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16.12.2010

Kordula Schulz-Asche: Pflegenotstand abwenden

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Seit der Enquetekommission Demografischer Wandel befasst sich der Hessische Landtag mit dem Thema der zunehmenden Nachfrage nach Altenpflege auf der einen Seite und der mangelnden Ausbildung von Altenpflege auf der anderen. Der Hessische Pflegemonitor bestätigt jetzt genau diese Befürchtungen, die schon damals aufgeschrieben wurden: Bis 2015 fehlen 1.500 Vollzeitstellen im Bereich der Altenpflege, und bis 2020 sind es 2.800 Vollzeitstellen. Derzeit werden 3.626 junge Menschen ausgebildet. Wir wissen aber, dass dies höchstens ausreicht, ausscheidendes Personal zu ersetzen. Noch dazu wissen wir, dass in diesem Bereich auch sehr viel Teilzeitarbeit gewünscht wird.

Von daher haben wir tatsächlich ein extremes Problem, einen Fachkräftemangel, der hier auf uns zukommt und der bei Weitem höher sein wird, als das, was wir im ärztlichen Bereich haben werden. Deswegen stellt sich die wichtige Frage: Was ist zu tun? – Wir haben jetzt zum einen glücklicherweise einen Mindestlohn. Dieser wird nicht per se dazu führen, dass der Beruf attraktiver wird, er führt aber zumindest dazu, dass der weitere Verfall der Attraktivität nicht zunimmt.

Deswegen begrüßen wir es als zweiten Schritt auch, dass die Landesregierung durch die dreijährige Finanzierung der Ausbildung im Bereich der arbeitslosen und langzeitarbeitslosen Menschen auch hier versucht, dafür zu sorgen, dass überhaupt ausreichend ausgebildet werden kann. Entscheidend ist aber, wie ich glaube: Wir brauchen nicht einzelne kleine Maßnahmen, sondern ein Gesamtkonzept, weil wir wissen, dass wir mehr Menschen haben werden, die auf Pflege angewiesen sein werden; und wir werden immer weniger Menschen haben, die dafür unter Umständen zur Verfügung stehen. Deswegen brauchen wir ein grundsätzlich neues Konzept. Das besteht meiner Meinung nach v. a. im Abräumen bisheriger Hemmnisse:

Erstens. Dazu gehört, was auch Herr Mick schon gesagt hat, den Wiedereinstieg zu erleichtern, Abschlüsse anzuerkennen und das ganze Potenzial, das im Moment schon vorhanden ist, überhaupt erst wieder einmal richtig einsetzen zu können.

Zweitens. Wir müssen uns darüber Gedanken machen, auch das ist angesprochen worden, wie wir die Deckelung der landesgeförderten Ausbildungsplätze in Höhe von 3.500 Ausbildungsplätzen aufheben. Ich sage aber ausdrücklich in Richtung von SPD und Linkspartei dazu, dass dann auch klar sein muss, wie diese Deckelungsaufhebung finanziert werden muss. Das kann man tun, da muss man rangehen. Man kann aber nicht einfach nur sagen, dass man den Deckel aufheben sollte, sondern das muss auch anständig finanziert werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU))

Drittens. Richtig daran ist, dass wir ganz dringend, und zwar so schnell wie möglich, mehr Ausbildung brauchen. Wir brauchen aber auch mehr Effizienz in der Ausbildung. Meines Erachtens ist es an der Zeit, endlich zu einer grundsätzlichen Reform der Alten- und Krankenpflege zu kommen, die dazu führt, dass tatsächlich bedarfsgerecht und von hoher Qualität ausgebildet werden kann und dass dies auch vernünftig gegenfinanziert ist. Viertens: Meiner Meinung nach brauchen wir auch mehr Effizienz in der Pflege selbst. Dazu gehört eine Neubestimmung und Aufwertung sowohl der Alten- als auch der Krankenpflege. In diesem ganzen Bereich der Qualitätsorientierung ist noch sehr viel zu tun. Da sind wir gerade – das gilt für alle hier im Hause – noch ganz am Anfang.

Meine Damen und Herren, wir brauchen natürlich ─ fünftens ─  auch mehr Einnahmen. Auch darüber muss geredet werden. Wir brauchen eine Pflegeversicherung, die in der Lage ist, diesen steigenden Bedarf sowohl an qualifizierter Ausbildung als auch an qualifizierter Pflege bei steigenden Fallzahlen zu finanzieren, und deswegen brauchen wir dringend eine Reform der Pflegeversicherung hin zu einer Bürgerversicherung, um diesen Anforderungen überhaupt gerecht werden zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deswegen glaube ich, dass das Thema so umfassend und gründlich bearbeitet werden muss, dass es für eine Aktuelle Stunde nicht geeignet ist, und auch die Pressemitteilungen der Landesregierung reichen da nicht mehr aus. Wir brauchen endlich ein umfassendes Konzept. Wir brauchen endlich ein umfassendes Handeln, und zwar sowohl auf Landes- als auch Bundesebene. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Frau Schulz-Asche.

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