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07.06.2011

Kordula Schulz-Asche: Regierungserklärung des Hessischen Sozialministers - „Ärztliche Versorgung sichern“

Herr Präsident, ich habe zwar heute ein Abendprogramm, aber danach hätte ich für einen Tango noch Zeit – wir können uns gerne treffen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Da Sie wissen, dass ich eine Verfechterin von Gesundheitsförderung und Prävention bin, glaube ich, es würde mir auch guttun, ein bisschen mehr Tango zu tanzen. – Aber jetzt kommen wir einmal zum Thema, das wir hier gerade beraten.

Meine Damen und Herren, in der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses am 5. Mai dieses Jahres hat der Ausschuss einstimmig einen Entschließungsantrag angenommen, der die stärkere Mitsprache der Länder bei der ärztlichen Bedarfsplanung ausdrücklich begrüßt und sogar die Landesregierung in der Rolle der Leitung der Gesundheitsministerkonferenz ebenso wie die Durchsetzung der Landesregierung gegenüber dem FDP-Bundesgesundheitsminister ausdrücklich gelobt hat. Das geschah deswegen, weil es eine große Einigkeit darüber gab, dass wir es hier mit einem Problembereich der Bedarfsplanung zu tun haben, dass es notwendig ist, hier staatlicherseits einzugreifen. Ich sage das ausdrücklich, weil es auch Leute geben soll, die der Meinung sind, dass sich auch im ärztlichen Bereich vieles alleine durch freie Marktwirtschaft regeln könnte, ohne Einflussnahme von staatlicher Seite.

Deswegen möchte ich nochmals von dieser Stelle hier ausdrücklich sagen: Ich finde es nicht nur ganz hervorragend, wie sich unser Gesundheitsminister dort eingesetzt hat, sondern dass es auch eine große Einigkeit der Bundesländer darin gab, dass es eine steuernde Rolle sowohl des Bundes als auch der Länder bei der Bedarfsplanung geben sollte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, nachdem wir diese große Einigkeit hatten, frage ich mich jetzt,

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

warum Sie heute diese Regierungserklärung abgegeben haben. Denn Substanzielles ist eigentlich nicht dazugekommen.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Sie haben die gleichen Punkte wiederholt, die wir schon alle begrüßt haben. Sie haben sie eigentlich nicht erweitert, und Sie haben sie vor allem an den meisten Punkten nicht konkretisiert, bei denen man fragen kann: Was heißt denn das eigentlich? Wie setzen Sie das um, was auf der Bundesebene in Planung ist – es ist dort ja noch nicht einmal beschlossen? Welche Instrumente haben Sie denn jetzt? Entwickeln Sie welche, um die Länderkompetenz vor Ort tatsächlich auszuschöpfen? Da bleibt Ihre Regierungserklärung überall diffus.

Trotzdem möchte ich jetzt in die Details einsteigen, indem ich mit dem Lob anfange – ich muss fast sagen: mit dem Lob weitermache, denn ich bin heute hier ganz groß im Loben.

Wir haben eine große Einigkeit bei der Frage, wo die Problemlagen sind. Zum einen haben Sie sehr richtig ausgeführt, dass wir eine Alterung der Bevölkerung haben. Das führt einerseits zu einer wachsenden Nachfrage nach medizinischer, vor allem aber nach pflegerischer und nach sozialer Versorgung – und das besonders in Regionen, die einen hohen Bevölkerungsanteil älterer Jahrgänge haben. Das aber ist vor allem der ländliche Raum.

Die steigende Nachfrage in der Gesundheitsversorgung seitens der Patienten geht aber mit der gleichzeitigen Alterung der Leistungsanbieter einher. Auch die Ärzte werden älter. Wenn wir uns anschauen, wie es im Moment aussieht, dann stellen wir fest: Von den Vertragsärzten – die also in der ambulanten Versorgung als Kassenärzte tätig sind – sind rund 20 % 60 Jahre oder älter. Das ist ein Fünftel. Da kann man sich vorstellen, dass die in den nächsten fünf oder sechs Jahren ausscheiden werden. Dadurch könnte sich natürlich die Situation der Versorgung verschlechtern. Das ist durchaus absehbar, und darin sind wir uns alle einig.

Sie haben es richtig angesprochen, Herr Minister Grüttner: Wir sind sehr froh, dass die Kassenärztliche Vereinigung endlich angefangen hat, Zahlen vorzulegen, die natürlich alle bekannt sind, wie alt in den einzelnen Landkreisen die dort niedergelassenen Ärzte sind, sodass man gucken kann, wann die ausscheiden. Man kann auch einmal zehn Jahre vorher anfangen, nach Vertretern zu suchen, und nicht erst, wenn jemand aus Krankheitsgründen oder Altersgründen ausscheidet.

Meine Damen und Herren, das ist ein Versäumnis, das man der Kassenärztlichen Vereinigung in Hessen vorwerfen muss. Deswegen bin ich ausdrücklich froh, dass aufgrund des Drucks des Landkreistags diese Statistiken endlich öffentlich und allgemein zugänglich gemacht werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Da ich gerade bei der Kassenärztlichen Vereinigung bin, mache ich gleich mit meinem zweiten Punkt weiter. Die Sicherstellung der ambulanten Versorgung liegt bei den Kassenärztlichen Vereinigungen. Sie ist bisher rein quantitativ. Das heißt, sie bezieht sich allein auf Einwohnerzahlen und Arztzahlen, und sie ermöglicht – das ist schon gesagt worden – keine kleinräumige Planung. Das heißt, es kommt zu Verteilungsverzerrungen, und das ist eines der Probleme, die wir im Moment haben.

Wir haben keinen Mangel an Ärzten. Da widerspreche ich Ihnen ausdrücklich. Wir haben seit Jahren eigentlich immer einen Zuwachs der Zahl der Ärzte. Wir haben auch ständig eine Zunahme der Zahl von Ärzten, die sich ambulant niederlassen. Es ist also nicht ein Problem der Zahlen, sondern es ist ein Problem der Verteilung, wo die Leute hingehen.

Sie gehen natürlich dorthin, wo man eine Kassenzulassung bekommen kann, wo man viele Privatpatienten hat, mit denen man die Arztpraxen aufwerten kann. Das führt dazu, dass viele Ärzte in die Ballungsräume bzw. die größeren Städte im ländlichen Raum gehen. Denn dort haben sie Schulen, und zwar nicht nur Schulen für ihre Kinder, sondern dort gibt es viele Beamte, die privat versichert sind und die für Kassenärzte als zusätzliche Einkommensquelle durchaus lukrativ sind.

Deshalb haben wir auch Verteilungsprobleme in den sozialen Brennpunkten. Das ist von Herrn Dr. Spieß schon angesprochen worden. Ich beziehe mich jetzt nicht auf Darmstadt, sondern auf einen Artikel des „Höchster Kreisblattes“. Da ging es um den westlichen Teil von Frankfurt, nördlich vom Main. Die sozialen Brennpunkte sind dort mit Allgemeinärzten praktisch überhaupt nicht versorgt. Um dort zu einem Allgemeinarzt zu kommen, müssen Sie in einen Bus steigen. Wenn Sie Kinder haben, haben Sie gleich Fahrtkosten, nur um zum Arzt zu kommen. Dass das keine vernünftige Versorgung in der heutigen Zeit ist und dass hier Handlungsbedarf besteht, ist eindeutig. Aber auch da sind wir uns alle einig, dass das ein Problem ist.

Wir müssen feststellen, dass wir bei den sich ins Berufsleben begebenden Ärzten einen zurückgehenden Anteil von Hausärzten haben, weil es sich nicht lohnt, Hausarzt zu sein. Dieses Problem ist dramatisch. Es ist lukrativer, Facharzt zu werden, weil dort die Abrechnungssysteme so sind, dass man besser verdienen kann. Bei den Hausärzten haben wir tatsächlich Versorgungslücken, und das macht sich im Moment besonders im ländlichen Raum bemerkbar, weil dort die Anforderungen an Hausärzte mit Bereitschaftsdiensten, mit wegfallenden Arztpraxen und die Belastungen besonders wachsen. Deshalb nimmt die Attraktivität besonders in diesen Regionen ab.

Nun mein dritter Punkt: Wir haben eine weitere Veränderung, nicht unbedingt ein Problem: Wir haben einen wachsenden Frauenanteil von derzeit 36 Prozent bei den niedergelassenen Ärzten, und er ist ständig steigend. Wir können davon ausgehen, dass er bald über die Hälfte gehen wird; denn im Wintersemester 2010/2011 waren 61,3 Prozent der Absolventen im Medizinstudium Frauen. Bei den neu Immatrikulierten für das Medizinstudium waren es 62,6 Prozent.

Das heißt, hier ist deutlich eine so genannte Verweiblichung des gesamten Berufs zu sehen, und deswegen ist die Frage: Welche Strukturen brauchen wir, um Frauen, aber auch Männer und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und bestimmten Lebensmodellen gerecht zu werden?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weder das Land noch die Kommunen können bisher Versorgungsangebote, Qualität und andere Fragen, die mit der Versorgung zu tun haben, beeinflussen. Die Folge sind mangelnde regionale, fachliche, berufsübergreifende und sektorenübergreifende Vernetzungen. Eine bessere regionale Kooperation zwischen ambulanter Ärzteschaft und den kommunalen Krankenhäusern ist erst mit dem neuen Krankenhausgesetz – das ist angesprochen worden – möglich geworden, und die Umsetzung befindet sich, wenn man es ganz freundlich ausdrückt, im Frühstadium. Es fehlen noch Steuerungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene. Herr Dr. Spies hat schon darauf hingewiesen, dass wir als GRÜNE bereits vor Jahren versucht haben, solche Gesundheitskonferenzen auf kommunaler Ebene einzuführen,

(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

um zu ermöglichen, sich frühzeitig damit zu befassen, was die Menschen vor Ort an Versorgung brauchen. Diese Frage, was die Menschen brauchen, sollte im Zentrum all unserer Überlegungen stehen. Denn letztlich geht es nicht darum, was die Anbieter verdienen oder wie es ihnen geht, sondern darum, welche Versorgung wir für die Menschen im ländlichen Raum, in den sozialen Brennpunkten und generell haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun zu der Frage, ob diese Probleme, bei denen wir weitgehend einig sind, mit dem, was Sie heute in Ihrer Regierungserklärung gesagt haben, überhaupt gelöst werden können. Sie haben zwei Handlungsebenen dargestellt. Ich befasse mich zuerst mit der Bundesebene. Es liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Das Zweite ist die Handlungsebene des Landes.

Zunächst zur Bundesebene. Dort gibt es einen Gesetzentwurf, der heißt: Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach der Regierungserklärung hat man den Eindruck, dass es hier vor allem um die bessere Planung und Gestaltung seitens der Länder geht. In Wirklichkeit stimmt das nicht. Es ist eigentlich ein Klientelversorgungsgesetz, eine umfangreiche Honorarreform. Das, worüber wir hier hauptsächlich diskutieren, ist nur ein Teil davon, aber einer, wo wir uns sehr einig sind. Von daher will ich mich jetzt auf diese Fragen konzentrieren.

Wenn man Unterversorgung nicht vor allem als ein Problem der Honorare sieht, der Honorierung von Ärztinnen und Ärzten – das ist immer ein Spezialgebiet der FDP, die gerade nicht zuhört –, sondern daraufhin betrachtet, dass wir Verteilungsprobleme haben, dann muss man sich überlegen, wie man diese Verteilungsprobleme angehen kann. Da gebe ich Ihnen nicht recht, denn zur Frage, wie wir mit der Überversorgung in den Ballungsräumen umgehen, findet sich im Gesetzentwurf fast überhaupt nichts.

Aber der Kuchen, den wir zu verteilen haben – es geht um das Gesamtbudget für die Ärzteschaft –, wird nicht größer, indem ich ihn in mehrere Teile schneide. Er wird übrigens auch nicht besser, wenn ich ihn in mehrere Teile schneide. Der Kuchen bleibt immer gleich groß, und das Einzige, wovor ich Angst habe, ist, dass Verteilungskonflikte um die Honorare nicht mehr nur auf der Bundesebene oder der Landesebene, sondern auch noch vor Ort stattfinden. Ich glaube, das ist eine der großen Gefahren; denn letztlich geht es bei den Fragen der Gesundheitsversorgung durch die Ärzteschaft immer in erster Linie um das Geld. Das ist sehr schade, und wir sollten aufpassen, dass die Versorgungsfragen nicht wieder bei den Honorarfragen hinten runterfallen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und den LINKEN)

Das, was ich in dem Gesetzentwurf ausdrücklich richtig finde – auch das ist von Ihnen angesprochen worden –, ist die Ausrichtung der Bedarfsplanung, dass in der Bedarfsplanung die Demografie berücksichtigt wird, dass die Morbidität, also die Krankheitshäufigkeit und Krankheitsverteilung, berücksichtigt wird, dass sektorenübergreifende Betrachtungen angestellt werden. Ich finde, das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn wir müssen das Nebeneinander von verschiedenen Krankenhäusern, ambulantem Bereich, fachärztlicher und hausärztlicher Versorgung bis hin zur Pflege sektorübergreifend betrachten. Ich hoffe, dass die angemessene Reaktion auf lokale Ungleichheiten ermöglicht wird.

Sie sagen, Sie sind hier sehr stark im großen Wurf an der Planung beteiligt worden. Es ist auf jeden Fall so, dass sich erst einmal zeigen muss, ob die Länder tatsächlich stärker involviert werden. Wie gesagt, wir müssen in Hessen Instrumente entwickeln, das mit den Beteiligten durchzusetzen und umzusetzen.

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung sind weitere positive Aspekte zu nennen, z. B. die Aufhebung der Residenzpflicht am Praxisort. Hier bin in ganz anderer Meinung als Dr. Spies, weil ich es für den gröbsten Unfug halte, wenn man von der Versorgung oder der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder anderen Formen der Lebensgestaltung ausgeht.

Ich begrüße die Verbesserung der Möglichkeiten der Praxisvertretung bei Elternschaft und Pflege und die überfällige Beendigung der Diskriminierung von Frauen bei der Nachbesetzung von Kassenpraxen. Man hat ja die Mutterschaft im Prinzip negativ angerechnet, wenn sich eine Frau auf eine kassenärztliche Praxis bewerben wollte. Das war ein Unding, und es war längst überfällig, dass das abgeschafft wurde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN)

Bei allen positiven Anmerkungen ist aber die Frage, ob allein mit diesen Maßnahmen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für in der ambulanten Versorgung Beschäftigte tatsächlich verbessert wird. Da gebe ich Herrn Dr. Spies völlig recht. Die Frage ist doch: Wäre es nicht nötig, mehr Teilzeitstellen zu schaffen, und zwar für Männer und für Frauen, und zu ermöglichen, sich auch als ärztliche Angestellte im ländlichen Raum niederzulassen, um unterversorgte Gebiete künftig auf die Weise zu versorgen, dass mehrere Kollegen und Kolleginnen mit Familie, mit Kindern die Bereitschaftsdienste gemeinsam abdecken? Das sind Fragen, die noch geklärt werden müssen. Leider sind hier überhaupt keine Ansätze zu sehen, weil es eine ideologische Blockade gibt, überhaupt über Teilzeitstellen und Angestelltenverhältnisse zu reden, weil nach wie vor der „freie Beruf“ im Vordergrund steht. Das hat mit der Realität der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum aber überhaupt nichts mehr zu tun. Wir reden über entstehende und vorhandene Mangelbereiche, und da geht es darum, dass wir endlich auch Teilzeitstellen und Angestelltenverhältnisse ermöglichen.

Herr Dr. Bartelt, deshalb ist mir überhaupt nicht klar, warum es durch dieses Gesetz erschwert wird, medizinische Versorgungszentren in der Trägerschaft von kommunalen Krankenhäusern einzurichten. Wir alle wissen, dass wir sowohl in kommunalen Krankenhäusern als auch im ambulanten Bereich einen zunehmenden Mangel an Fachärztinnen und Fachärzten haben werden. Auch im ländlichen Raum ist es nicht besonders attraktiv, in Krankenhäusern zu arbeiten. Das heißt, wir haben nach wie vor – auch im ländlichen Raum – eine Konkurrenz zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich um die besten Fachärzte. Das kann doch nicht wirklich das Ziel sein. Deshalb brauchen wir – auch in diesem Gesetz – dringend Verbesserungen und Erleichterungen, damit kommunale Krankenhäuser medizinische Versorgungszentren in der Fläche anbieten können, die die Einrichtung von Teilzeitstellen und Angestelltenverhältnisse ermöglichen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Nun zu dem, was Sie auf die Landesebene bezogen vorgetragen haben. Da ist ein Aspekt besonders interessant. Sie sagen, Sie prüfen, ob eine Niederlassung in ländlichen Regionen finanziell unterstützt werden kann. Ich finde, eine solche Aussage dürfen Sie nicht treffen, ohne zu sagen, woher das Geld kommt. Wer zahlt diese finanzielle Unterstützung? Sind es die Kommunen? Ist es das Land? Aus welchem Topf wird das gezahlt? Sie können hier doch nicht einfach Versprechungen machen und sagen, dass Sie das prüfen. Wir alle wissen doch, dass es im Gesundheitssystem genug Geld gibt. Es gibt auch ein Verteilungssystem, das zu einer Überversorgung führt. Ich sehe nicht ein, warum z. B. das Land oder eine unterversorgte Region dafür zahlen soll, dass sich Ärzte im ländlichen Raum niederlassen, während es in den Ballungsräumen eine Überversorgung gibt, die Ärzte dort gut verdienen und gut mit Privatpatienten ausgestattet sind. Ich sehe, ehrlich gesagt, nicht ein, warum da öffentliche Gelder gefragt sein sollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Sie sagen in Ihrer Regierungserklärung, angesichts des Hausärztemangels komme der allgemeinmedizinischen Weiterbildung eine zentrale Bedeutung zu. Natürlich ist das so. Aber was heißt das denn? Wie sieht es denn an unseren Universitäten – nicht nur in den Kliniken – mit dem „Traumberuf“ Hausarzt aus? Warum soll jemand Hausarzt werden, wenn es lukrativer ist, Facharzt zu werden? Das wird auch in den Ausbildungsstätten genau so gesehen. Die Wertschätzung für den Hausarztberuf ist in den letzten Jahren eher verlorengegangen. Mit diesem Problem haben wir jetzt zu kämpfen. Es war stets moderner und es hat sich auch honorarmäßig immer mehr ausgezahlt, wenn man sich spezialisiert hat. Wenn man nur noch für das rechte Knie zuständig war, dann hat man eben mehr verdient, als wenn man für den ganzen Menschen zuständig war. Das ist die Entwicklung in der Medizin, die wir in den letzten Jahren hatten. Darauf müssen wir doch Antworten finden, die sich in der Ausbildung sowie in der Fort- und Weiterbildung niederschlagen. Dazu haben Sie heute leider überhaupt nichts gesagt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Sie haben mit großem Getöse Ihre Landesarbeitsgruppe vorgestellt, die das Ziel verfolgt, einen „Hessischen Pakt zur Sicherung der gesundheitlichen Versorgung“ zu formulieren. Der einzige aussagekräftige Satz, den Sie in Ihrer Regierungserklärung dazu gesagt haben – ich zitiere und habe extra aufgepasst, ob Sie das genau so vortragen –:

Aber es scheint einen grundsätzlichen Konsens zu geben, den Beteiligten vor Ort mit speziellen Maßnahmen patientengerechte und auf die regionalen Versorgungsstrukturen aufbauende Lösungsoptionen zu bieten.

Ich weiß nicht, ob irgendjemand verstanden hat, was die Landesregierung vorhat. Ich habe es nicht verstanden.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Thomas Spies (SPD): Die Landesregierung hat es auch nicht verstanden!)

Herr Minister, Sie tragen hier in der Regierungserklärung zu einem Punkt vor, bei dem wir eine Gemeinsamkeit im Hause haben, wozu wir gemeinsam etwas beschlossen haben, wo wir gesagt haben, wir finden die Eckpunkte richtig, die Sie in das Versorgungsgesetz geschrieben haben. Dann kommen Sie aber hierher und haben eigentlich überhaupt nichts zu liefern. Diese Arbeitsgruppe ist ein gutes Beispiel dafür. Warum haben Sie nicht gewartet, bis dort Ergebnisse vorliegen, um diese Regierungserklärung zu geben? Dann hätte man sich endlich einmal darüber unterhalten können, was in Hessen tatsächlich ansteht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Es gibt aber nichts Schöneres als den eben zitierten Satz, weil er zeigt, dass Sie derzeit gar nichts in der Hand haben – maximal einen Spatz, und den haben Sie mit dieser Regierungserklärung aufzublasen versucht. Das ist für eine Regierungserklärung wirklich nicht sinnvoll.

(Zurufe: Tierschutz!)

Meine Damen und Herren, wir brauchen neue Formen der regionalen Versorgung. Da sind wir uns alle einig. Wir brauchen eine Gesundheitsförderung und eine Krankenversorgung, die sich an den Menschen und ihren Bedarfen statt ausschließlich an den Leistungsanbietern orientiert. Regionale und lokale Gegebenheiten müssen ebenso berücksichtigt werden wie Krankheitshäufigkeiten, Gesundheitsziele und Sozialstrukturen. Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit verschiedener Versorgungsstrukturen und eine engere Zusammenarbeit von Ärzten, Krankenhäusern und Sozialeinrichtungen. Die dafür notwendige Koordinierung kann und muss in erster Linie durch die Kommunen und die Landkreise geleistet werden, wie wir GRÜNEN das mit dem „Haus der Gesundheit“ vorschlagen:

Vizepräsident Lothar Quanz:

Bitte kommen sie zum Schluss, Frau Kollegin.

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Primärversorgung, Hausärzte, Gemeindepflege, Delegation ärztlicher Tätigkeit, medizinische Versorgungszentren dort, wo die Unterversorgung schon akut ist.

Mein Fazit: Sie hätten sich diese Regierungserklärung wirklich sparen können. Kommen Sie wieder, wenn Sie ein konkretes Konzept haben. Wir GRÜNEN haben ein solches Konzept zum Thema Gesundheit im ländlichen Raum vorgelegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Frau Schulz-Asche.

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