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07.03.2012

Kordula Schulz-Asche: Stellenabbau am Universitätsklinikum Gießen und Marburg geht zulasten von Beschäftigten und Patienten

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Nasenring der Landesregierung, an dem sie von der Rhön-Klinikum AG wie ein Bär im Zirkus durch die Manege geführt wird, wird ständig größer. Den Höhepunkt erreichte die Vorführung gestern Abend nach der gemeinsamen Erklärung der Rhön-Klinikum AG, des Universitätsklinikums Gießen und Marburg GmbH und der Landesregierung, als sich Minister Bouffier noch als Mann des starken Wortes aufführte, und sich die Wissenschaftsministerin heute ans Pult getrieben fühlte.

Doch gehen wir chronologisch vor: Die Geschichte der Privatisierung des Universitätsklinikums begann, weil man unbedingt beweisen wollte, dass es möglich ist, ein solches Universitätsklinikum zu privatisieren. Man hat es zu einem Leuchtturmprojekt ernannt. Die Landesregierung trägt nicht zuletzt deshalb eine so hohe Verantwortung, weil sie alle damaligen Warnungen zum vorschnellen Vertragsabschluss ignoriert hat.

Wie dilettantisch dieser Verkauf durchgeführt wurde, zeigte sich in den letzten Jahren immer wieder an der Respektlosigkeit, mit der der Rhön-Konzern gegenüber der Landesregierung aufgetreten ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Von bedenklichen Arbeitsbedingungen über lautstark verkündete Vertragsverletzungen wie bei der Partikeltherapie – die Landesregierung reagierte, wenn sie es überhaupt erfahren hat, verspätet und meist auch ohne Ergebnis.

Trotz wirklich herber Niederlagen wie der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Status der Landesbeschäftigten wird die Landesregierung nicht müde, von einer wahren Erfolgsgeschichte zu sprechen. Meine Damen und Herren, das erinnert schon sehr an die Sprachverdrehung bei Orwell.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Während viele bewährte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verunsichert sind, ob sie in den Landesdienst zurückkehren sollen oder nicht, kommt die sogenannte Erfolgsgeschichte wieder so richtig in Fahrt, und zwar mit einem Schreiben der Rhön-Klinikum AG an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am 25. Februar, in dem sie den Stellenabbau ankündigt. Die Empörung bei den Beschäftigten und in der Region ist berechtigterweise enorm. Es kommt der Verdacht auf, dass die Rhön-Klinikum AG gerade die Beschäftigten, die ein Rückkehrrecht in den Landesdienst haben, besonders verunsichern will, um sich ihrer einfach zu entledigen.

Am 29. Februar sollte ein ganz besonderer Teil dieser Nasenringgeschichte geliefert werden. Zweimal an diesem Tag meldet sich die Wissenschaftsministerin zu Wort. Das erste Mal rüttelt sie ein bisschen am Nasenring, indem sie darauf hinweist, dass die Substanz von Forschung und Lehre unter Umständen gefährdet sei. Dann wird noch eine zweite Pressemitteilung nachgereicht, weil man gemerkt hat, dass man dort, wo man von der Rhön AG bei der Partikeltherapie an der Nase herumgeführt wird, ebenfalls reagieren muss.

Auch die Rhön AG meldet sich an diesem Tag zu Wort und bestätigt im Inhalt den Brief an die Mitarbeiter: Man rechne im Jahr 2012 nur mit einem Erlöszuwachs von 0,7 Prozent, während allein die Personalkosten um mindestens 3,5 % steigen würden. Sie müssten ihre Kostenstrukturen und damit auch den Personaleinsatz hinterfragen. Seit Anfang 2010 sei dem Betriebsrat bekannt, dass nach Realisierung der Neubauten der Abbau von Personal erforderlich werden würde. Nur die Zahl 500 wollte die Rhön AG nicht bestätigen.

Nun sieht der Ministerpräsident die große Gelegenheit für ein Machtwort gekommen. Laut FAZ hält Bouffier den Abbau von 500 Arbeitsplätzen für inakzeptabel und kritisiert, wie die FAZ bemerkt, „mit ungewöhnlich deutlichen Worten“:

Die Kommunikation zwischen Unternehmensleitung und der Landesregierung sei „erheblich gestört“, was bei ihm zu „großer Verärgerung“ geführt habe …

Als Beweis der Durchsetzungskraft des Ministerpräsidenten kommt gestern die berühmte gemeinsame Erklärung, die von der Wissenschaftsministerin gerade vorgestellt wurde. Ich möchte sie einmal die Nasenringerklärung nennen.

Denn im ersten Absatz wird der eigentliche Feind ausgemacht: die öffentliche Diskussion über das Thema und nicht etwa die Rhön AG, die an ihre Mitarbeiter geschrieben und den Stellenabbau angekündigt hat. Auch die Kommunikation zwischen der Landesregierung und der Rhön AG wird hier nicht mehr angesprochen.

Im ersten Punkt wird die berühmte Erfolgsgeschichte wiederholt. Die Partikeltherapie findet sich in diesem Punkt 1 leider nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Im zweiten Punkt werden die schlechte Kommunikation und das schlechte Vertrauensverhältnis zwischen Uni-Belegschaft und Klinikführung beklagt, nicht etwa zur Landesregierung. Es wird ein Mediationsprozess angekündigt. – Wir wissen, die Landesregierung hat sehr von Frankfurter Flughafen viel Erfahrung, wie man die Ergebnisse von Mediationsprozessen überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, auch Punkt 3 ist von schlichter Schönheit: Es solle ein ergebnisoffenes Verfahren eingeleitet und am Stellenabbau von 500 Stellen nicht festgehalten werden.

(Zurufe von der SPD)

Erst hat es die Aussage, Stellenabbau von 500, nie gegeben, jetzt soll an der Zahl nicht festgehalten werden, und nun soll ergebnisoffen geprüft werden, ob es 501 oder 499 Stellen sind. Oder was heißt diese Aussage in Punkt 3?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

In Punkt 4 werden als Grundlage das Wohl und die optimale medizinische Versorgung der Patienten erwähnt, aber mit keinem Wort das Ziel guter Forschung und Lehre, das gerade für die Wissenschaftsministerin ein besonderes Anliegen war.

Ich habe hier z.B. die Erklärung von 600 wissenschaftlichen Beschäftigten, die z. B. gestern auf der Betriebsversammlung verlesen wurde. Darin wird gesagt, die Krankenversorgung sei nun noch mit Überstunden sicherzustellen, und es gebe einen eklatanten Mangel an Zeit der Ärztinnen und Ärzte, um überhaupt Lehre und Forschung durchzuführen. – Und da stellen Sie sich heute Morgen hier hin und sagen, alles sei in Ordnung? Meine Damen und Herren, das darf doch nicht wahr sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Diese gemeinsame Erklärung hat mehr mit einem Offenbarungseid der Landesregierung als mit der Verpflichtung zur Vertragstreue seitens des Rhön-Klinikums zu tun. Das bestätigte sich auch noch gestern Abend. Auf der Rückfahrt vom Landtag nach Hause hörte ich auf hr-Info einen Bericht über die Betriebsversammlungen, die gestern stattfanden, während Sie mit der Leitung zusammensaßen. Es wurde darüber gesprochen, dass es den Abbau dieser 500 Stellen nicht geben solle, also der Zahl 500. Anschließend sagte der Sprecher des Rhön-Klinikums, den wir noch alle gut kennen, ins Mikrofon, dass es trotz dieser Mitteilung keinen Grund zur Entwarnung beim Personalabbau gebe.

Meine Damen und Herren, in diesem Moment dachte ich, dass der Nasenring, an dem die Landesregierung vom Rhön-Konzern durch die Manege geführt wird, ein weiteres Mal größer geworden ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wir wissen heute Morgen auch nach Ihrer Erklärung, Frau Ministerin, nur eines: Es wird einen Stellenabbau geben, aber die Zahl ist wahrscheinlich nicht 500. Aber selbst da können wir nicht sicher sein.

Ein übereilter, schlampiger Vertrag vor Jahren und eine schwache, schwankende, konzeptionslose Landesregierung heute, das haben die Patienten und die Beschäftigten in Forschung, Lehre und Krankenversorgung nicht verdient. Der Leuchtturm „Privatisierung eines Universitätsklinikums“ der Hessischen Landesregierung ist ein Schutthaufen. Sie haben nicht einmal den Mut, dies zuzugeben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Frau Schulz-Asche

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