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03.03.2010

Kordula Schulz-Asche zum Hessischen Nichtraucherschutzgesetz

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Rentsch, Sie haben recht. Dieses Thema wurde in allen Fraktionen heiß diskutiert. Das ist auch gut so. Das ist ein Thema, das auch in der Gesellschaft heiß diskutiert wird. Auch das ist gut. Ich glaube, dass es Aufgabe der Politik ist, unterschiedliche Interessen zusammenzuführen. Wir werden deswegen Ihrem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen, weil Sie genau dies nicht tun. Sie führen keine Interessen zusammen, sondern Sie schlagen sich auf eine Seite.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ohne Not und wider besseres Wissen wird heute von FDP und CDU der Nichtraucherschutz in hessischen Gaststätten faktisch wieder abgeschafft. Man muss einfach sagen: Die Gesellschaft ist bei Weitem weiter, als Sie das heute hier darstellen. Überall ist akzeptiert, dass sich Raucherinnen und Raucher, Nichtraucherinnen und Nichtraucher zusammen in den Gaststättenbereich begeben, die Raucher gehen ab und zu einmal vor die Tür. Diese Selbstverständlichkeit, die die Gesellschaft erreicht hatte, machen Sie heute wieder rückgängig. Wir haben inzwischen drei Viertel der Bevölkerung – zumal gerade die Raucher, die sich haben überzeugen lassen –, die den Nichtraucherschutz akzeptieren. Aber das ist Ihnen offensichtlich völlig egal.

Dabei ist inzwischen einwandfrei festgestellt, dass nicht nur das Rauchen, sondern gerade der Passivrauch schwerste Gesundheitsschäden bis hin zum Tod auslösen kann. Es ist zweifelsfrei von vielen – wir sind nicht vorn, sondern europaweit ganz, ganz weit hinten und ab heute noch weiter hinten – festgestellt, dass nicht nur in kürzester Zeit die Zahl der jugendlichen Nichtraucher zunimmt, sondern auch insbesondere eine eklatante Reduktion von Herz- und Kreislauferkrankungen durch den Schutz von Passivrauch zu erreichen ist.

Meine Damen und Herren, all das wurde uns in der Anhörung vonseiten der Wissenschaft zum wiederholten Mal verdeutlicht.

Besonders bemerkenswert finde ich aus der Anhörung einen weiteren Punkt, nämlich die Äußerung der hessischen Kommunen, Gemeinden und Städte. Meine Damen und Herren, es gibt nicht besonders viele in der FDP, die in der Kommune Verantwortung tragen oder Bürgermeister sind. Aber wie können gerade Sie von der CDU damit leben, dass die Vertreter der Städte und Gemeinden sagen, mit diesem Gesetz werde praktisch ein Gesetz geschaffen, was durch die Ordnungsämter nicht zu kontrollieren und die Einhaltung nicht zu überprüfen ist? Wie können Sie als verantwortliche Politiker damit leben, dass Ihre eigenen Leute in den Kommunen und Gemeinden diese Position einnehmen? Sie stellen sich hierhin und wollen ein Gesetz verabschieden, das praktisch einen rechtsfreien Raum schafft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in diesem Gesetz sind so viele Rechtsunsicherheiten. Es beginnt mit der Frage, was warme, was kalte einfach zubereitete Speisen sind. Allein die Frage 75 qm Gastraum – was heißt das bitte schön? Ist das der Raum vor der Theke? Ist das der Raum mit der Theke? All dies ist rechtsfreier Raum, den Sie hier deklarieren. Sollen die Ordnungsämter mit einem Zentimetermaß in diese Kneipen gehen und ausmessen, was Gastraum und was Grundfläche ist?

Sie schaffen einen rechtsfreien Raum, und genau das ist auch so gewollt. Sie wollen den Nichtraucherschutz abschaffen. Sie werden das heute tun. Ich finde, dass die Frage berechtigt ist, warum Sie das alles wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, dann kann sich jeder die Rechenschaftsberichte der FDP anschauen. Dort sind die Spenden der Zigarettenindustrie aufgeführt.

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich kann allen nur empfehlen, das einmal zu tun, damit man immer weiß, wo die Interessen sind. Dann haben wir die Mövenpickpartei wieder gleich auf dem Schirm.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Herr Kollege Rentsch, Sie haben von Ausgleich geredet. Die einzige Stellungnahme in der Anhörung, die Ihren Vorschlag unterstützt hat, war von der DEHOGA. Sie sind bewusst nicht darauf eingegangen, was die Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten dazu gesagt hat, die sich nämlich gegen Ihren Entwurf ausspricht, weil Ihr Entwurf für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gaststätten kein Schutz ist. Das erwähnen Sie natürlich nicht, weil das nicht Ihren Interessen entspricht und weil das nicht darin besteht, die Lobbys, die Sie vertreten wollen, tatsächlich zu vertreten. Deswegen gibt es dieses Gesetz. Sie sind aufseiten des Gaststättenverbandes. Sie stellen sich heute gegen die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann gibt es noch andere Bereiche. Herr Kollege Rentsch, Sie reden von den kleinen Gaststätten. Aber ich frage Sie: Warum reden Sie über bestimmte Sachen nicht? Warum reden Sie z. B. nicht über die Regelung in den Diskotheken, die vom Bundesverfassungsgericht eingeklagt wird? Liegt es daran, dass das Verhältnis zwischen FDP und Besitzern von großen Diskotheken besonders gut ist? Warum haben Sie bisher z. B. mit keinem einzigen Wort begründet

(Florian Rentsch (FDP) spricht mit Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU).)

– Herr Kollege Rentsch, ich rede gerade mit Ihnen –, warum in Ihrem Gesetzentwurf die Spielcasinos in Hessen ausdrücklich nichtraucherschutzbefreit werden? Sie haben das mit keinem einzigen Wort begründet. Ich frage Sie: Warum soll für einen so wesentlichen Bereich der Nichtraucherschutz nicht gelten, wo sich alle Leute fragen, was eigentlich das Besondere an Spielcasinos ist? Was ist eigentlich der Grund dafür? Sie meinen, dass Sie diese Lobbys bedienen können, ohne sich hierhin zu stellen und zu begründen, was der eigentliche Grund dafür ist.

Meine Damen und Herren, das ist Möwenpick-Partei. Darüber werden wir heute entscheiden. Dass die CDU das mitmacht – bei den Voten, die die Gemeinden dazu abgegeben haben –, ist mir unbegreiflich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein ebensolch schwammiger Begriff in Ihrem Gesetzentwurf ist die „geschlossene Gesellschaft“. Was soll das sein?

Meine Damen und Herren, durch wissenschaftliche Untersuchungen wissen wir inzwischen, dass Passivrauchen nicht nur dann gefährlich ist, wenn man sich direkt mit den Rauchern im Raum befindet, sondern dieser Rauch setzt sich natürlich auch in Möbeln, Sitzpolstern und Tapeten fest und wird von dort abgegeben. Ihr System der geschlossenen Gesellschaft wird jetzt dazu führen, dass sich am Abend die FDP mit ihren Freunden trifft, und am nächsten Tag sitzt dort die Seniorenunion – ich sehe jetzt gerade Herrn Gerling nicht, der einer der wenigen Vernünftigen in Ihren Reihen ist; wahrscheinlich ist er deswegen auch rausgegangen, als er den Beitrag von Herrn Rentsch gehört hat –,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

oder dort findet ein Kindergeburtstag statt.

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Diese Verantwortung für einen nicht vorhandenen Gesundheitsschutz werden Sie übernehmen.

Ich wende mich ausdrücklich an die CDU, weil sie so viele Bürgermeister in Verantwortung hat, die sich ausdrücklich gegen diesen Gesetzentwurf ausgesprochen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Staatsminister Banzer, dieser Gesetzentwurf von FDP und CDU ist einer der ersten zur Gesundheitspolitik, der mit Unterstützung Ihres Hauses erarbeitet wurde. Sie haben schon freiwillig auf den Betreff „Soziales“ im Titel Ihres Ministeriums verzichtet. Nach diesem Gesetz können Sie den Begriff „Gesundheit“ ebenfalls getrost streichen.

(Zuruf der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aber, Herr Staatsminister, Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht am Ende als „Staatsminister für nichts und wieder nichts“ dastehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Diese Debatte wird so gern mit Diffamierungen geführt – Kollege Rentsch hat es eben nochmals kurz versucht. Ich möchte das sehr schöne Buch von Juli Zeh ansprechen, das ich allen empfehlen möchte. Es heißt „Corpus Delicti“. Darin geht es um Gesundheitsdiktaturen, ein wirklich lesenwertes Buch. Juli Zeh sagt, der Staat darf sich einmischen, um zu verhindern, dass ich anderen schade – er darf sich aber nicht einmischen, um zu verhindern, dass ich mir selbst schade.

Das ist genau die Position, die wir nach langer Diskussion in der GRÜNEN-Fraktion erarbeitet haben. Dort, wo man anfängt, anderen Leuten zu schaden, dort hat der Staat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, einzugreifen und zu schützen. Mir Ihrem Gesetz machen Sie genau diese Schutzpflicht des Staates rückgängig, dort, wo Menschen durch das Verhalten anderer geschädigt werden. Ab heute machen Sie das wieder möglich.

Meine Damen und Herren, in der Anhörung sagte der Kollege Schmidt von der Hessischen Landeszentrale für Suchtfragen:

In Hessen sterben jährlich etwa 10.000 Menschen an den Folgen ihres Tabakkonsums. Etwa 240 Menschen sterben aufgrund des Passivrauchens.

– In Hessen.

Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der einen umfassenden Nichtraucherschutz im Sinne des Bundesverfassungsgerichts ermöglicht. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der es Raucherinnen und Rauchern, Nichtrauchern und Nichtraucherinnen ermöglicht, gemeinsam ihre Freizeit im Kulturgut Kneipe zu verbringen. Sie haben nach wie vor die Wahl, sich für oder gegen einen konsequenten Schutz vor dem Passivrauchen zu entscheiden. Wir haben diese Alternative vorgelegt. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Frau Kollegin Schulz-Asche.

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