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04.03.2015
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Versorgungsstärkungsgesetz

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Morgen wird der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung in den Bundestag eingebracht. Die FDP zieht diese erste Lesung sozusagen heute im Hessischen Landtag vor. Ein bisschen Verständnis habe ich dafür, da sie an der morgigen Debatte im Bundestag nicht teilnehmen können. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, deswegen machen wir das heute im Landtag. Diese Freude haben wir noch weitere drei Jahre, da sie es im Bundestag nicht tun können. Wir sind ein sehr weltoffenes Land, deswegen führen wir hier die Debatten darüber sehr gern.

Allerdings darf darüber nicht hinwegtäuschen, dass die FDP – dafür habe ich weniger Verständnis – ein Bild an die Wand geworfen hat – Herr Rentsch, das haben sie eben zehn Minuten lang vorgetragen –, das vergessen machen soll, dass sie von 2009 bis 2013 selbst den Gesundheitsminister gestellt haben.

Das ist für mich schon ein bisschen unverständlicher; denn bei dem, was Sie zu den Fragen Überversorgung, ländlicher Raum und Wartezeiten festgestellt haben, frage ich Sie, was Sie eigentlich vier Jahre lang im Bund gemacht haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Nun sind wir als GRÜNE nun wahrlich nicht in der Situation, diesen Gesetzentwurf der Großen Koalition verteidigen zu müssen. Davon sind wir weit entfernt. Wir kümmern uns tatsächlich umfangreich darum, wie wir im Land intervenieren können. Ich glaube, dass CDU und GRÜNE auch ganz gut aufgestellt sind.

Spannend ist aber doch, was die FDP einerseits für ein Szenario an die Wand geworfen hat um andererseits, wenn man sich mit der Materie beschäftigt, doch nur erstaunt zur Kenntnis nehmen zu können, dass nur die Hälfte davon eigentlich richtig ist.

Natürlich gibt es positive Ansätze. Lassen Sie mich eines sagen: Bisher haben sich auf Bundesebene in der Regel CDU und FDP hartnäckig geweigert, überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, dass es unter Umständen überhaupt zu einer Unterversorgung kommen kann oder überhaupt zu Wartezeiten. Hier sei immer wieder Jens Spahn zitiert. Er hat als gesundheitspolitischer Sprecher der CDU immer wieder gesagt, es sei eine reine, pure Neiddebatte. Ich finde es gut, dass die Bundesregierung auch zur Kenntnis nimmt, dass es Wartezeiten gibt und wir dagegen anarbeiten müssen. Das ist ein freudiges Ergebnis.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen, dass wir ein großes Problem haben. Viele Menschen draußen im Land haben das Gefühl bzw. empfinden eine Lebensrealität mit langen Wartezeiten bei Fachärzten. Das korrespondiert überhaupt nicht mit den Meldungen, es gebe eine unglaubliche Überversorgung. Da setzt auch unser Kritikpunkt an: Wir müssen dringend an die Bedarfsplanung heran; denn wir können nur dann gesichert von einer Überversorgung sprechen, wenn die Bedarfsplanung tatsächlich so gründlich, unabhängig und wissenschaftlich durchgeführt wurde, dass wir überhaupt von einer Überversorgung sprechen können. Wenn da zum Teil Daten aus dem Jahr 1991 verwendet werden, um dann zu sagen, wir hätten jetzt, über 20 Jahre später, eine Überversorgung in einigen Bereichen, finden wir dies dringendst überarbeitungsbedürftig, bevor wir wirklich gesichert von Überversorgung sprechen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens ist schon jetzt klar – das möchte ich noch einmal definitiv für die GRÜNEN im Land wie auch im Bund klarstellen –, dass im Bereich der Psychotherapeuten ein Abbau von Praxen völlig falsch wäre. Hier spiegeln die zugrunde liegenden Zahlen nicht den wirklichen Bedarf wider. Noch einmal: Wenn man sich vergegenwärtigt, wie es damals nach der Wende zuging und dass es in der damaligen DDR viel weniger Praxen für Psychotherapie gab, darf man auf keinen Fall die damaligen Zahlen zugrunde legen. Das wäre in der Tat ein Debakel für die psychotherapeutischen Plätze auch in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist es richtig, sich dieser Frage anzunehmen. Ich glaube auch, dass der Aufkauf – wenn es denn dazu kommt, dass man die Überversorgung feststellt – eine richtige Möglichkeit sein kann. Das heißt noch lange nicht, dass dieser aufgekaufte Platz auch tatsächlich auf das Land zieht, da ist eine andere Frage. Wird der Anreiz hoch genug sein, tatsächlich im ländlichen Raum eine Praxis zu eröffnen? Das ist eine Frage des demografischen Wandels, und auch die damit einhergehenden Fragen – ob es dort genug Kinderbetreuung oder kulturelle Angebote gibt, ob der Lebenspartner einen Arbeitsplatz findet oder die Mobilität sichergestellt ist, und vieles andere mehr – sind das Kernproblem, warum immer weniger Menschen aufs Land ziehen, weil immer weniger Patienten dort wohnen und dann auch immer weniger Ärzte dorthin ziehen.

Dieses Problem müssen wir im Zuge des demografischen Wandels gezielt angehen, dann wird auch sicherlich eine Möglichkeit für die Schaffung von Anreizen bestehen, damit wieder mehr Ärzte aufs Land gehen. Das Pferd aber nur von hinten aufzuzäumen, wäre aus unserer Sicht falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass eine verlässliche Gesundheitsversorgung und der Zugang aller zu guten Gesundheitsleistungen zentrale Ziele einer guten Gesundheitspolitik sein müssen. Das ist überhaupt keine Frage.

Wenn man aber die Bedarfsplanung angeht, muss es auch klar sein, dass man nicht zu kurz springen darf. Es genügt nicht nur, zu gucken, wie viele Menschen dort leben und es genügt auch nicht, das zu dividieren und mit einer Arztzahl zu multiplizieren. Vielmehr geht es darum, auch eine stärkere, sektorenübergreifende Planung anzugehen.

Ich will das einmal beschreiben: „Vorausschauend“ heißt für uns, dass ambulante und stationäre Kapazitäten zusammen betrachtet werden, dass auch demografische Gegebenheiten und auch Geschlechts- und Altersverteilung stärker abgebildet werden. Auch einzelne Fachgruppen müssen viel differenzierter geplant werden – etwa konservativ oder operativ tätige Augenärzte sind da ein Unterschied. Oder auch andere Spezialisierung bei Internisten, von Kardiologen angefangen bis hin zu anderen Fachrichtungen.

Dies alles muss deutlich differenzierter betrachtet werden, bevor man tatsächlich sagen kann, dass dort eine Überversorgung vorhanden ist. Das ist eine vorausschauende Bedarfsplanung, und die gibt es auch im neuen Gesetz nicht. Diese Kritik müssen sich SPD und CDU auf Bundesebene auf jeden Fall anhören, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich finde, diese moderne Bedarfsplanung ist überfällig. Aber es ist auch überfällig, die Frage anzugehen, warum es denn so lange Wartezeiten gibt. Eine ehrliche Antwort ist doch: Wartezeiten gibt es nicht für alle. Wartezeiten gibt es vor allem für die gesetzlich Krankenversicherten, unerträglich lange. Wenn Sie sich Meinungsumfragen von den privat Versicherten ansehen, werden Sie kaum von Problemen mit Wartezeiten lesen. Deswegen geht es bei der Frage der Wartezeiten auch darum, wie wir endlich eine wirkliche Gleichbehandlung von Kassen- und Privatpatienten schaffen.

Ich würde gerne auch bei der SPD – auch etwas lauter – einmal die Diskussion über die Frage hören, wie wir zu einer Bürgerversicherung kommen, die tatsächlich eine Gleichbehandlung von Kassen- und Privatpatienten gewährleistet. Wir brauchen eine Bürgerversicherung in Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch diese Frage wird nicht angegangen. Ich habe bereits gesagt, dass mehrere Studien bzw. Untersuchungen gezeigt haben, dass die Wartezeiten für kassenärztliche Patienten 16 bis 24 Tage länger sind als für Privatpatienten. Ich finde, das ist kein guter Zustand. Herr Rentsch, Sie sagen, es sei völliger Zwang und es würde die freie Arztwahl aufheben – das finde ich völlig überzogen, und das sage ich als auf Bundesebene Oppositioneller. Das ist völlige Panikmache. Wenn ich einmal nicht adäquat schnell einen Facharzt finde und diese Servicestelle anrufe und darum bitte, mir zu helfen, einen anderen Facharzt zuzuweisen, dann ist das ein gutes freiwilliges Angebot. Wir GRÜNE müssen uns da nicht verkämpfen, aber dass deswegen die freie Arztwahl aufgehoben würde: Meine Güte, geht es auch eine Nummer kleiner, liebe Kollegen und Kollegin von der FDP?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Sie müssen Ihren Lobbyverbänden doch nicht über jedes Stöckchen springen, das man Ihnen hinhält.

Ein Letztes. Ja, wir sind auch der Meinung, dass diese umfangreichen Änderungen, die die Bundesregierung plant, tatsächlich zustimmungspflichtig sind. Da geben wir Ihnen von der FDP recht. Wir wollen, dass die Länder daran beteiligt werden. An dieser Stelle will ich aber auch noch einmal sagen: Ein herzliches Kompliment an den Gesundheitsminister von Hessen. Er war an der Spitze aller 16 Bundesländer – 16:0 lautete das Abstimmungsergebnis –, die über 100 Änderungsanträge zum ersten Entwurf dieses Gesetzes eingereicht haben. Man kann dem Gesundheitsminister von Hessen nicht vorwerfen, dass er mit dem Entwurf des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zufrieden war. Er hat viele gute Änderungsvorschläge gemacht, und diese guten Ansätze wollen wir auch loben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

– Danke, Herr Boddenberg. – Ich komme zu meinem Fazit. Ich glaube, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung bei der Bedarfsplanung zu kurz springt und dass er die Wartezeiten und die Frage der Bürgerversicherung nicht entscheidend und grundlegend genug angeht. Aber er bietet gute Anreize bei der Frage des anzugehenden Aufkaufs bei Überkapazitäten, beim Innovationsfonds und ich glaube, dass er viele gute Initiativen begeht. Nicht alles ist richtig. Aber zum FDP-Antrag, wie er hier vorliegt, mit seiner totalen Panik: Lieber Kollege Rentsch, lieber Kollege Rock, was Sie da betreiben ist unterirdisch, das kann ich nicht verstehen, es ist auch nicht sachgerecht, es ist einfach nur schlecht. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Danke, Herr Bocklet.

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