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04.03.2009

Kordula Schulz-Asche zur Landessozialberichterstattung

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Seit vielen Jahren formulieren wir GRÜNEN das Ziel, dass eine moderne Sozialpolitik, wenn sie denn den Menschen wirklich zugute kommen soll, auch in der Lage sein muss, einzelne Maßnahmen und deren Wirkungen auf die Menschen, für die sie vorgenommen worden sind, zu überprüfen. Die Landessozialberichterstattung, wie sie in vielen anderen Bundesländern seit Jahrzehnten existiert, ist dafür das geeignete Instrument.

Wir haben in vielen anderen Ländern nicht nur eine Landessozialberichterstattung, sondern diese Berichterstattung wurde weiterentwickelt, denn in dieser Sozialberichterstattung wurde eine Armuts- und Reichtumsberichterstattung integriert. Mit einer solchen Berichterstattung sind wir in der Lage, diese Entwicklung, also die Dimensionen der Spaltung einer Gesellschaft in arm und reich, zu beschreiben; und wir sind natürlich auch in der Lage, zu beschreiben, inwieweit die gesellschaftliche Teilhabe bestimmter gesellschaftlicher Gruppen gewährleistet ist. So viel als Einleitung zu dem, was in vielen Bundesländern bereits gang und gäbe ist, jedoch leider nicht im Lande Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Daher haben wir uns zunächst ausgesprochen gefreut, als wir in dem Koalitionsvertrag den Begriff Armuts- und Reichtumsberichterstattung gelesen haben. Ansonsten kommt der Begriff soziale Gerechtigkeit im Koalitionsvertrag der CDU und der FDP leider nicht vor. Daher waren wir zunächst positiv überrascht. Wir mussten dann allerdings feststellen, als wir uns die Formulierung genauer angeschaut haben, dass man beabsichtige, den Armuts- und Reichtumsbericht zu einem aussagekräftigen Sozialbericht weiterzuentwickeln.

Meine Damen und Herren, aus diesem Grunde habe ich mich gefragt: Wo waren eigentlich diejenigen, die diesen Vertrag ausgehandelt haben, in den letzten zehn Jahren? In den letzten zehn Jahren hat nämlich allein meine Fraktion sechsmal in diesem Hause beantragt, einen Armuts- und Reichtumsbericht zu erstellen. Diese Anträge sind jedes Mal von der CDU-Mehrheit abgelehnt worden, doch dann wollen Sie diesen Bericht weiterentwickeln. Auf welcher Grundlage wollen Sie das eigentlich tun? – Es ist ein Armutszeugnis, wenn dies so im Koalitionsvertrag steht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und den LINKEN – Zuruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))

– Herr Wintermeyer, es ist einfach so, dass Sie keinen Bericht haben, den Sie weiterentwickeln könnten, es ist lediglich eine Peinlichkeit dieses Koalitionsvertrags. Sei es drum: Es steht immerhin drin.

(Zuruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))

– Das ist sehr interessant. Herr Wintermeyer, gerade beim Armuts- und Reichtumsbericht war der rot-grüne Koalitionsvertrag wirklich fundiert und sachlich begründet, weil ich nämlich mitverhandelt habe. Sie können gern nach vorne kommen, um mir zu erzählen, wer von Ihren Kollegen mitverhandelt hat, denn Frau Müller-Klepper war es sicher nicht, denn von ihr weiß ich, dass sie sich besser auskennt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))

Sei es drum: Sie haben zumindest erkannt, dass es hier eine Handlungsnotwendigkeit gibt. Deswegen haben wir auf der Grundlage des Gesetzentwurfs, den wir in der letzten Legislaturperiode schon eingebracht hatten und der schon eine große Anhörung im September erfahren sowie eine rechtsförmliche Prüfung der damaligen Landesregierung hinter sich hat, einen neuen Gesetzentwurf vorgelegt. In diesen wurden die vielen Anregungen der Anhörung eingearbeitet.

Wir haben auch einige Punkte geändert. Wir haben uns entschieden, dass wir uns im Gegensatz zu einem kürzeren Abstand der Berichterstattung, den wir ursprünglich geplant hatten, durchaus darauf einlassen wollen, einen fünfjährigen Rhythmus einzuführen, der völlig ausreichend ist, der dann in einem vernünftigen Rahmen erstellt werden kann und auch aussagekräftig ist. Wir wollen in diesem Bericht nicht nur eine Analyse der Verteilung von Vermögen und der Einkommenssituationen. Wir wollen – daran liegt mir besonders viel – eine Betrachtungsweise, die nicht nur geschlechtsspezifisch und von Personengruppen her ist, sondern eine Beobachtung von Lebenslagen unter verschiedenen Dimensionen. Dazu gehört – wir wissen, dass das eines der entscheidenden Momente für Armutsursachen ist – die Bildung. Dazu gehören die Erwerbsbeteiligung und die Gesundheit. Dazu gehört das Wohnen. Dazu gehört aber auch die Teilhabe, die gesellschaftliche Partizipation. Es ist für mich ein besonders wichtiger Punkt, dass auch dies in einem solchen Bericht regelmäßig beobachtet und für einzelne Personengruppen beschrieben wird.

Hinsichtlich der Häufigkeit der Berichterstattung haben wir jetzt eine zweite Option in unserem Entwurf. Wir alle wissen, dass es bestimmte Personengruppen gibt, die von Armut besonders gefährdet sind. Wir haben des Öfteren darüber diskutiert. Das trifft vor allem Kinder und Jugendliche. Von daher haben wir in einem weiteren Paragrafen vorgesehen, dass wir über Sonderberichte eine kurzfristige Berichterstattung über diese einzelnen Gruppen ermöglichen. Ich glaube, dass wir in der Kombination von langfristiger Berichterstattung und Sonderberichten zu speziellen Fragestellungen ein Frühwarnsystem auch für Entwicklungen der Armut installieren können und damit sichere Handlungrahmen für eine moderne Sozialpolitik legen können.

Bei der Frage der Beteiligung, wie ein solcher Bericht erstellt werden soll, ist es uns wichtig, eine Beratungsinstanz mit allen Akteuren zu haben. Zu den Akteuren gehören vor allem die Kommunen, die ein ganz wesentlicher Akteur bei der Armutsbekämpfung sind, die Wohlfahrtsverbände, die viel mit den armen Menschen, um die es hier geht, zu tun haben. Die Akteure sollten wir in einen Beirat einbeziehen, der die Landesregierung dabei beraten kann, wie eine vernünftige Konstruktion, eine vernünftige Fortentwicklung einer solchen Landessozialberichterstattung erfolgen kann. Wie gesagt, wir schlagen vor, dies in einem Beirat zu tun.

Erlauben Sie mir, dass ich kurz auf den Gesetzentwurf der Linkspartei eingehe, der sich vor allem an einem Punkt wesentlich von dem unseren unterscheidet. Wir halten nicht besonders viel davon, ein externes Institut zu beauftragen. Letztendlich sind die Ergebnisse, die Bewertung der Ergebnisse der Landessozialberichterstattung politische Fragen. Die sollte man auch dem politischen Raum überlassen. Wir wollen darüber diskutieren. Wir wollen die Maßnahmen, die eine Landesregierung hinsichtlich der Armuts- und Reichtumsentwicklung ergreift, politisch bewerten. Dafür ist ein Beirat der Landesregierung die richtige Institution. Wir sollten nichts dazwischenschalten, wodurch die Bewertung der Ergebnisse sehr viel schwieriger ist. Wir wollen eine Landessozialberichterstattung, die es uns tatsächlich ermöglicht, zu beurteilen, ob wir es mit einer Landesregierung zu tun haben, die den Anspruch erhebt, soziale Gerechtigkeit herzustellen bzw. zumindest anzustreben oder nicht. Diese politische Bewertung gehört in das Parlament und nicht in irgendwelche Institute. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Schulz-Asche, haben Sie Dank.