Inhalt

30.09.2010

Kordula Schulz-Asche: GKV-Finanzierungsgesetz

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben in Berlin seit einem Jahr eine schwarz-gelbe Regierung.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Wir stellen fest – um noch einmal kurz auf die Debatte, die wir gerade über Hartz IV hatten, zurückzukommen –: Wir haben nicht nur einen Vizekanzler, der Empfänger sozialer Leistungen der spätrömischen Dekadenz bezichtigt, sondern wir haben auch eine Mehrwertsteuersenkung im Hotel- und Gastronomiebereich und eine Möwenpick-Spende an die FDP. Jeder kann sich den Zusammenhang selbst zusammenreimen. Wir haben eine schwarz-gelbe Bundesregierung, die mit ihrer Energiepolitik zeigt, dass sie hemmungslos den Atomkonzernen auf Kosten der Sicherheit Milliardengewinne zuschustern will.

Meine Damen und Herren, im Bundestag findet heute die erste Lesung des GKV-Finanzierungsgesetzes statt. Dieser Bereich ist bisher von der FDP noch nicht bedient worden. Wir reden jetzt über die Gesundheitspolitik von Herrn Rösler.

(Vizepräsidentin Sarah Sorge übernimmt den Vorsitz.)

Bei mehreren Ereignissen hat es sich in den letzten Monaten ja schon angedeutet. Zunächst wurde der Pharmaverband vfa bedient – nicht die gesamte Pharmaindustrie, die Pharmaunternehmen in Hessen sind ja schon sehr beunruhigt –, und zwar angefangen bei der wörtlichen Übereinstimmung von Lobbyverbands-Vorschlag und Gesetzentwurf, über den Grundsatz, dass Nutzenanalysen nicht mehr von Arzneimittelprüfern, sondern von den Ministerien vorgenommen werden, bis hin zu dem letzten, jetzt erfolgten Coup – immer in treuer Gefolgschaft zur großen Pharmalobby –, der da lautet: Der Nutzen eines Präparats soll in Zukunft allein von der Zulassungsbehörde bestimmt werden. – Die Versicherten dürfen das alles zahlen. Das ist die Politik, die die FDP im Gesundheitswesen seit einem Jahr betreibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, all das ist aber noch gar nichts, wenn man sich betrachtet, was Rösler jetzt mit der gesetzlichen Krankenversicherung vorhat. Im Kern geht es um die Zerschlagung der heutigen Form der gesetzlichen Krankenversicherung mit ihrer Solidarität zwischen den Generationen, zwischen Mittellosen und relativ einkommenstarken Menschen, zwischen Gesunden und Kranken. Dieser Versicherungsform, meine Damen und Herren, wird seit Jahrhunderten, kann man schon fast sagen, von den Menschen akzeptiert. Sie ist ein wesentlicher Beitrag zum sozialen Frieden in unserem Land und wird von der großen Mehrheit akzeptiert. Diese gesetzliche Krankenversicherung wollen Sie jetzt abschaffen. Ich sage Ihnen: Wir werden alles tun, um diese Abschaffung zu verhindern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im September 2010 ist klar: Die Krankenversicherung wird sturmreif geschossen. Was passiert? Der Beitragsatz wird von 14,9 auf 15,5 Prozent angehoben – noch unter Beteiligung der Arbeitgeber – und dann auf 15,5 Prozent fixiert. Steigen die Gesundheitskosten weiter – das werden sie tun, ich habe ja dargestellt, wie andere Lobbys bedient werden –, dann werden Zusatzbeiträge fällig, unabhängig vom Einkommen. Das werden nach Schätzungen von Wissenschaftlern rund 8 Euro im Monat sein. Sollten irgendwann die finanziellen Möglichkeiten der Versicherten überstiegen werden, werden sie zu Hilfeempfängern des Staates.

Wenn Sie das Interview mit Herrn Rösler in der „Financial Times“ gelesen haben, wissen Sie seit gestern, dass außerdem geplant ist, dass die Patienten zur Vorkasse gebeten werden. Das heißt, wenn Sie zum Arzt gehen, müssen Sie in Vorleistung treten, bevor Ihnen die Krankenkasse – unter Umständen – den Betrag erstattet. Meine Damen und Herren, das ist eine Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft, die wir alle nicht mittragen dürfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Da ich ja schon auf die Hintergründe und auf die Lobbys eingegangen bin, die hier bedient werden sollen: Das, was ich gerade gesagt habe, sieht man schon beim ersten Blick in das Gesetz. Das ist aber erklärtermaßen nicht das Ziel des Gesundheitsministers. Die Zusatzbeiträge, sozusagen Kopfpauschalen auf der nach oben offenen Rösler-Skala, sollen die Leute in die Arme privater Versicherungen treiben, die schon sehnsüchtig darauf warten, dass die Leute endlich zu ihnen kommen. Die Jungen, die Männer, die Kinderlosen – das sind die, mit denen man Geschäfte machen kann. Die Privatversicherungen sollen durch das GKV-Finanzierungsgesetz jetzt noch einmal anständig bedient werden. Meine Damen und Herren, das darf nicht sein.

Wir wissen zudem, dass die Privatversicherungen ein anderes Finanzierungssystem als die gesetzliche Versicherung haben. Sie arbeiten nämlich mit Kapitaleinlagen. Deshalb sehen wir hinter den Privatversicherungen schon die nächste Lobby bereitstehen, die sich auf Milliardengewinne freut, nämlich die Finanzwirtschaft. Meine Damen und Herren, wie schön werden die Geschäfte der Finanzwirtschaft nach der Finanzkrise sein, wenn sie auch noch mit den Rücklagen aus der Krankenversicherung beim Spekulieren richtig gute Geschäfte machen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Gestern sagte Minister Rösler der „Financial Times“ – ich zitiere –: „Die reine Lehre der FDP sieht so aus, dass wir die heutige Versicherungspflicht abschaffen und jeden Menschen verpflichten, sich zu einem Basisschutz zu versichern, egal bei welchem Versicherungsunternehmen.“ Ich weiß nicht, ob wir wirklich zulassen dürfen, dass sich die Politik dieses Landes an der Höhe der Spenden und an den Monopolen von Lobbys orientieren, oder ob wir nicht darauf bestehen müssen, dass das Wohl der Allgemeinheit im Vordergrund steht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Deswegen haben wir ein Konzept, mit dem wir die Grundprinzipien des Solidarsystems konsequent weiterentwickeln wollen. Die vorhandenen Solidaritätslücken, die es im jetzigen System gibt, müssen geschlossen werden. Wir glauben, dass das vor allem dadurch möglich ist, dass wir eine Bürgerversicherung einführen, die alle Bürgerinnen und Bürger einschließt und die tatsächlich zu einem Solidarausgleich beiträgt. Die derzeitige Art und Weise der Trennung, die Sie bevorzugen – wo Sie die Privaten noch zusätzlich bedienen wollen –, die zu einer Zwei-Klassen-Medizin führt, lehnen wir ab. Wir halten die Bürgerversicherung für den richtigen Weg, diese zu überwinden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Bürgerversicherung ist nur das Finanzierungsinstrument. Wir brauchen auch eine umfassende Reform der Strukturen. An eine Reform wollen Sie gar nicht herangehen, denn die Kuchen werden ja schon anständig verteilt. Dieser Bereich bleibt im Moment völlig unbelassen und darf sich schön entwickeln. Wir wissen, dass wir zunehmend Probleme haben, im ländlichen Raum eine Gesundheitsversorgung überhaupt anzubieten. Der Herr  Kollege Bartelt ist auf die DDR eingegangen. Schauen Sie sich einmal an, was dort innerhalb kurzer Zeit passiert ist, nachdem 1990 der gesamte ambulante Bereich praktisch zerschlagen wurde. Jetzt zeigt sich, dass die Versorgung zum Teil überhaupt nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Sie wissen, dass ich keine Freundin der DDR bin, ganz im Gegenteil, aber ich glaube, dass man mit historischem Verständnis auf die DDR schauen sollte, was dort gerade im Gesundheitswesen passiert ist.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Herr Kollege Rentsch, auf Ihren Zwischenruf habe ich gerade noch gewartet.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Denn gerade die Umfragewerte der FDP zeigen, dass die Menschen in diesem Land die Politik, die Ihr Minister macht, überhaupt nicht mehr haben wollen.

(Zurufe von der FDP)

Die Menschen wollen nämlich keine schwarz-gelbe Bananenrepublik.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank Frau Kollegin Schulz-Asche

Zum Thema