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06.03.2012

Kordula Schulz-Asche: Änderung des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In Hessen hat sich in den letzten zehn Jahren die Zahl der Krankenhauseinweisungen der Personen unter 20 Jahren von 800 auf 1.800 mehr als verdoppelt. Der riskante Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen in Hessen ist wie in anderen Bundesländern ein ernst zu nehmendes Problem. Wir haben in Hessen bei Jugendlichen mit Alkoholvergiftung einen Anstieg zwischen 2005 und 2009 um 40 %. Wir haben es hier tatsächlich mit einer Sachlage zu tun, an der sowohl der Staat, d. h., das Land und die Kommunen, aber auch die Gemeinschaft und die Gesellschaft gemeinsam arbeiten müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Übrigens liegt Deutschland beim Alkoholkonsum pro Kopf weltweit auf dem fünften Platz. Auch das sollte uns vielleicht zu denken geben. Das heißt, das hat sicherlich nicht nur mit Jugendlichen zu tun, sondern das Konsumverhalten ist insgesamt zu hoch und zu risikoreich. Das ist vor allem auch bei Erwachsenen der Fall.

Es sind Erwachsene, die schlechte Vorbilder abgeben. Es sind Erwachsene, die für rund 1 Milliarde Euro jährlich Werbung für Alkohol machen. Es sind Erwachsene, die mit dem Verkauf von Alkohol ihr Geld verdienen und dabei das Jugendschutzgesetz missachten. Das macht der Drogenbericht aus dem Jahr 2011 noch einmal ganz deutlich.

Es gibt aber auch sehr viele Erfolge bei der Suchthilfe, gerade auch im Bereich des Alkoholismus. Der Drogenbericht zeigt, dass der Alkoholkonsum der Kinder und Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren in den letzten zehn Jahren zurückgegangen ist. Ich halte das für ein Zeichen dafür, dass die vielen in diesem Bereich gestarteten Präventionsansätze gezeigt haben, dass sie durchaus Wirkung haben. Prävention und Einhaltung des Jugendschutzes sind hier die wesentlichen Maßnahmen, die eingesetzt wurden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sehen allerdings auch, dass bei der Gruppe der jungen Erwachsenen, also bei denjenigen, die schon Zugang zum freien Kauf von Alkohol haben, keine Verbesserung zu beobachten ist. Von daher ist tatsächlich zu fragen, wie wir speziell diese Gruppe mit Präventionsmaßnahmen besser erreichen können.

Es ist allerdings sehr fraglich, ob man diese Gruppe mit Verboten vom Alkoholsaufen abhalten kann. Alle Erfahrungen der erfolgreichen Suchthilfe zeigen, dass für eine gezielte Reduzierung des Alkoholkonsums eine Mischung aus Kontrolle und Einhaltung des Jugendschutzgesetzes, gezielten Präventionsstrategien und, wenn nötig, auch rechtlichen Änderungen erfolgversprechend ist. Grundsätzlich gilt in der Prävention, dass Einzelmaßnahmen keine nachhaltige Wirkung entfalten. Aus suchtpräventiver Sicht sind Einschränkungen bei der Verfügbarkeit von Alkohol nur ein Mittel. Dazu gehören Alkoholverkaufsregelungen für Jugendliche unter 16/18 Jahren, also vom Jugendschutz her, kein Verkauf an Betrunkene und unter Umständen auch nächtliche Verkaufsverbote, die wir in Hessen schon erlebt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Gerade bei der Verfügbarkeit von Alkohol ist immer die Frage: Was passiert, wenn man an einem Punkt verbietet? Verlagern sich die Verkäufe dann in andere Bereiche?

Herr Kollege Spies und liebe SPD, mich hat etwas gewundert, dass in der gesamten Gesetzesbegründung der Bereich der Prävention und vor allem das Projekt HaLT in Hessen überhaupt nicht aufgeführt sind. Es gibt bereits eine ganze Reihe von positiven Erfahrungen mit diesem Projekt. Das steht allen 26 hessischen Kommunen zur Verfügung.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Es gibt eine Anschubfinanzierung, und aktuell beteiligen sich bereits 19 Kommunen an diesem Projekt. Interessant finde ich an diesem Projekt, dass es aus zwei Bausteinen besteht. Es gibt den reaktiven Baustein, der sich mit Jugendlichen befasst, die bereits saufen, und versucht, diesen zu helfen. Es ist sicher auch ein Erfolg, dass in Hessen erreicht wurde, dass sich die privaten und gesetzlichen Krankenkassen an der Arbeit mit diesen Jugendlichen finanziell beteiligen. Ich halte das für einen ganz besonderen Erfolg der Präventionsarbeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der zweite, langfristig noch interessantere Baustein ist der proaktive Baustein, der gezielt versucht, kommunal verankerte Präventionsnetzwerke aufzubauen, um mit den Jugendlichen zu arbeiten und das Phänomen des komatösen Rauschtrinkens tatsächlich in den Griff zu bekommen.

Der SPD-Gesetzentwurf, der uns jetzt vorliegt, entspricht im Prinzip der Regelung, die in Baden-Württemberg seit dem 1. März 2010 gilt. Es war uns bisher nicht möglich, eine öffentlich zugängliche Auswertung der dortigen Erfahrungen zu bekommen. Ich halte das für sehr wesentlich. Man kann im Prinzip nur beurteilen, ob dieser Ansatz sinnvoll ist oder nicht, indem man nachfragt, wie es dort funktioniert, wo diese gesetzlichen Regelungen bereits bestehen.

Deswegen sind für mich ganz zentrale Fragen, die in der Anhörung geklärt werden müssen:

Erstens. Ist mit einem nächtlichen Verkaufsverbot der Alkoholkonsum, insbesondere das Komasaufen, von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu reduzieren?

Zweitens. Reichen die derzeitigen rechtlichen Grundlagen für die Kommunen aus, um an bestimmten Plätzen den Verkauf oder Konsum von Alkohol zu unterbinden oder zu reduzieren? Da ist die Frage: Braucht man dazu eine flächendeckende Verbotslösung, wie sie die SPD vorschlägt, oder kann man das über Regelungen im HSOG machen, oder indem man die Sperrstunde ausweitet, wie es in Fulda gerade diskutiert wird? Ich glaube, dass die Kommunen tatsächlich ein Problem mit nächtlicher Ruhestörung haben. Die Frage ist nur: Geht es um nächtliche Ruhestörung oder um Komasaufen? Wir müssen immer das Problem und die passende Lösung im Auge haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Geht es um das Komasaufen von Jugendlichen, ist die Frage: Reicht es aus, oder brauchen die Kommunen weitere Steuerungsmöglichkeiten? Geht es um ruhestörenden Lärm, dann brauchen die Kommunen auf jeden Fall Steuerungsmöglichkeiten, und dann müssen wir darüber diskutieren, was der bessere Weg ist: Brauchen wir dazu gesetzliche Regelungen?

Wie gesagt, wir müssen entscheiden, welches Problem wir mit einem Gesetz lösen wollen. Dann können wir entscheiden, welches Gesetz am besten geändert werden muss und mit welchen Maßnahmen.

Ich schlage vor, dass wir jetzt erst einmal abwarten, was die Anhörung ergibt. Ich werde darauf bestehen, dass jemand aus Baden-Württemberg kommt. Die Kriminalstatistik dort lässt noch keine Rückschlüsse auf die Wirkung des Gesetzes zu, das von CDU und FDP verabschiedet wurde. Von daher schauen wir mit großem Interesse der Anhörung entgegen und werden uns dann eine Meinung bilden. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Frau Kollegin Schulz-Asche.

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