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13.05.2009

Kordula Schulz-Asche zum Einzelhaushalt 08 - Ministerium für Arbreit, Familie und Gesundheit

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Rock, die FDP will keine gerechte Gesellschaft – besser hätte das, was im Einzelplan 08 steht, nicht umschrieben werden können.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Das Gegenteil einer gerechten Gesellschaft ist eine ungerechte Gesellschaft. Meine Damen und Herren, genau das haben wir an neoliberaler Politik in den letzten Jahren in den Bereichen erlebt, wo die FDP mitgeredet hat und damit auch dafür verantwortlich ist, dass wir uns jetzt in einer solchen Krisensituation befinden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Frau Kollegin Schulz-Asche, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rock?

Kordula Schulz-Asche:

Nein. – Gerechtigkeit statt Egoismus – das ist unser Leitbild. Sie sind die Partei, die für Egoismus steht, und das haben Sie gerade noch einmal sehr schön ausgeführt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Meine Herren von der FDP, deswegen ist es so deutlich, dass dieser Einzelplan der Landesregierung überhaupt kein politisches Konzept für soziale Gerechtigkeit in einer modernen Bürgergesellschaft – dazu gehört soziale Gerechtigkeit – erkennen lässt. Dieser Haushalt enthält diese Vision einer sozial gerechten Gesellschaft, und damit einer modernen Bürgergesellschaft, nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Er enthält auch keinen Gestaltungswillen, weder in der Arbeitsmarktpolitik noch in der Familienpolitik, noch in der Gesundheitspolitik und schon gar nicht in der Sozialpolitik, was Sie konsequenterweise durch das Streichen des Begriffs „Sozial“ aus dem Namen unterstrichen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Der Einzelplan 08 ist bestenfalls Flickschusterei an einem sozialen Netz, das die CDU konsequenterweise im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ zu zerstören angefangen hat. Das wird nicht rückgängig gemacht.

Meine Damen und Herren, gerade in Zeiten wie diesen herrscht bis weit in die Mittelschicht hinein die Angst vor sozialem Abstieg. Deswegen haben die Bürgerinnen und Bürger in Hessen diese Flickschusterei nicht verdient. Wir brauchen endlich wieder eine verlässliche Sozialpolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Lassen Sie mich das an den Punkten festmachen, die Ihnen so wichtig sind, dass Sie sie im Namen des Ministeriums erwähnen. Ich fange mit dem Arbeitsmarkt an. Herr Dr. Bartelt hat die Vielzahl von Programmen aufgeführt, die die Landesregierung durchführt, um den Arbeitsmarkt zu stützen. Aber einige dieser Programme müssen Sie einstellen, weil sie wirkungslos sind. Es bleibtt eine Vielzahl, es ist ein Strauß von Programmen. Wir zumindest haben den Anspruch, dass das, was man an Landesmitteln ausgibt, tatsächlich bei den Menschen ankommt. Das kann man von den Programmen im Moment nicht sagen. Es ist ein bunter Strauß, der nicht zielgenau eingesetzt wird. Deswegen schlagen wir vor, dass man diese Programme zusammenfasst und sehr viel zielgenauer zur Ergänzung der Leistungen der Bundesagentur und der Kommunen einsetzt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, Tarek Al-Wazir hat es heute Morgen schon gesagt: Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es unter den langzeitarbeitslosen Menschen einen gewissen Teil gibt, den wir nicht ständig durch Schleifen von Maßnahmen und Ein-Euro-Jobs schicken können. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es eine ganze Reihe von Menschen gibt, die langfristig nicht in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln sind. Deswegen müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir auch diesen Menschen die würdevolle Teilhabe an Arbeit und an Gesellschaft ermöglichen. Deswegen schlagen wir die Einrichtung eines sozialen Arbeitsmarkts mit einem Zuschuss von 4 Millionen € vor, um genau solche Arbeitsplätze zu schaffen, aber auch um die Komplementärmittel von Bundesagentur und Kommunen so zu nutzen, dass diese Menschen in sozialversicherungspflichtige, in zusätzliche und sinnvolle Arbeit eingebunden werden können. Das ist Innovation in der Arbeitsmarktpolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Lassen Sie mich zu einem zweiten Punkt kommen, der Familienpolitik. Ich begrüße ausdrücklich, dass Sie zusätzliche Mittel für den Ausbau der Kinderbetreuung vorsehen. Man soll schließlich nicht nur kritisieren. Aber ich kritisiere, dass die Mittel aufgrund der Familienstrukturen und der besondere Strukturen gerade im Rhein-Main-Gebiet nicht ausreichend sind für den Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen. Wir müssen anders, als das auf Bundesebene notwendig ist, früher und mehr Plätze für die Betreuung unter Dreijähriger zur Verfügung stellen. Deswegen sehen wir nach wie vor vor, dass wir das Ziel eines Betreuungsangebots für 40 % der unter Dreijährigen bis 2011 erreichen sollten. Das braucht die Familienstruktur, die wir in Hessen haben. Deswegen müssen wir schneller sein, als andere Bundesländer oder der Bund es vorsehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bedauere ausdrücklich, dass Sie für das Konzept, dass wir mehr Kompetenz für Eltern brauchen, dass wir mehr Hilfen und Unterstützung für Eltern brauchen, um sie in ihrer Erziehungstätigkeit zu stärken – hier sind wir vom Ansatz her alle einig –, keine zusätzlichen Mittel vorsehen. Ich glaube, dass das einer der ganz großen Bereichen für die Zukunft sein wird, dass die Eltern in die Lage versetzt werden, sich wirklich so um ihre Kinder zu kümmern, dass sie sich im Leben entwickeln können. Es kann nicht nur die Aufgabe von Einrichtungen sein, dies zu tun. Wir müssen die Eltern stärken. Daher hätte man seitens der Landesregierung mehr Geld in die Hand nehmen müssen, wie wir das vorschlagen, wenn man in der Familienpolitik innovativ sein möchte.

Meine Damen und Herren, das dritte Thema brennt unter den Nägeln. Die Landesregierung hat im letzten Jahr glücklicherweise endlich die Standards für die Betreuung in Kindergärten heraufgesetzt: kleinere Gruppen, mehr Personal. Wir haben in den Kindergärten das Problem, dass viele Erzieherinnen in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen werden. Wir können jetzt schon anhand der Ausbildungszahlen absehen, dass das Angebot an Erzieherinnen und Erziehern, die demnächst zur Verfügung stehen werden, der steigenden Nachfrage, die wir in allen Bereichen haben, nicht gerecht werden kann.

Deswegen ist gerade dies ein Bereich, in dem wir als Politik vorsorgen müssen, wo wir in die Zukunft schauen müssen. Deswegen sagen wir: Wir brauchen ein Sofortprogramm Erzieherinnen und Erzieher, in das wir 2,8 Millionen € stecken wollen. Denn heute müssen wir ausbilden, damit wir morgen die ausreichende Anzahl von Erzieherinnen und Erziehern in unseren Kindertagesstätten haben, die den vielfältigen Ansprüchen gerecht werden können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Im Bereich Gesundheit begrüße ich ausdrücklich, dass Sie die Mittel für die Suchtprävention und -hilfe hochsetzen. Das ist gut so. Wir begrüßen auch, dass die gesundheitliche Versorgung von Gewaltopfern verbessert werden soll.

Allerdings hört es da auch schon auf. In den Bereichen Gesundheitsförderung und Prävention, insbesondere beim Ansatz „Kinder stark machen“ ist im gesamten Haushalt keine neuer innovativer Ansatz zu finden.

Herr Banzer, Sie sind ja jetzt Vorsitzender der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitserziehung. Ich hoffe, dass es deshalb ein bisschen besser wird. Wenn man allerdings daran denkt, dass auch die Arge Opfer der „Operation düstere Zukunft“ geworden ist, haben Sie hier einiges gutzumachen. Ich glaube aber, dass es nicht reicht, allein die Arge zu stärken, denn es gibt vor Ort, in den Kommunen vielfältige Angebote. Wir haben Gesundheitsangebote, wir haben Angebote an Bildungseinrichtungen und Kindergärten, wir haben Angebote in der Jugend- und in der Altenhilfe. Wir haben einen öffentlichen Gesundheitsdienst, der doch dafür prädestiniert ist, ohne hohe zusätzliche Mitteln – da reichen 400.000 € –,vielfältige Angebote vor Ort zu machen, die tatsächlich zur Verbesserung der Gesundheitssituation in der Bevölkerung, insbesondere der Kinder, beiträgt.

Vertens. Der Bereich Soziales ist bei Ihnen im Orkus neoliberaler Politik verschwunden. Wir finden nichts zur Geschlechtergerechtigkeit, was bei der frauenfreien FDP auch kein Wunder ist.

(Widerspruch bei der FDP)

Wir finden keine Antworten auf den demografischen Wandel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wir finden keine innovative Antwort auf das Problem des demografischen Wandels. Deshalb bin ich ganz dankbar, dass der Kollege Dr. Müller jetzt eine Kleine Anfrage eingebracht hat, um bei der Landesregierung anzufragen, was die Enquetekommission überhaupt gebracht hat.

Wir finden keine Innovationen im Bereich der Behinderten- und Altenpolitik. Wir finden auch keine innovativen Ideen in der Jugendpolitik. Wenn wir bedenken, welche Rolle das Thema Jugendgewalt im vorletzten Wahlkampf gespielt hat, das gerade von der CDU hochgepuscht wurde, während gleichzeitig Mittel für Gewaltprävention in der „Operation düstere Zukunft“ gestrichen worden sind, dann muss man sagen: Es ist wirklich ein starkes Ding, dass Sie versucht haben, mit diesem Thema bei der Bevölkerung zu punkten. Das ist wirklich unerhört.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie erheben überhaupt keinen Anspruch mehr, irgendeinen Beitrag des Landes zur Beseitigung der Armut zu leisten. Ich möchte hier ein Beispiel herausgreifen, das für uns nach wie vor einer der Schwerpunkte der Armutsbekämpfung ist, nämlich die Schuldnerberatung. Meine Damen und Herren, wir wissen, dass die Landesregierung beim Thema Schuldnerberatung resistent ist. Wir wissen aber auch, dass für viele Menschen, die Schuldnerberatung eine ganz, ganz wesentliche Leistung ist, die verhindert, dass sie weiter in der Schuldenfalle bleiben, die ihnen dort heraushilft. In Hessen ist seit der Streichung der Landesmittel für die Schuldnerberatung im Jahre 2004 Folgendes passiert. Bei manchen Schuldnerberatungsstellen gibt es eine Wartezeit von bis zu einem halben Jahr. Vielleicht können Sie sich vorstellen, was es für eine Familie, die in die Schuldenfalle geraten ist, bedeutet, ein halbes Jahr länger mit Mahnungen überzogen zu werden, ohne die Perspektive eines Auswegs zu haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielleicht könnte die Landesregierung, die im Haushalt wieder ordentlich Schulden macht, dabei lernen, wie man Kosten vermeiden kann. Es gibt nämlich Untersuchungen, die zeigen, dass die Investition von 1 Euro in die Schuldnerberatung 2 Euro an Folgekosten spart. Das heißt, hier wird wirklich präventive Arbeit geleistet.

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin Schulz-Asche, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie bereits vier Minuten überzogen haben. Ich sage das in aller Freundschaft. – Sie haben das Wort.

Kordula Schulz-Asche:

Ich danke Ihnen ganz herzlich und komme auch gleich zum Schluss.

Meine Damen und Herren, wir glauben, dass es unbedingt notwendig ist, die Schuldnerberatung wieder zu stärken, um gerade Familien, die in Not geraten sind, aus der Schuldenfalle herauszuhelfen. Das ist einer der wesentlichen Armutsbekämpfungsmaßnahmen in der Familienpolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Wir schlagen, wie jedes Jahr seit der „Operation düstere Zukunft“, auch dieses Jahr ein umfassendes GRÜNES Sozialbudget in Höhe von 25 Millionen Euro vor. Wir wollen mehr Transparenz bei der Vergabe von Landesmitteln, auch was ihre Wirkung angeht. Wir wollen aber auch Verlässlichkeit für die Träger und für die Bürgerinnen und Bürger. Vor allem aber wollen wir mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Organisationen und den Kommunen gemeinsam Ziele entwickeln, damit jeder – jeder an seinem Platz – für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen kann. Unsere Vision ist nicht eine ungerechte Gesellschaft, Herr Rock, unsere Vision ist soziale Gerechtigkeit in einer modernen Gesellschaft der Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Frau Kollegin Schuz-Asche.

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