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28.03.2012

Kordula Schuld-Asche: Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den Bund

Liebe Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Antrag, der von CDU und FDP eingebracht worden ist, gehört wieder einmal in die Kategorie: Je lauter Schwarz-Gelb die Backen aufbläst, umso weniger ist dahinter.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Sie nennen es großspurig „einen Meilenstein für die hessischen Kommunen“. Aber die hessischen Kommunen vertrauen Ihnen schon lange nicht mehr. Herr Milde, der Beitrag, den Sie gerade geleistet haben, zeigt, dass die Kommunen das auch zu Recht nicht mehr tun, wenn sie von Ihnen so abgewatscht werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich möchte einmal darauf eingehen, worum es hier eigentlich geht, denn dazu haben Sie leider nur sehr wenig gesagt. Im Zweiten Sozialgesetzbuch ist die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung eine Aufgabe des Bundes, die den Sozialhilfeträgern durch Landesgesetze zugewiesen wird. Von daher ist es normal und richtig, dass die Bundesregierung den Kommunen zugesagt hat, ab 2014 100 % der Kosten für die Grundsicherung zu übernehmen. So weit, so gut. Das ist aber kein Erfolg der Hessischen Landesregierung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Im letzten Herbst wurde durch das Gesetz zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen allerdings nur eine Erhöhung des Bundesanteils auf 45 Prozent gesetzlich geregelt und – hier beginnt die Angst der Kommunen – die Spitzabrechnung ihrer Kosten wurde den Kommunen verweigert. Herr Milde, davon reden wir hier, und nicht von dem, was Sie hier vorgetragen haben.

Es ist geplant, erst ab Mitte des Jahres weitere finanzielle Anpassungen zu übernehmen. Dazu gehört die Anhebung im Jahr 2013 auf 75 Prozent und 2014 bis 100 Prozent. Es ist aber noch relativ viel offen. Es ist erstens offen, wie diese Erhöhung gestaltet wird und zweitens hält es die Bundesregierung für notwendig, eine Bundesauftragsverwaltung einzuführen, womit es erhebliche Probleme in der Abstimmung mit den Ländern gibt. Auch das ist noch längst nicht abgeschlossen.

Bisher gibt es auch offensichtlich noch keine endgültigen Abstimmungen mit den Ländern und den Kommunalen Spitzenverbänden. Deswegen frage ich Sie: Was feiern Sie hier eigentlich?

Auch der Landeswohlfahrtsverband hat sich gemeldet und gesagt, für ihn sei auch noch nicht klar, wie das Verhältnis zwischen den Städten, Gemeinden und den Landkreisen und dem Landeswohlfahrtsverband geregelt werden soll. Das sind Ihre Hausaufgaben, und die haben Sie bisher nicht erledigt und wollen sich hier hochloben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wofür feiern Sie sich eigentlich? – Nichts ist entschieden. Das Misstrauen der hessischen Kommunen gegenüber der Landesregierung ist groß. Jedes Backenaufblasen führt am Ende dazu, dass weniger Geld in den Kassen der Kommunen zu  finden ist. Das ist genau das, worüber wir reden.

Erinnern wir uns, wenn wir über die Grundsicherung reden, die CDU war nie ein Vorkämpfer der Grundsicherung. Im Gegenteil, im Jahr 2001 hat sie nicht nur gegen die rot-grüne Rentenreform gestimmt, sondern auch die grüne Idee der Grundsicherung mit besonderer Vehemenz bekämpft. Die damalige Sozialministerin – der jetzige Sozialminister ist bei dieser Debatte noch nicht einmal im Haus, aber die Fluktuation an der Spitze des Sozialministeriums zeigt, wie wenig Kompetenz Sie da haben –

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

hat damals die Grundsicherung als leistungsfeindlich bezeichnet. Jetzt stellen Sie sich hierher und versuchen, sich zu feiern. Was damals Teufelszeug war, ist heute Anlass für Ihre Jubelanträge. Kein Wunder, dass die Kommunen – und nicht nur diese – kein Vertrauen mehr in diese Landesregierung haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Für uns GRÜNE war die Einführung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Jahr 2003 ein wichtiger Meilenstein in der Sozialpolitik. Damals stellten viele Armutsexperten zunehmend fest, dass es eine verschämte Altersarmut gibt.

Vor allem scheuten ältere arme Menschen den Weg zum Sozialamt, weil sie Angst hatten und verhindern wollten, dass ihre Kinder zur Kasse gebeten werden, wenn sie die ihnen zustehende Sozialhilfe in Anspruch nehmen würden. Durch eine Grundsicherung und durch den Verzicht auf den Unterhaltsrückgriff auf die Kinder sollte gerade armen älteren Menschen ein Leben in Würde ermöglicht werden.

Dass die Grundsicherung eine richtige und gute Idee war, zeigt sich nicht nur daran, wie wichtig sie zur Verhinderung extremer Armut im Alter geworden ist, sondern auch daran, dass Sie heute versuchen, sich mit diesem Thema zu feiern. Wir würden uns allerdings freuen, wenn diese Lernprozesse auch in anderen Fällen erfolgen würden, z. B. bei der Verweigerung eines gesetzlichen Mindestlohns, bei Kürzungen der Renten von Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern, bei den Minijobs und der ungenügenden Alterssicherung von Menschen, die nur geringfügige Einkommen haben. Das wäre tatsächlich eine Prävention gegen extreme Armut im Alter, vor allem von Frauen. Da sind Sie aber noch weit von all dem entfernt, was man Sozialpolitik nennen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir begrüßen es, dass der Bund ab 2014 die Gesamtkosten für die Grundsicherung übernehmen will, denn auch in Hessen – wie in anderen Bundesländern – steigt die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger. Es sind inzwischen rund 66 200 Personen. Völlig inakzeptabel bleibt aber, dass die Gegenfinanzierung durch die Streichung des Bundeszuschusses für die Arbeitsagenturen in gleicher Höhe erfolgen soll, denn auch hier sind die Folgen wieder völlig unabsehbar, die das für die Kommunen haben wird. Deshalb teilen wir die großen Bedenken gegenüber Ihrem Vorgehen in Bezug auf die kommunalen Finanzen.

Richtig ist, dass seit 2005 der Sozialhilfeaufwand auch in Hessen steigt und die Grundsicherung dabei die höchste Steigerungsrate aufweist. Richtig ist aber auch, dass die Landesregierung zu der unzureichenden Finanzausstattung der Kommunen erheblich beigetragen hat. Allein durch die Mitwirkung an den Steuergeschenken der schwarz-gelben Bundesregierung ist sie dafür verantwortlich, dass den hessischen Kommunen pro Jahr rund 200 Millionen Euro fehlen. Hinzu kommt Ihr unsystematischer Eingriff in den Kommunalen Finanzausgleich, mit dem Sie den Kreisen, Städten und Gemeinden jährlich über 340 Millionen Euro entziehen und damit die ohnehin schwierige Finanzlage der Kommunen weiter verschärfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wer so mit den Kommunen umgeht, der braucht sich über Widerstand nicht zu wundern.

(Zurufe von der CDU)

Wir GRÜNE wollen keine Sozialpolitik nach Gutsherrenart oder nach Kassenlage mehr. Wir wollen eine aktive Sozialpolitik mit klaren Vereinbarungen. Wir wollen gemeinsam mit den Kommunen eine Politik gestalten, die zum Ziel hat, Menschen in Notlagen zu helfen und sie zu selbstbestimmtem Leben zu befähigen. Gerade deswegen und wegen der ab 2020 umzusetzenden Schuldenbremse brauchen wir klare Regeln – wie die, die wir GRÜNE in unserem Sozialbudget formuliert haben. Wir brauchen einen Schutzschirm für die Sozialpolitik, um gerade die Sozialpolitik auf kommunaler Ebene sicherzustellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen eine an den Menschen orientierte Sozialpolitik, die das friedliche Zusammenleben vor Ort gestaltet, und zwar unabhängig von Generation, Geschlecht, Behinderung und kulturellem Hintergrund. Das wollen wir erreichen, indem wir die Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags durch vielfältige Angebote guter Qualität unterstützen. Dabei sind die Kommunen für uns wichtige Partner.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das erfordert in der Finanzpolitik einen ehrlichen Umgang mit den Kommunen. Ihr Antrag beweist, Schwarz-Gelb hat in Hessen nichts erreicht und nichts mehr vor. Es wird Zeit für einen Neustart, gerade auch in der Sozialpolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Frau Schulz-Asche.

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