusministerin sich einmal dazu äußert und auch Konzepte dazu hat, wie sie das ändern will. Frau Ministerin, Sie haben sich in Ihrer Amtszeit bislang noch nicht einmal dazu geäußert, geschweige denn haben Sie Antworten, wie Sie diese extreme soziale Schieflage, diese elementare Ungerechtigkeit in unserem Land ändern wollen. Deshalb ist Ihr erstes Jahr ein verlorenes Jahr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die PISA-Studie sagt uns, ein Fünftel aller Schülerinnen und Schüler unseres Bundeslandes verlässt unsere Schulen so, dass sie voraussichtlich erhebliche Schwierigkeiten bei der eigenverantwortlichen Gestaltung ihres Lebens und auf dem Arbeitsmarkt haben werden. Ich wiederhole: ein Fünftel aller Schülerinnen und Schüler.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Frau Henzler, auch zu diesem Thema haben Sie sich im ersten Jahr Ihrer Amtszeit kein einziges Mal geäußert. Zu diesem Komplex haben Sie keine einzige Antwort darauf gegeben, wie Sie das ändern wollen. Deshalb haben Sie im ersten Jahr Ihrer Amtszeit schlicht Ihren Job verfehlt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir können uns das sehr konkret anschauen, auch in einzelnen Projekten. Frau Ministerin, es ist nicht nur so, dass Sie keine Antworten auf die großen Fragen des Bildungssystems hätten,

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

sondern Sie haben selbst in den Bereichen große Probleme, wo Sie die Unterstützung des gesamten Hauses haben. Das muss man als Ministerin erst einmal hinkriegen. Sie haben beispielsweise bei der Einführung der Bildungsstandards, also auf dem Weg hin zu kompetenzorientiertem Lernen, weg von detailistischen Vorgaben im Lehrplan, die Unterstützung des gesamten Hauses. Selbst dieses Projekt kriegen Sie nicht hin. Selbst dieses Projekt mussten Sie aufgrund der dilettantischen Vorbereitung im Kultusministerium stoppen. Sie kriegen noch nicht einmal, wenn Sie von der Opposition und von der Regierung unterstützt werden, Ihre Projekte hin. Das ist eine ganz schlechte Entwicklung für unsere Schulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Nehmen wir das Thema G 8, weil Kollege Rentsch mich eben so freundlich angesprochen hat. Herr Kollege Rentsch, ich habe sehr genau gelesen, was im 100-Tage-Programm der FDP gestanden hat. Die FDP hat den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes versprochen: In den ersten 100 Tagen werden wir weitere Veränderungen und weitere Entlastungen am G 8 auf den Weg bringen.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Wir sind jetzt über ein Jahr nach der Landtagswahl, und es ist überhaupt nichts geschehen. Deshalb sage ich, die FDP ändert an der Bildungspolitik in diesem Land überhaupt nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Frau Ministerin, nehmen wir das Thema Ganztagsschulen. Auch das ist etwas, wo Sie von den einen Fraktionen hier im Haus, also von SPD und GRÜNEN, etwas stärker unterstützt werden als beispielsweise von der CDU. Da hätten Sie unsere Unterstützung.

Da läuft die Ganztagsschulrichtlinie in diesem Land letztes Jahr aus. Die Regierung hat alle Richtlinien befristet, um sie zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Jetzt könnte man von einer neuen Kultusministerin erwarten, dass sie das Auslaufen dieser Richtlinie zum Anlass nimmt, um tatsächlich zu beschreiben, wo sie mit den Ganztagsschulen hin will, wie sie sie weiterentwickeln will. Stattdessen wird diese Richtlinie einfach unverändert fortgeschrieben. Es wird eine Kommission eingesetzt. Bis heute wissen die Schulen nicht: Wie soll es mit dieser Landesregierung beim Thema Ganztagsschule eigentlich weitergehen? – Frau Ministerin, was machen Sie eigentlich den ganzen Tag? Man muss wirklich langsam fragen: Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU – und des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Dann nehmen wir Ihr Projekt, das Sie in Ihrer Regierungserklärung als das zentrale Projekt Ihrer Amtszeit genannt haben: die selbstständige Schule. Auch das ist ein Projekt, wo Sie mit Ausnahme der Kolleginnen und Kollegen der LINKEN das gesamte Haus hinter sich haben.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

– Frau Wissler, ich bin nett zu Ihnen. Ich erwähne ausdrücklich, dass Sie diesen bildungspolitisch richtigen Ansatz für falsch halten. Das müssen Sie mit sich ausmachen. – Sie haben in dieser Frage das gesamte Haus mit Ausnahme der Kolleginnen und Kollegen der LINKEN hinter sich. Und was haben wir nach einem Jahr an konkreten Ergebnissen? – Gar nichts. Es gibt gar keine Verbesserung für die Schulen in diesem Fall.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Im Gegenteil – Herr Kollege Rentsch, weil Sie mich wieder so freundlich ansprechen –:

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Selbst die Schulleiterinnen und Schulleiter der beruflichen Schulen, die sich im Modellversuch Selbstverantwortung plus schon auf den Weg gemacht haben, selbst die Schulleiterinnen und Schulleiter der anderen beruflichen Schulen, die sich gern auf den Weg machen wollen, die also Vorreiter in dieser Entwicklung sind, sagen jetzt: Wenn das mit Frau Henzler so weitergeht, dann wird dieses Projekt scheitern. – Frau Ministerin, Sie sind auf dem Weg, ein Projekt, bei dem Sie vier Fraktionen dieses Landtags unterstützen, das zentrale Bedeutung für die Verbesserung der Bildungsqualität in unserem Land hat, schlicht und ergreifend an die Wand zu fahren, weil Sie Ihr Haus nicht vernünftig führen können. Man hält es kaum für möglich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich weiß, ich soll auch einmal etwas Positives über Karin Wolff sagen. Ich tue das gern. Karin Wolff hat zehn Jahre gebraucht, um Lehrkräfte derart gegen sich aufzubringen, wie Sie das mit den Schulleiterinnen und Schulleitern der beruflichen Schulen in nur einem Jahr geschafft haben. Ich glaube, das ist kein gutes Zeichen für Sie, Frau Ministerin.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Selbstständige Schule ist Ihr Mantra, das Sie vor sich hertragen, das wir auch ausdrücklich richtig finden. Aber dann schauen wir einmal, was Sie gemacht haben, Frau Ministerin. Die erste und bislang einzige Schulgesetzänderung dieser Kultusministerin war die Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die Neugründung von integrierten Gesamtschulen.

(Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

Was hat das eigentlich mit selbstständiger Schule zu tun, dass Sie wieder von Wiesbaden aus sagen, wann sich integrierte Gesamtschule gründen können oder nicht? Frau Ministerin, was hat das mit selbstständiger Schule zu tun?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Dann schauen wir uns das neue Mittelstufenkonzept dieser Landesregierung an, also ein neues Türschild für die Haupt- und Realschulen. Bis ins Detail soll den Schulen wieder vorgeschrieben werden, was sie in Klasse 5, Klasse 6, Klasse 7, Klasse 8 und Klasse 9 zu tun haben – bis ins Detail.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Was hat das eigentlich mit selbstständiger Schule zu tun? Wovor haben Sie eigentlich Angst, Frau Ministerin: die Schulen wirklich in die Freiheit zu entlassen, die Schulgemeinden vor Ort tatsächlich entscheiden zu lassen, ob sie längeres gemeinsames Lernen anbieten wollen oder ob sie das pädagogische Konzept des gegliederten Schulwesens annehmen wollen? Wovor haben Sie Angst? Warum müssen Sie wieder im Gesetzblatt versuchen, Ihre Welt durchzusetzen? Das hat mit selbstständiger Schule überhaupt nichts zu tun, was Sie im ersten Jahr Ihrer Amtszeit gemacht haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Meine Damen und Herren, erinnert sich eigentlich noch jemand an das Wahlversprechen der FDP: 105 Prozent Lehrerversorgung? – Ja, es erinnern sich sehr viele Menschen daran, nämlich alle diejenigen, die jeden Tag an den Schulen feststellen, dass von diesem Wahlversprechen überhaupt nicht gehalten wurde, dass es noch nicht einmal einen ersten Schritt in diese Richtung gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Es kommt noch viel besser. Selbst das, was Ihre Vorgänger Richtiges gemacht haben, also die von Staatsminister Banzer angekündigte Drittelfinanzierung für die Schulsozialarbeit, ein wirklich gutes Projekt, haben Sie rückgängig gemacht. Frau Ministerin, es ist wirklich an der Zeit, dass Sie und die Vertreterinnen und Vertreter von CDU und FDP in sich gehen und einmal überlegen, ob es wirklich die nächsten vier Jahre in der Bildungspolitik so weitergehen kann.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Wagner.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Mathias Wagner:

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Ich kann nur an die Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP appellieren: Setzen Sie sich heute Abend einmal hin, machen Sie es bei einem Glas Bier, bei einem Glas Wein oder bei dem Getränk, wo es hilft, aber überprüfen Sie diese Bildungspolitik. Denn so darf es mit dieser Kultusministerin nicht weitergehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Wagner.

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