Inhalt

09.05.2012

Kordula Schulz-Asche: Chance zum Neuanfang beim Universitätsklinikum Gießen-Marburg nutzen

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat Ihnen hier heute einen Antrag vorgelegt der beschreibt, was wir in der derzeitigen Situation für notwendig halten, um den Wissenschaftsstandort Marburg und Gießen, das Universitätsklinikum und gleichzeitig auch die regionale Patientenversorgung dauerhaft zu sichern.

Herr Kollege Spies, wenn jemand über Jahre zur Verunsicherung der Menschen in der Region beigetragen hat, indem man darüber geredet hat, dass Privatisierung zu mehr Todesfällen führe, dann sollte man mit dem etwas vorsichtiger sein, was man an anderen kritisiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von der SPD)

Das gilt umso mehr, wenn man – sowie man in Wiesbaden mitregiert – einen Teil der Horst-Schmidt-Kliniken an die Rhön AG und damit den gleichen Träger verkauft. Dann sollte man sich hier in seiner Argumentation etwas vorsichtiger verhalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Der Gesundheitskonzern Fresenius hat der Rhön-Klinikum AG ein Übernahmeangebot unterbreitet. Dabei geht es nicht nur um das Universitätsklinikum in Marburg/Gießen, daran sollte man sich vielleicht auch ab und zu einmal erinnern. Aber beim Universitätsklinikum besteht vertraglich die Möglichkeit – und zwar zum aktuellen Zeitpunkt, falls die Übernahme gelingen sollte –, als Land die Trägerschaft wieder zurückzuerlangen und das Land wieder zum Träger des Klinikums zu machen.

Seit Jahren herrscht Unruhe um das privatisierte Universitätsklinikum herum – sowohl was die Sicherstellung von Wissenschaft und Forschung angeht, als auch was die Patientenversorgung angeht, Herr Kollege Spies. Wir haben in den letzten Monaten erleben müssen, wie der Konzern Rhön-Klinikum AG die Landesregierung am Nasenring durch die Manege geführt hat. Wir haben ein Machtwort des Ministerpräsidenten Bouffier erlebt, das mich am Ende zwar nicht an den Film, aber zumindest dessen Titel erinnert hat – „Das Schweigen der Lämmer“.

Sollte der Fresenius-Konzern tatsächlich die Übernahme durchführen, dann haben wir es mit einem sehr mächtigen Gesundheitskonzern in Deutschland zu tun; dessen müssen wir uns bewusst sein. Deswegen ist es an der Zeit, die Landesregierung aufzufordern, jetzt sofort und transparent mit allen Beteiligten die bestmögliche Lösung für das Universitätsklinikum vorzubereiten und diese auch mit einer breiten Beteiligung aller durchzuführen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch das sei gesagt: Dies ist nicht der Moment, in dem die populistischen oder vermeintlich einfachsten Lösungen die besten sind. Vielmehr haben wir uns mit allen Fragen zu befassen, die die aktuelle Situation betreffen. Deswegen halte ich plumpe Rückkaufforderungen, wie sie hier erhoben werden, für genauso falsch wie die vorschnellen Absagen der Landesregierung an eine solche Rücknahme; das kann einfach nicht sein. Wir müssen uns ernsthaft mit diesem Thema beschäftigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass die Wissenschaftsministerin, die – wenn ich es einmal so ausdrücken darf – manchmal bei weniger komplexen Fragen auch keine sehr glückliche Hand hat, überhaupt auf Augenhöhe mit dem Fresenius-Konzern verhandeln kann. Ich hoffe es jedenfalls im Sinne des Standortes und im Sinne von von Forschung und Lehre sowie Patientenversorgung in der Region.

Wir haben diesen Antrag auch gestellt, um noch einmal deutlich zu machen, was eigentlich die Fragen sind, die es jetzt zu klären gilt. Wir brauchen einen Neuanfang – das ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre deutlich geworden – für das Universitätsklinikum Marburg/Gießen im Interesse des Landes wie auch der Region und der Universitäten. Deswegen fordern wir die Landesregierung auf, diese Interessen zu vertreten und entsprechend hart mit dem Fresenius-Konzern zu verhandeln.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört, dass wir die Rückkaufoption zunächst sehr ernsthaft prüfen. Dazu gehört die Frage, welche Trägerschaft eingerichtet werden müsste und welche Vor- und Nachteile es für Wissenschaft und Forschung sowie für die Patientenversorgung hat. Dabei sind natürlich auch rechtliche Fragen zu klären: Nimmt man eher ein Kooperationsmodell – also ein Modell, bei dem Wissenschaft und Patientenversorgung getrennt sind, wie es ein Teil des Klinikums und der Universitäten fordert – oder richtet man sich nach den guten Erfahrungen, die mit dem Integrationsmodell in der Charité in Berlin oder an der Universität Mainz gemacht worden sind? Das ist eine Frage, die auf den Tisch muss, um sie objektiv und mit allen Beteiligten transparent zu diskutieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der zweite Punkt betrifft die Frage der Kosten. Natürlich müssen wir als Land und Haushaltsgesetzgeber die Frage stellen, welche Kosten für das Land damit verbunden sind, wenn eine Rückkaufoption tatsächlich in Erwägung gezogen wird. Dazu gehört die Frage, wie hoch das aktuelle Eigenkapital ist, wie der aktuelle Verkaufswert liegt, welcher weitere Investitionsbedarf besteht und welche weiteren Kosten im Falle einer Übernahme auf uns zukommen könnten. Welche Finanzierungsmodelle sind möglich? Was wäre, wenn ein neuer privater Besitzer – in diesem Fall der Fresenius-Konzern – unter Umständen gar kein Interesse daran hat, das Universitätsklinikum zurückzukaufen?

Das sind die Fragen, die im Moment gestellt werden müssen, aber ich frage mich die ganze Zeit, warum eigentlich die CDU oder die Wissenschaftsministerin diese Fragen nicht so öffentlich stellt, dass Sie hier für alle Beteiligten transparent dafür sorgen, dass klar ist, in welchem Diskussionsprozess Sie überhaupt sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wenn wir dies alles geprüft haben und bei allen diesen Fragen wissen, wo die jeweiligen Vor- und Nachteile für das Land, die Universitäten, für das Klinikum selbst und für die Gesundheitsversorgung in der Region liegen – dann müssen Sie ein Gesamtkonzept vorlegen, aus dem ersichtlich wird, was Sie jetzt dem Land und den unterschiedlichen Beteiligten vorschlagen; das muss transparent geschehen.

Sie haben hier eine Situation, in der die verschiedenen Akteure während der letzten Jahre hochpolitisiert worden sind und in der eine hohe Verunsicherung nicht nur bei den Beschäftigten, sondern inzwischen auch in der Bevölkerung herrscht. Es muss doch für Beteiligten wie auch für Außenstehende klar sein, auf welchen Weg sich diese Landesregierung eigentlich begeben möchte und wie die Zukunft aussehen soll – das sollten Sie bitte in einem Gesamtkonzept vorlegen; denn letztendlich wird darüber auch das Land entscheiden müssen. Deswegen brauchen wir eine frühzeitige Einbeziehung des Hessischen Landtags.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin Schulz-Asche, Sie müssen zum Schluss kommen.

Kordula Schulz-Asche:

Meine Damen und Herren, wir brauchen eine fundierte Diskussionsgrundlage, wir brauchen ein fundiertes Gesamtkonzept, das uns seitens der Landesregierung vorgelegt werden muss; denn nur so ist es möglich, wieder für Ruhe im Universitätsklinikum wie auch dafür zu sorgen, dass es auch in Zukunft in Hessen, über die Grenzen Hessens hinaus und international nicht nur ein Wissenschaftsstandort bleibt, sondern unter Umständen seine Position in der Exzellenz weiter ausbauen kann. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Frau Kollegin Schulz-Asche