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31.05.2012

Kordula Schulz-Asche: Rettung der kommunalen Krankenhäuser in Hessen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine gute und an den Interessen der Patientinnen und Patienten ausgerichtete Krankenversorgung ist für uns ein wichtiger Bestandteil der Daseinsvorsorge, die in Hessen nach wie vor in erheblichem Maße – –

(Anhaltende Unruhe)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Einen Moment, Frau Kollegin. Ich würde dann doch die Damen und Herren Kollegen bitten, etwas Ruhe im Saal zu wahren. Wie gesagt: Gespräche sind außerhalb des Saales zu führen. Bitte schön, Frau Schulz-Asche.

Kordula Schulz-Asche:

Herzlichen Dank, Herr Präsident. Ich fange einfach noch einmal an.

Eine gute und an den Interessen der Patientinnen und Patienten ausgerichtete Krankenversorgung ist für uns ein wichtiger Bestandteil der Daseinsvorsorge, die in Hessen nach wie vor zu einem ganz erheblichen Teil und in einem guten Maße von Kommunalen Krankenhäusern geleistet wird. Jeden Tag und jede Nacht erfahren viele kranke Menschen, dass sie sich auf diese Versorgung verlassen können und gehen medizinisch und pflegerisch gut betreut wieder nach Hause.

Immer mehr Patientinnen und Patienten merken aber, dass das Personal zunehmend unter Druck steht und überlastet ist. Immer häufiger entnehmen sie ihren Tageszeitungen und anderen Pressemeldungen, dass Ihr Krankenhaus Schulden macht und dass die Städte und Kreise finanziell einspringen müssen, wenn sie das überhaupt können. Spätestens seitdem das Übernahmeangebot des großen Klinikkonzerns Fresenius gegenüber der Rhönklinik AG läuft, wissen wir, dass der gesamte Gesundheitsmarkt in starker Bewegung ist und dass es Zeit ist, sich dafür einzusetzen, dass die Vielfalt der Träger erhalten bleibt und dass insbesondere die Rettung der kommunalen Krankenhäuser in den Fokus der Landespolitik rückt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Vorhaltung wichtiger Versorgungsangebote, insbesondere die Notfallversorgung, wird durch öffentlich-rechtliche Häuser erbracht. Ich halte das auch für richtig so. Ich halte das für richtig, gerade in diesen Bereichen, die eben nicht profitabel arbeiten können, weil sie nicht immer ausgelastet sind. Ich halte diese Bereiche in öffentlich-rechtlicher Hand für richtig und ziehe sie hier jeder Form von Privatisierung – auch Teilprivatisierung – vor.

Die wachsenden Defizite der kommunalen Kliniken sind ein Problem, und wir müssen alle zusammen dieses Problem lösen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Gründe, warum viele Kliniken in solchen finanziellen Notlagen sind, sind sehr unterschiedlich. Einige sind in dem derzeitigen Finanzierungssystem begründet, aber auch in den Preiverhandlungen. So haben wir hier in Hessen einen sehr niedrigen Basisfallwert, sodass die Kosten für die einzelnen Fälle in den Krankenhäusern nicht gedeckt werden. Wir haben seit langem in den Fallpauschalen keine angemessene Berücksichtigung von Tariferhöhungen. Das führt dazu, dass die Betriebskosten mit der Preisentwicklung in den Krankenhäusern nicht mehr Schritthalten und von daher immer weiter dazu führen, dass die Krankenhäuser sehen müssen, wie sie Kosten einsparen können, leider dann oft im Personalbereich, besonders in der Pflege.

Wir haben einen weiteren Grung für die wachsenden Defizite. Da ist dann allerdings auch die Landesregierung mit verantwortlich. Wir haben zum Beispiel im Rhein-Main-Gebiet tatsächlich ein Überangebot an stationärer Versorgung. Das führt dazu, dass sich die Krankenhäuser in der Region in einem sehr unguten Konkurrenzkampf um Patienten und Personal befinden. Das kann auf Dauer sicher nicht dazu beitragen, eine gute Patientenversorgung aufrecht zu erhalten. Es kann nicht sein, dass die Krankenhäuser versuchen, sich gegenseitig die Patienten abzujagen oder qualifiziertes Personal über außertarifliche Bezahlung von anderen Häusern abzuwerben. Das ist kein guter Wettbewerb, sondern das ist Konkurrenzkampf, der zu Lasten der Patientenversorgung geht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass diese Situation überhaupt in diesem Ausmaß entstanden ist, hat auch damit zu tun, dass Investitionsmittel, die über das Land vergeben werden, gießkannenartig in der Region verstreut wurden – und noch dazu unzureichend, was zu einem weiteren Problem führt, nämlich zu einer Verschuldung von Krankenhäusern, die diese Investitionsmittel aufstocken, dass sie tatsächlich auch neu bauen können. Viele Bausubstanzen sind in der Region überaltert. Aber wenn Sie sich anschauen, aus welchen Gründen die kommunalen Krankenhäuser jetzt besonders in die roten Zahlen fahren, dann sehen Sie, dass man versucht, die Investitionsmittel des Landes durch zusätzliche Darlehen aufzustocken. Und da man die Zinsen ebenfalls aus den Betriebskosten rückerstatten muss, ist das Defizit vorgegeben. Deswegen hat das dazu geführt, dass von den kommunalen Krankenhäusern, die wir in Hessen im Klinikverbund haben, allein in den letzten fünf Jahren fünf zusätzliche Krankenhäuser in die roten Zahlen gerutscht sind und damit die Gesamtzahl auf jetzt fünfzehn Krankenhäuser angewachsen ist.

Das ist kein Zustand, den wir weiter einfach so hinnehmen können. Das kann auch eine Landesregierung nicht länger zulassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Die LINKE hat hier einen Antrag eingebracht, der in seiner Plumpheit überhaupt nicht an den Ursachen des Problems angreift.

Von daher werden wir den Antrag ablehnen. Die Situation, die ich beschrieben habe, hat gar nichts damit zu tun, ob diese Krankenhäuser kommunal oder privat geführt werden. Wir wissen, dass kommunale Krankenhäuser noch mehr Probleme haben, aus Vergabegründen und aus tarifrechtlichen Gründen. Aber die Grundprobleme der Finanzierung, die alle Krankenhäuser unabhängig von der Trägerschaft haben, sind identisch. Deswegen würde Ihr Vorschlag überhaupt keinen Beitrag für eine gute Patientenversorgungleisten.

Lassen Sie uns also überlegen, was zu tun ist. Im Dezember hat Herr Gesundheitsminister Grüttner ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu überprüfen, ob man die Krankenhäuser Hessens oder zumindest des Rhein-Main-Gebiets in einer Holdingstruktur zusammenfassen kann, um sie stärker am Markt aufzustellen.

Meine Damen und Herren, das kann aber nicht der einzige Ansatz sein. Denn ich hatte eingangs erwähnt: Wir haben in Hessen Versorgungsgebiete, die stationär unterversorgt sind. Wir haben andere Gebiete – das gilt für bestimmte Versorgungsbereiche, für bestimmte Krankheiten –, die sind überversorgt. Die Entscheidung darüber, welche Angebote von öffentlichen Häusern, unterstützt mit Landesmitteln, vorgehalten werden, ist eine hochpolitische Entscheidung. Das wissen Sie alle. Alle sind emotional mit ihren kommunalen Krankenhäusern verbunden, auch wo sie stehen, warum sie dort stehen, historisch gesehen. Eine Entscheidung darüber, welche Krankenhäuser oder welche Angebote wo vorgehalten werden, können von der Landesregierung nicht in eine Holdingstruktur übergeben werden. Das ist eine politische Entscheidung, für die eine Landesregierung die Verantwortung übernehmen muss. Deswegen schlagen wir vor, dass erstens eine Bestandsaufnahme gemacht wird, wie die jetzige Versorgungssituation aussieht, dass ein Versorgungsatlas erstellt wird, mit dem gemeinsam und transparent mit allen Beteiligten die Zukunft der stationären Versorgung begründet werden kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie prüfen im Moment eine einzige Strukturlösung. Wenn man sich das Rhein-Main-Gebiet anschaut, dann sieht man sehr unterschiedliche Versorgungsangebote in den Krankenhäusern selbst. Man sieht aber auch sehr unterschiedliche Nachfragen vonseiten der Patientinnen und Patienten, sehr unterschiedliche Patientenströme: Wer geht wohin? Welche Krankenhäuser werden von welchen Regionen bevorzugt? – Das hat übrigens oft nichts mit den Grenzen der Landkreise oder der Städte zu tun.

Von daher ist nicht nur die Frage zu stellen, ob zweitens eine Holdingstruktur unter Umständen nur für das Rhein-Main-Gebiet geeignet ist, sondern wir müssen alle möglichen Formen für eine bessere, engere Zusammenarbeit der kommunalen Krankenhäuser prüfen. Dazu gehören Fusionen. Dazu gehören verschiedene Dachstrukturen. Dazu gehört unter Umständen die Beibehaltung der jetzigen Struktur. Mit dieser Prüfung kann man die kommunalen Krankenhäuser nicht allein lassen. Wenn man das tut, riskiert man, dass sie sich überhaupt nicht mehr retten können, sondern tatsächlich alle pleitegehen.

Dritter Punkt. Wenn wir uns einige Krankenhäuser gerade im Rhein-Main-Gebiet anschauen, dann sehen wir, dass dort schon extreme Verschuldungen vorliegen. Wie brauchen ein Konzept, wie mit den Altschulden umzugehen ist. Wenn Sie ein Krankenhaus mit einem Neubau sehen, dann können Sie davon ausgehen, dass dieses Krankenhaus, wenn es nicht schon soweit ist, in den nächsten Jahren in die Miesen abrutschen wird, weil die Gegenfinanzierung und die Zinszahlungen aus den Betriebskosten geleistet werden müssen. Ich glaube, einigen von Ihnen fallen sofort einige Krankenhäuser ein, auf die das zutrifft.

Deswegen halte ich es grundsätzlich für notwendig, dass wir, wenn wir die Trägervielfalt wirklich erhalten wollen, uns ernsthaft mit der Frage beschäftigen müssen, welche Versorgungsbereiche wir zusammenfassen. Wir müssen uns das ansehen und dann entscheiden. Nur so ist es meiner Meinung nach möglich, der Bevölkerung, den Beschäftigten in den Krankenhäusern, den Geschäftsführern, den Landräten und den Kommunalparlamenten klarzumachen, wie eine gute, wie eine angemessene, wie eine auch für die Zukunft gerüstete stationäre Krankenversorgung in Hessen und im Rhein-Main-Gebiet aussehen kann und muss. Deswegen fordere ich Transparenz. Wir brauchen eine Bestandsaufnahme. Wir brauchen eine anständige Finanzierung der Investitionen. Wir brauchen eine dauerhafte Entschuldung, und wir brauchen neue und innovative Kooperationsformen für eine gute Patientenversorgung in Hessen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Frau Schulz-Asche.

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