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25.08.2011

Kordula Schulz-Asche: Dem Fachkräftemangel in der Altenpflege begegnen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, dass ich mit einer vielleicht etwas allgemeinen Bemerkung beginne. Wenn wir es heute nicht schaffen, aus dem Pflegeberuf einen attraktiven Beruf zu machen, wenn wir es heute nicht schaffen, ausreichend Bewerberinnen und Bewerber zu finden, die bereit sind, diesen Beruf zu ergreifen, dann werden wir morgen nicht genügend junge Menschen haben, die bereit sind, pflegebedürftige Menschen zu betreuen, zu pflegen, sich um sie zu kümmern.

Vor dieser Aufgabe stehen wir alle. Davor steht nicht nur diese Landesregierung, sondern vor dieser Frage steht auch die Bundesebene. Egal, wer in welchem Bundesland regiert, das wird eine der zentralen Herausforderungen der Zukunft sein, nicht nur, wie wir es schaffen, Pflege zu organisieren, sondern auch, wie wir rechtzeitig anfangen, ausreichend Plätze zu schaffen, ausreichend qualifiziertes Personal auszubilden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir haben eine steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen. Ich habe neulich in einem Vortrag gehört, dass ungefähr die Hälfte aller Menschen wahrscheinlich eine Demenz entwickeln wird, wenn sie nicht vorher sterben. Wir müssen uns auf der Zunge zergehen lassen, was das für eine Gesellschaft bedeutet. Da ist die Dramatik klar, und wir sollten aufpassen, dass wir mit dieser Debatte nicht im parteipolitischen Streit enden, sondern wir sollten es als Herausforderung für unsere gesamte Gesellschaft verstehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben – jetzt zum Kern der uns vorliegenden Anträge – eine steigende Nachfrage nach Altenpflegerinnen und Altenpflegern. Nach dem alten Pflegemonitor von 2007 liegt die Unterdeckung im Moment bei ungefähr 562 Personen. Wir vermuten aber, dass mit dem neuen Pflegemonitor deutlich wird, dass es jetzt schon einen sehr viel größeren Bedarf an Altenpflegerinnen und Altenpflegern gibt. Wir rechnen mit rund 2.000 Fachkräften, die bereits heute in diesem Bereich fehlen.

Wenn wir den Altenpflegemonitor nehmen und ihn hochrechnen, sehen wir, dass wir bis zum Jahr 2020 eine Unterdeckung von 3.000 Pflegefachkräften haben werden. Das ist eine enorme Herausforderung, zumal die Ausbildung die Pflegekräfte über drei Jahre vorbereiten muss. Das heißt, wir müssen jetzt beginnen, diese 3.000 zusätzlichen Plätze aufzubauen. Wer jetzt nicht handelt, handelt wirklich fahrlässig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Landesregierung hat noch zu Beginn dieses Jahres einen Antrag von SPD und GRÜNEN abgelehnt, die Ausbildungskapazität zu erhöhen. Jetzt hat sie einen eigenen Vorschlag eingebracht, der vorsieht, zum beginnenden Schuljahr die Platzzahl um 500 zu erhöhen. Ich sage ausdrücklich, dass ich das für einen Schritt in die richtige Richtung halte. Wir brauchen bereits in diesem Jahr mehr Plätze. Von daher begrüßt meine Fraktion ausdrücklich die Erhöhung der Platzzahl.

(Beifall der Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU))

Allerdings muss man dazusagen, dass sich die Plätze aufteilen in 250 Plätze, die vom Land finanziert werden, was richtig und gut ist, und 250 Plätze – so hatten Sie es wenigstens angekündigt –, die für Umschüler über Bildungsgutscheine seitens der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellt werden.

Es ist bereits erwähnt worden, dass diese 250 Plätze für Umschüler unter Umständen gar nicht zustande kommen. Herr Minister Grüttner, ich würde mich freuen, wenn Sie nachher in Ihren Ausführungen sagen würden, welche Konsequenzen es für die Landesregierung hätte, wenn die BA diese 250 Plätze nicht in diesem Ausmaß zur Verfügung stellen würde. Denn dann würden die von Ihnen zugesagten 500 Plätze nicht mehr zusammenkommen, sondern unter Umständen nur 350 oder 400. Ich würde mich freuen, wenn Sie hier darstellen würde, welche Konsequenzen die Landesregierung daraus zieht.

Meine Damen und Herren, die Erhöhung der Platzzahl zeigt auch, dass Sie kein wirklich langfristiges Konzept haben. Es sieht vielmehr ein bisschen wie Stückwerk aus. Von daher glaube ich – ich mache nicht nur Sie verantwortlich –, dass wir ein Gesamtkonzept brauchen, über die Finanzierung sowohl durch die Pflegeversicherung als auch über Landesmittel sowie durch andere, die sich daran zu beteiligen haben, wie wir die Altenpflegeausbildung auf ein Fundament stellen, um die Bedarfe der Zukunft, die mit dem demografischen Wandel zusammenhängen, tatsächlich befriedigen zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der zweite Punkt, der im Antrag der SPD zu Recht kritisiert wird, ist die Art und Weise, wie Sie die Landesplätze finanzieren. Sie kommen mit einer trickreichen Lösung. Wir haben Zuschüsse für jeden Ausbildungsplatz in Höhe von 320 € pro Monat. Das ist ein Wert – auch das ist schon gesagt worden –, der sich seit 2002 nicht verändert hat. Sie wissen alle, dass es in der Zeit Tariferhöhungen gegeben hat. Sie wissen alle, dass es in der Zeit Mieterhöhungen und Energiekostenerhöhungen gegeben hat, sodass für die Schulen die Nichterhöhung der Pauschale ohnehin seit Längerem ein Problem ist.

Nun kommen Sie und sagen, bei den 320 Euro ändern wir nichts, die bleiben, aber wir nehmen den Altenpflegeschulen etwas weg, und zwar Geld in den Bereichen, in denen sie wenig Steuerungsmöglichkeiten haben. Sie haben Schulabbrecher, das ist schon angesprochen worden. Es gibt Auszubildende, die schwanger werden oder aus anderen Gründen die Ausbildung abbrechen. Dort gab es bisher einen Zuschuss des Landes, um das Risiko gerade für kleinere Schulen zu minimieren, die wenige Lehrer haben, die sie für ihre Klassen vorhalten müssen. In diesem Bereich wird jetzt gekürzt.

Wir sehen die Gefahr, dass insbesondere kleine Schulen davon betroffen sein könnten, dass sie ihre Ausbildungsplätze sogar abbauen müssen, oder gar schließen müssen. Aber auch die größeren Schulen stehen in der Gefahr, dass sie einen Teil der jetzt zugesagten zusätzlichen Plätze über die wegfallende Kostenerstattung bei den Abbrechern selbst finanzieren müssen.

Ich glaube, das ist der Punkt, der im Moment für so viele Irritationen sorgt. Sie machen auf der einen Seite das Richtige. Sie sagen, wir brauchen dringend eine Erhöhung der Plätze. Aber dann fangen Sie an, bei der Gegenfinanzierung nicht ganz sauber zu arbeiten und im Prinzip auch noch zu kürzen. Das spüren die Schulen. Sie haben sich auch darüber beklagt, dass der Dialog mit ihnen nicht ausreichend geführt wurde.

Das ist ein Zeichen, wo Sie als Sozialminister nachlegen müssen, auch in der Vertrauensarbeit. Denn es ist deutlich, dass wir die Aufgabe der Altenpflegeausbildung in diesem Ausmaß nur schaffen können, wenn alle Akteure am Tisch sitzen. Dazu gehören natürlich, was sowohl die Zahl als auch die Qualität der Ausbildungsplätze angeht, die Schulen, die eingebunden werden müssen. Ich fordere Sie ausdrücklich auf, in mehr Dialog mit den Schulen einzutreten, um eine gute, qualifizierte Ausbildung für möglichst viele Menschen, für möglichst viele junge Menschen zu erreichen, um die Attraktivität des Berufes steigern zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir werden dem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen, weil er sich inhaltlich mit unserer Position völlig deckt.

Wir werden den Antrag der LINKEN ablehnen, weil er der Realität einfach nicht entspricht. Man kann sich keine Schüler backen. Das geht einfach nicht. Man muss die jungen Leute vielmehr werben. Wenn keine jungen Leute mehr da sind, kann man ihnen auch keine Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Das, was Sie machen, ist meiner Meinung nach Populismus. Deshalb werden wir den Antrag der LINKEN ablehnen – zumal auch gar nicht klar ist, wie Ihre Forderungen finanziert werden sollen.

Herr Minister, wir werden aber auch genau hinschauen, wie Sie die Finanzierung der Altenpflege im nächsten Haushaltsplan fundiert darstellen. Wir werden genau schauen, wie Ihr Konzept aussieht, um den wachsenden Bedarf im Umfang von 3.000 Plätzen so darzustellen, dass im Haushalt klar wird, dass diese Ausbildungsplätze im Lande Hessen entstehen.

Ich glaube auch, dass wir uns alle darüber unterhalten müssen, ob wir nicht eine Reform der Pflegeausbildung brauchen. Es macht meines Erachtens keinen Sinn, dass wir verschiedene Pflegeberufe haben, die sehr getrennt – sowohl hinsichtlich der Finanzierung und dem Aufbau, der Konstruktion der Ausbildung – nebeneinander herlaufen. Natürlich braucht man in der Altenpflege medizinische und physiologische Kenntnisse; die braucht man aber auch in der Kinderkrankenpflege und in der Gesundheits- und Krankenpflege. Wir haben mit dem System der Kinderkranken-, Gesundheits- und Krankenpflege eigentlich schon ein ganz gutes Vorbild, wie solche Zusammenführungen laufen können, wie man die Qualität der Ausbildung tatsächlich verbessern kann.

Ein weiterer Punkt ist die Aus-, Fort- und Weiterbildung. Natürlich macht es einen Beruf attraktiv, wenn er Möglichkeiten zum Aufstieg und Möglichkeiten der weiteren Qualifikation eröffnet. Auch hier ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, wie man das – ähnlich, wie es in anderen Pflegeberufen schon der Fall ist – organisieren kann. Ich fände es sehr, sehr begrüßenswert, wenn wir dazu kämen, die Ausbildungsinhalte und Ausbildungsformen unter den Bundesländern mehr anzugleichen, als es bisher der Fall ist, denn es ist natürlich grober Unfug, wenn sich die Altenpflegeausbildung in den Bundesländern so unterscheidet – –

Präsident Norbert Kartmann:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Kordula Schulz-Asche :

Ich komme sofort zum Schluss. – Es macht keinen Sinn, dass die Bundesländer hier unterschiedliche Ansätze haben.

Meine Damen und Herren, von daher gesehen gibt es einiges zu diskutieren. Es ist notwendig, dass hier alle an einem Strang ziehen. Letztendlich sind auch die Kommunen betroffen und müssen einbezogen werden, denn hier werden die pflegebedürftigen Bürgerinnen und Bürger am Ende betreut und versorgt. Von daher noch einmal meine Bitte: Wir müssen jetzt handeln. Wer jetzt nicht handelt, der handelt fahrlässig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

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