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28.04.2010

Kordula Schulz-Asche: Kopfpauschale stoppen

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist schön, dass sich hier alle munter unterhalten. Aber ich würde mich freuen, wenn Sie mir zuhören würden.

Die gesetzliche Krankenversicherung hat in Deutschland eine sehr hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Über 90 Prozent der Menschen finden, dass sie richtig organisiert ist. Und wir alle wissen, dass es gute Gründe dafür gibt, die bestehende Versicherung weiterzuentwickeln.

Der eine Grund ist – das ist hier schon mehrfach gesagt worden –, dass wir das jetzige System zu einem gerechteren System weiterentwickeln müssen. Es ist auch gesagt worden, dass wir ein Gesundheitssystem brauchen, das demografiefester ist und die Lebenslagen von Menschen heute berücksichtigt, die sich in den 100 Jahren des Bestehens der Sozialversicherung natürlich verändert haben. Von daher finden wir es richtig, darüber nachzudenken, die heutige gesetzliche Krankenversicherung weiterzuentwickeln.

Ich möchte aber ausdrücklich darum bitten, dass wir nicht nur über die Finanzierung reden, sondern endlich auch über die Qualität der gesundheitlichen Versorgung in unserem Land. Darauf kommt es an, und das ist es, was im Moment auf der Tagesordnung steht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen heute eine Diskussion darüber, welches Gesundheitssystem wir wollen. Herr Kollege Rentsch, wenn ich an die Debatte von heute Morgen denke, muss ich sagen: Unsere Sozialversicherungen und ihre Einbettung in unser Gemeinwesen sind auch ein Teil der staatlichen Funktionen. Wir müssen uns überlegen, welches System wir bei der Gesundheitsversorgung wollen. Dann müssen wir sagen, wie wir dieses System finanzieren wollen. Das ist es, worüber im Moment diskutiert werden muss. Deswegen insistiere ich darauf, dass wir endlich auch über die Qualität der medizinischen Versorgung in unserem Land diskutieren.

In dieser Situation bringt der Bundesgesundheitsminister, der Kollege Rösler von der FDP, einen Systemwechsel ins Gespräch, was meiner Meinung nach schon deswegen falsch ist, weil es von der vorrangigen Debatte über die Qualität der Versorgung ablenkt. Er bringt eine Kopfpauschale ins Gespräch. Eine Anfrage der Bundestagsfraktion der GRÜNEN hat ergeben, dass sogar das Finanzministerium in Berlin überhaupt nicht sagen kann, wie die dadurch entstehenden Kosten für den Steuerausgleich finanziert werden sollen. Für die Zuhörerinnen und Zuhörer ist vielleicht Folgendes interessant: Steuerzuschüsse von 22 bis 35 Milliarden Euro sind im Gespräch.

Gleichzeitig stellt sich die FDP hin und will die Steuern senken. Sie verkauft das als ein nachvollziehbares Programm. Mein Kollege Mathias Wagner hat heute völlig zu Recht gesagt: Ordnungspolitisch ist die FDP auf den Hund gekommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die Bürgerinnen und Bürger spüren, dass sie hier für dumm verkauft werden: Auf der einen Seite soll ein Systemwechsel angestrebt werden, dessen Finanzierung Summen in zweistelliger Milliardenhöhe erfordert, und auf der anderen Seite wird mit Steuersenkungen argumentiert. Dass die Bürger das spüren, sehen wir glücklicherweise an den sinkenden Umfragewerten der FDP. Diese Rechnung geht nicht mehr auf. Die Bürgerinnen und Bürger sind inzwischen sehr viel schlauer, als dass sie nicht merkten, was ihnen von der FDP verkauft werden soll.

Deswegen sage ich eines: Wir müssen endlich von solchen ideologisierten, durch Lobbys angeregten Debatten wegkommen und darüber reden, wie wir die heute existierende gesetzliche Krankenversicherung weiterentwickeln.

Deswegen schlagen wir die Einführung einer Bürgerversicherung vor. Das habe ich an dieser Stelle schon öfter gesagt, obwohl es ein bundespolitisches Thema ist. Wir müssen es schaffen, dass alle Bürgerinnen und Bürger in eine solche Versicherung einzahlen, und wir müssen dafür sorgen, dass sich die Jungen, Reichen und Kinderlosen dem System nicht entziehen können. Sie müssen alle einzahlen. Bei der Festsetzung der Beitragshöhe müssen wir alle Einkunftsarten berücksichtigen.

Wir brauchen eine paritätische Finanzierung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Wir brauchen eine kostenlose Mitversicherung von Kindern und natürlich auch von Ehegattinnen bzw. Ehegatten, wenn sie aufgrund von Kinderbetreuung oder von Pflegeleistungen nicht in der Lage sind, erwerbstätig zu sein. Wir brauchen auch – das sage ich hier noch einmal ausdrücklich – eine vernünftige Abstimmung zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und dem, was im Moment noch in der privaten Krankenversicherung passiert. Wir brauchen einen einheitlichen Rechtsrahmen, damit die Ungerechtigkeit, die durch zwei verschiedene Systeme der Krankenversicherung entsteht, endlich aufgehoben wird und es zu einem gerechteren System kommt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Zu den beiden vorliegenden Anträgen. Wir werden den Antrag der Fraktion DIE LINKE ablehnen, weil er das unfinanzierbare Gegenmodell zu dem Konzept der FDP darstellt, und wir werden dem Antrag der SPD zustimmen, weil sein Inhalt ungefähr in die Richtung geht, die auch wir einschlagen wollen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Frau Kollegin Schulz-Asche.

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