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13.04.2011

Kordula Schulz-Asche: Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung im ländlichen Raum durch einen Masterplan „Gesundheit im ländlichen Raum“

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es mit dem Setzpunkt der CDU-Fraktion zu tun. Wir wurden dann mit einer Vielzahl Anträgen überschwemmt, die der aktuellen Situation geschuldet sind. Herr Dr. Bartelt, deswegen freue ich mich sehr über Ihr Angebot, darüber im Ausschuss noch einmal ausführlich zu diskutieren. Wir alle führen die Diskussion schon seit Längerem. Daher wissen wir alle, dass wir uns bei dieser Fragestellung in weiten Teilen sehr einig sind. Das betrifft vor allem die Notwendigkeit, ein Versorgungsgesetz zu entwickeln, das tatsächlich dazu geeignet ist, die ärztlichen Versorgungsprobleme zu lösen, die sich andeuten oder die wir schon haben.

Ich möchte nicht weiter auf die Situation eingehen, die sich in Berlin dadurch ergeben hat, dass sich Herr Minister Rösler offensichtlich nicht gegenüber den Bundestagsfraktionen der CDU und der FDP durchsetzen konnte. Damit konnte er den Kompromiss nicht umsetzen, der mit den Ländern erarbeitet wurde. Aber das Vertrauen in die Bundesregierung und vor allem in die Minister der FDP ist ohnehin, so glaube ich, weitgehend erschüttert.

Wir sollten uns deshalb darauf konzentrieren, was für unser Bundesland wichtig ist, was das Bundesland Hessen erreichen kann, wie wir Herrn Minister Grüttner in den Verhandlungen im Bundesrat unterstützen können und was wir vor allem selbst noch unternehmen können, wo wir also nicht darauf angewiesen sind, dass der Bund die Rahmenbedingungen schafft. Wir können einiges tun.

Lassen Sie mich zunächst noch einmal kurz darauf eingehen, was meiner Ansicht nach die wesentlichen Punkte dessen sind, was die Bund-Länder-Kommission zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung und hinsichtlich eines möglichen Versorgungsgesetzes vorgelegt hat. Dazu gehört die Flexibilisierung der Versorgungsplanung. Das wurde schon angesprochen, fehlt übrigens in dem Dringlichen Entschließungsantrag der SPD-Fraktion. Es ist also gut, dass wir weiterhin darüber diskutieren können, wie der Entschließungsantrag aussehen soll. Wir brauchen einfach eine flexiblere Möglichkeit der Steuerung in den einzelnen Regionen. Das gilt nicht nur für den ländlichen Raum, sondern auch für die Städte, besonders für sozial benachteiligte Stadtteile.

Wir brauchen eine Versorgungsplanung, die sehr viel näher an der Situation vor Ort ist. Auch das ist richtig. Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass hier eine starke Stellung für die Länder eingefordert wird. Die Länder sind einfach näher an der Problematik dran, wie die Versorgung vor Ort aussieht.

Wir brauchen auch die Möglichkeit der Umverteilung der Sitze der Ärzte. Auch das finde ich sehr positiv. Dabei ist natürlich darauf zu achten, dass besondere Strukturen, die wir schon haben, die Förderung der medizinischen Versorgungszentren und andere Formen der Angebote nicht wieder ausgeschlossen werden. Ich glaube, da wird man noch einmal genau hinschauen müssen, wie die Regelungen im Einzelnen aussehen sollen.

Eines möchte ich ausdrücklich betonen: Gerade auch vor dem Hintergrund des sich verändernden Berufs, dass also mehr Frauen in den Beruf des Arztes drängen,  brauchen wir ein breites Spektrum der Arbeitsmöglichkeiten: Zur Feinsteuerung brauchen wir die Möglichkeit der Teilzulassung, die Aufhebung der Residenzpflicht usw.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme auf den letzten Punkt zu sprechen, der für mich von erheblicher Bedeutung ist. Ich finde, auch darüber müssen wir noch einmal diskutieren. Da war ich mit der Einigung in der Bund-Länder-Kommission nicht ganz einverstanden. Wir brauchen die Möglichkeit, dass die Kommunen Angebote selbst gestalten können. Wir müssen aber auch sicherstellen, wie das finanzierbar wird. Es muss dann aber auch klar sein, wie die Gesamtvergütung, die für einen bestimmten Zulassungsbereich vorhanden ist, aufgeteilt wird. Denn die Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, das tatsächlich machen zu können. Sie können nicht nur die Aufgaben bekommen, sondern es müssen auch die Gelder, die dafür zur Verfügung stehen, aus der Gesamtvergütung der Kassenärztlichen Vereinigung herausgetrennt werden. Meiner Meinung nach ist da der Kompromiss, den Sie bereits erreicht haben, unzulänglich. Denn auf die Finanzierung ist überhaupt nicht eingegangen worden.

Es sind auch noch andere Dinge unklar, die für die Versorgung vor Ort sehr erheblich sind. Zum Beispiel ist die Frage des Notdienstes nicht geklärt. Wir wissen, dass die Notdienste ein großes Hemmnis für junge Ärzte sind, sich im ländlichen Raum niederzulassen, weil nicht klar ist, welche Arbeitszeiten sich daraus ergeben. Von daher ist es ein ganz zentraler Punkt, dass geklärt wird, wie die Notdienste organisiert sind. Auch da sollten meiner Meinung nach die Kommunen das Recht haben, sehr viel stärker hinsichtlich dessen einbezogen zu werden, was vor Ort organisiert wird.

Dann sind noch so Dinge wie die Studienplatzförderung enthalten. Wir wissen, dass das unheimlich teuer ist. Aber wir haben im Moment eigentlich gar keinen Mangel an Medizinstudenten. Vielmehr haben wir einen Mangel an Absolventinnen und Absolventen, die bereit sind, Allgemeinmediziner zu werden und in den ländlichen Raum zu gehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das können Sie nicht durch die Erhöhung der Zahl der Studierenden ändern, sondern das können Sie nur über die Inhalte des Medizinstudiums ändern. Es geht um die Ausrichtung an einer ganzheitlichen medizinischen Versorgung. Es muss ein Werben für die Allgemeinmedizin geben. Es bedarf aber keiner Subventionierung der Studienplätze.

Mir war überhaupt nicht bekannt, dass es ein Problem bei der Versorgung mit Zahnärzten gibt. Warum sehen Sie da plötzlich Geschenke vor? Entschuldigen Sie bitte, aber es gibt keine Zulassungsbeschränkung für Zahnärzte. Es ist mir völlig unklar, warum da so etwas auftaucht. Das sieht eher nach teuren Geschenken an bestimmte Lobbys ohne Not aus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, einen Punkt muss man auch noch einmal weiter vertiefen. Dabei geht es um die Frage, wie der allgemeine Satz, man wolle die Allgemeinmedizin stärken, umgesetzt werden soll. Ich bin gerade beim Thema Studium schon einmal kurz darauf eingegangen. Letztendlich haben wir es hier doch mit einem Hierarchieproblem zwischen Arztgruppen zu tun. Daran muss man ganz anders herangehen. Man müsste zumindest einmal präzisieren, worin die Stärkung der Allgemeinmedizin, die ich für richtig halte, aus Sicht der Politik überhaupt bestehen könnte.

Ich glaube, sowohl mit der Bund-Länder-Kommission als auch mit den Eckpunkten, die jetzt in Berlin vorgelegt wurden, wurden eine ganze Reihe positiver Ansätze erreicht. Aber es bleiben noch eine ganze Reihe Fragen offen. Letztendlich bleibt auch die Frage offen, ob das tatsächlich alles etwas nützen wird. Denn die Versorgungsprobleme haben auch noch andere Gründe. Herr Kollege Spies ist schon darauf eingegangen. Ich habe Ihnen einmal etwas mitgebracht.

(Die Rednerin hält die Seite einer Zeitung hoch.)

Hier ist der Westen von Frankfurt abgebildet. Auf der Karte sehen Sie, wie die Sitze der Allgemeinmediziner verteilt sind. Sehen Sie sich einmal Unterliederbach an. Das ist ein sozial benachteiligter Stadtteil, direkt an der A 66. Da kommen Sie alle vorbei, wenn Sie hierher fahren. Sie sehen, dass sich da überhaupt kein Allgemeinmediziner niedergelassen hat.

Das heißt, wir haben in bestimmten Regionen bereits heute eine Unterversorgung. Das hängt natürlich nicht damit zusammen, ob es sich um Stadt oder Land handelt. Vielmehr hängt das davon ab, wie viele Privatpatienten irgendwo wohnen und wie viel gesetzlich Versicherte es da gibt. In den Bereichen, in denen nur gesetzlich Versicherte wohnen, haben Sie keine medizinische Versorgung mehr. Vielmehr müssen die dort Wohnenden zur Not mit dem Bus fahren, um mit ihrer Familie zum Hausarzt zu kommen.

Das ist die Situation, mit der wir es hier zu tun haben. Warum Sie immer nur vom ländlichen Raum sprechen, ist mir in diesem Zusammenhang unklar. Wenn wir schon über die Frage der Versorgung und über die Möglichkeit eines Versorgungsgesetzes reden, dann müssen wir auch über die benachteiligten Stadtteile und über die absurde Trennung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung reden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ein Versorgungsgesetz mag schon sehr schön sein. Es kann sicherlich auch vieles erleichtern. Da bin ich ganz bei Ihnen. Es wird aber nicht alle Probleme vor Ort lösen können.

Wir brauchen ganz dringend eine bessere Zusammenarbeit und Vernetzung der heute vorhandenen Versorgungsangebote. Das betrifft die Krankenhäuser, die Arztpraxen, die Pflegedienste und den öffentlichen Gesundheitsdienst. Wir können hinsichtlich der Versorgung Synergieeffekte schaffen. Das ist übrigens nicht nur sinnvoll und billiger, sondern es verbessert auch noch die Versorgung der Patienten. Von daher sollten wir das ohnehin angehen.

Ich habe es bereits gesagt: Wir brauchen eine Aufwertung der Allgemeinmedizin. Wir brauchen wieder eine Medizin, die sich daran orientiert, dass ein Mensch nicht aus einzelnen Organen besteht, sondern daran, dass es sich um einen Mensch in seiner Umwelt handelt. Wir brauchen deshalb eine hausärztliche Versorgung, die den Menschen gerecht wird, bei der sie nicht als einzelne Teile angesehen werden, sondern als Menschen in einem sozialen Feld.

Das gesamte soziale Umfeld muss in Augenschein genommen werden. Wer kann das besser als ein Hausarzt mit seinem allgemeinen Zugang zur Gesundheit und zu Krankheit?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen auch über die Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte und des Pflegepersonals sprechen. Das wurde schon angesprochen. Wir haben heute eine ambulante Versorgungsstruktur mit einzelnen Praxen. Das hat mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf überhaupt nichts zu tun. Vielmehr baut das auf alten hierarchischen und patriarchalischen Familienstrukturen auf.

Damit wird deutlich, dass wir andere Formen des Arbeitens brauchen. Wir brauchen die Möglichkeit der Teilzeitarbeit. Wir brauchen die Möglichkeit, im Angestelltenverhältnis zu arbeiten. Im Prinzip brauchen wir eine sehr flexible Angebotsstruktur bei den Arbeitsplätzen im ambulanten Bereich. Das ist bisher aufgrund der Ideologie verhindert worden.

Letztendlich brauchen wir jetzt aber diese Arbeitsplätze, weil die jungen Ärztinnen und Ärzte und weil die jungen Krankenschwestern und Krankenpfleger nicht mehr nach dem suchen, was Sie vor Kurzem noch als Ideal propagiert haben, nämlich die freie Niederlassung als einzelner Arzt. Sie brauchen viel mehr Arbeitsplätze, die mit ihrer Familiensituation vereinbar sind.

Dazu gehören Genossenschaften, dazu gehören medizinische Versorgungszentren usw.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vorsitz.)

Wir brauchen mehr Kompetenz in den Kommunen, das habe ich schon angesprochen. Wir brauchen die entsprechende Finanzierung. Wenn die Funktionäre der kassenärztlichen Vereinigungen nicht in der Lage sind, die Versorgung sicherzustellen, dann ist es das Recht der Kommunen, diese Aufgabe zu übernehmen. Dann heißt es aber auch, dass man an die Gesamtvergütung herangeht und die Kommunen entsprechend finanziell ausstattet. Damit könnten wir es tatsächlich schaffen, dieses Problem in vielen Kommunen zu lösen.

Wir können es vielleicht nicht in allen Kommunen lösen. Das Land muss noch einmal genauer hinschauen, was passiert, wenn sich in einem Ortsteil oder einer Gemeinde tatsächlich kein Arzt niederlässt. Wir haben dafür ein Konzept vorgelegt, z.B. mit Ärzten auf Rädern und anderen Versorgungsformen. Es kommt auf Flexibilität und eine Vielfalt von Angeboten an. Dafür möchte ich mich einsetzen. Dafür benötigen wir einen Versorgungsplan, der das ermöglicht und die kleinen Pflänzchen, die überall über Land entstanden sind, nicht wieder kaputt macht. Mit dem, was auf Bundesebene vorgelegt worden ist, bleiben zu viele Fragen offen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Präsident Norbert Kartmann:

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