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24.06.2015

Kai Klose: Bundesratsinitiative zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Irinnen und Iren haben sich vor wenigen Wochen mit großer Mehrheit für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ausgesprochen. Das ist ein wichtiger Schritt für Irland, und das hat die Debatte über eine vollständige Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe in Europa und auch in Deutschland erneut befeuert. Deshalb führen wir heute diese Debatte.

Nachdem Hessen in den letzten Jahren leider ein Land war, in dem in Sachen rechtlicher Gleichstellung von Lesben und Schwulen überwiegend nur Bundesverfassungsgerichtsurteile nachvollzogen wurden, hat die neue Landesregierung bereits im Koalitionsvertrag konkrete und aktive Maßnahmen des Landes vereinbart.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben einen Aktionsplan zu Akzeptanz und Vielfalt, im Sozialbudget mit jährlich 200.000 Euro abgesichert, vereinbart. Wir haben die Einsetzung eines Bevollmächtigten für Integration und Antidiskriminierung im Range eines Staatssekretärs vereinbart. Wir haben die Einrichtung einer hessischen Antidiskriminierungsstelle durchgesetzt. Wir werden die Antidiskriminierungsprojekte von SchLAu an den Schulen stärken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir werden die Landtagsbeschlüsse zur Aufarbeitung und Dokumentation der Schicksale der Opfer des § 175 StGB endlich umsetzen.

D sich gerade die FDP-Fraktion hier und heute in dieser Art und Weise geriert hat: Herr Rentsch und Herr Lenders, in Ihrem Wahlprogramm gibt es nicht eine einzige dieser konkreten landespolitischen Forderungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Das queer-politische Kapitel im Koalitionsvertrag beschreibt konkrete Maßnahmen des Landes, nachdem durch das Bundesverfassungsgericht auch die rückwirkende Gleichstellung der Lebenspartnerschaften im Landesrecht erzwungen worden ist. In Hessen wurde bereits sehr früh, während der Sondierungsgespräche, klar formuliert, dass eine grüne Regierungsbeteiligung ohne wesentliche Fortschritte auch in diesem Politikfeld nicht vorstellbar ist. Vielleicht unterscheidet uns genau das von den Regierungsbildungsprozessen im Bund in den Jahren 2009 und 2013.

Was die Öffnung des Begriffs Ehe angeht, ist die Position der GRÜNEN klipp und klar. Wir waren es, die vor fast auf den Tag genau 25 Jahren das erste Mal im Deutschen Bundestag beantragt haben, die Ehe für Homosexuelle zu öffnen – weil wir alle rechtlichen Schlechterstellungen gleichgeschlechtlicher Paare abschaffen wollen und dies der einfachste Weg dazu wäre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Landesvorsitzendenkollegin Daniela Wagner und ich gehörten am 1. Juni zu den Erstunterzeichnerinnen und -unterzeichnern des offenen Briefs an die Bundeskanzlerin, der genau dies fordert.

Der Landesvorstand der hessischen GRÜNEN hat die Bundesregierung am 9. Juni ebenfalls aufgefordert, die bestehenden Benachteiligungen gleichgeschlechtlicher Paare zu beenden und eine vollständige Gleichbehandlung im gesamten Bundesrecht herzustellen.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD) – Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)

Dazu gehört aber auch, dass in diesen bundespolitischen Fragen, die nach den Urteilen des Verfassungsgerichts noch offen sind, also die Öffnung der Rechtsinstitution Ehe und das uneingeschränkte Adoptionsrecht, zwischen den Koalitionspartnern CDU und GRÜNE in diesem Landtag unterschiedliche Auffassungen bestehen. Daraus machen wir kein Geheimnis, und wir verbrämen auch nichts, sondern wir können das nur feststellen und weiter damit arbeiten. Dieses Damit-Arbeiten setzt voraus, sich mit den Argumenten, aber auch mit den Wertvorstellungen und den Glaubenssätzen des Gegenübers, so schwer das manchmal fallen mag – das sage ich ganz persönlich –, ernsthaft auseinanderzusetzen, Fragen zu formulieren und die Punkte zu identifizieren, an denen die Debatte einen Grundkonsens verlässt.

Was beispielsweise viele Menschen wirklich ärgert, teilweise auch verletzt und wütend macht, ist der Eindruck, die Liebe zweier Menschen gleichen Geschlechts werde willkürlich als geringerwertig betrachtet als die Liebe zwischen zwei Menschen verschiedenen Geschlechts, wobei doch die Werte, die beidem zugrunde liegen, nämlich in guten wie in schlechten Tagen füreinander Verantwortung zu übernehmen, die gleichen sind. Ein Bauchgefühl genügt als Begründung im politischen Diskurs nicht, wenn es um unterschiedliche Rechte geht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Auf der anderen Seite: Während wir Befürworter einer Eheöffnung immer von der staatlichen Zivilehe sprechen, gibt es Menschen, die das christliche Sakrament der Ehe infrage gestellt sehen, die z. B. sogar sagen, sie seien zwar für die vollständige Gleichstellung, aber auch für die Beibehaltung unterschiedlicher Begrifflichkeiten, weil das ihre religiöse Überzeugung berührt. Obwohl ich selbst kein religiöser Mensch bin, kann ich solche Positionen respektieren, auch wenn ich zu einem anderen Schluss komme. Gleichzeitig erwarte ich aber, dass solcher Respekt auch umgekehrt gilt.

Das Ergebnis der Abstimmung in Irland als eine – Herr Rentsch hat es bereits zitiert – „Niederlage für die Menschheit“ zu bezeichnen, wie es der Vatikan getan hat, oder auch den Diskurs über die Ehe für alle in einen Kontext mit Inzest und Polygamie zu stellen ist, ob es so gemeint war oder nicht, ebenso falsch wie verletzend, und es ist deshalb nicht akzeptabel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU)

Lassen Sie uns also diese Debatte in der Tiefe und grundsätzlich führen. Meine Überzeugung ist, dass eine Argumentation auf der Basis „Es ist längst eine Mehrheit da“ ebenfalls zu kurz greift. Es geht nicht so sehr darum, ob aktuell eine gesellschaftliche Mehrheit die Eheöffnung richtig findet – so etwas kann sich übrigens auch wieder ändern –, sondern aus meiner Sicht geht es darum, dass die Gleichstellung rechtlich und normativ richtig ist. Menschen und Bürgerrechte gelten immer, und sie gelten universal. Das Grundgesetz erklärt nicht, die Würde der Menschen, denen die Mehrheit eine solche Würde zugesteht, sei unantastbar, sondern es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU)

Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder bekräftigt, dass wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Die eingetragene Partnerschaft gegenüber der Ehe zu benachteiligen verlangt deswegen vom Gesetzgeber die Benennung von Gründen, warum sie wesentlich ungleich sein soll, und dafür genügt die Differenzierung „sexuelle Orientierung“ eben nicht. Der Erste Senat hat ausdrücklich festgestellt:

Es bedarf hinreichend gewichtiger Unterschiede zwischen diesen beiden auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaften, um die konkrete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.

Deshalb geht es auch weniger um die Frage, ob Ansichten über die Gleichstellung altmodisch oder modern sind, sondern darum, ob die Gegner der Gleichstellung das Recht haben, anderen Rechte zu verweigern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Wer seine privaten und religiösen Vorstellungen nicht nur für sich beansprucht, sondern auch für andere definieren will, was eine akzeptable Beziehung oder eine akzeptable Familie ist, ist in der Begründungspflicht. Ministerpräsident Kretschmann hat es im Bundesrat in aller Klarheit ausgeführt – ich darf noch einmal zitieren –:

Bei uns kann jedermann leben, wie es ihm gefällt, solange er nicht in die Rechte anderer eingreift und sich rechtskonform verhält. Es ist schlechthin nicht zu begründen, warum gleichgeschlechtliche Paare ihre Vorstellung von Gemeinschaft nicht leben dürfen.

Deshalb führt an einer ordentlichen Diskussion kein Weg vorbei. Vielleicht übersehe ich etwas; aber gerade wer die Ehe als Institution schützen will, weil er an die Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft zweier Menschen glaubt, könnte doch dankbar alle begrüßen, die sich dieser Verantwortung stellen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Gerade wer sich um das Wohl von Kindern sorgt, könnte doch alle unterstützen, die Kinder liebevoll großziehen möchten. Manchmal drängt sich in diesen Debatten der Eindruck auf, homosexuelle Paare müssten Vorstellungen von der Norm der Familie erfüllen, die es historisch selten gegeben hat und deren Umsetzung heterosexuellen Paaren so nie abverlangt wurde. Ich wünsche mir, dass wir die Kraft haben, das zu erkennen und auch zu hinterfragen.

Ich sage ganz ausdrücklich: Ja, Ehe und Familie genießen besonderen staatlichen Schutz, aber dieser Schutz sollte für alle gelten, die den Mut und die Liebe aufbringen, sich zu binden und ihre Kinder zu begleiten. Niemand verliert seine Rechte, wenn auch andere diese Rechte erhalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der LINKEN und der FDP)

Das Land Hessen hat sich im Bundesrat aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen von CDU und GRÜNEN enthalten, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Das Gleiche gilt für die Länder Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Herr Rentsch, das Gleiche galt übrigens auch 2013, als die FDP in Hessen noch Regierungspartei war und sich Hessen im Bundesrat bei der gleichen Frage ebenfalls enthielt. Hier gilt Gustavs Heinemanns Satz:

Wer auf andere mit dem ausgestreckten Zeigefinger zeigt, der deutet mit drei Fingern seiner Hand auf sich selbst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Herr Kollege, Sie müssten zum Ende Ihrer Rede kommen.

Kai Klose:

Die Konzentration auf den Bundesrat bringt uns nicht wirklich weiter. Herr Wilken hat bereits darauf hingewiesen, entscheidend ist, was im Deutschen Bundestag passiert. Daran müssen alle, die eine Öffnung der Ehe wollen, über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg weiter arbeiten. Vielleicht ist es doch irgendwann möglich, dass das Volk an der Willensbildung in den noch fehlenden Parteien mitwirkt. 25 Jahre nachdem die GRÜNEN im Deutschen Bundestag den ersten Antrag zur Öffnung der Ehe gestellt haben, ist die Zeit reif dafür. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Herr Kollege Klose.

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