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01.02.2012

Kai Klose: Nassauische Heimstätte muss Landesunternehmen bleiben

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, obwohl wir von der FDP – –

Vizepräsident Lothar Quanz:

Meine Damen und Herren, hören Sie bitte Herrn Klose zu.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Kai Klose:

Lassen Sie mich, obwohl wir von der FDP in den letzten Wochen vieles gewohnt sind, zunächst einmal meiner Erschütterung darüber Ausdruck verleihen, dass die hessische FDP offensichtlich den Wunsch hat, zur deutschen Tea-Party zu werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Dass diese Art von marktradikalen Reden im Jahr vier der Finanzmarktkrise noch gehalten werden kann, habe ich nicht gedacht.

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

Meine Damen und Herren, wieder einmal beschäftigt uns das völlige Versagen der Landesregierung in der Wohnungspolitik.

(Zurufe von der CDU)

Den zuständigen Minister, Herrn Posch, interessieren die Autobahnen; die soziale Infrastruktur interessiert ihn nicht die Bohne.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Deswegen war es für ihn im vergangenen Jahr auch ein Leichtes, die Fehlbelegungsabgabe ersatzlos abzuschaffen und damit den Kommunen auch noch die letzten Mittel zu nehmen, die sie fest in den sozialen Wohnungsbau investiert hatten. Herr Posch, im Übrigen warten wir bis heute auf das Wohnraumförderungsgesetz, das Sie uns in diesem Zusammenhang versprochen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch in Sachen Nassauische Heimstätte überlassen Sie dem Herrn Finanzminister bereitwillig die Zügel. Dieser wiederum treibt einmal mehr die Sau durch das Dorf, die Landesbeteiligung an der Nassauischen Heimstätte veräußern zu wollen. In seinen Augen ist das keine strategische Beteiligung, sondern sie ist verzichtbar.

Der Glaube, das Zusammenleben werde am besten rein privatwirtschaftlich, also allein durch den Markt, geregelt – das wurde hier noch einmal plastisch vorgeführt –, scheint in Hessen leider immer noch unverwüstlich zu sein. Gepaart mit dem völligen Desinteresse dieser Koalition an der Lebenssituation von Menschen mit niedrigerem Einkommen hat das zur Folge, dass Ihnen die Aufgaben, die die Nassauische Heimstätte in diesem Land erfüllt, völlig egal sind. Sie interessiert nur, wie Sie kurzfristig an Bares kommen, um die von Ihnen selbst gerissenen Haushaltslöcher zu stopfen. Ein politischer Wertekompass für Ihr Handeln ist an keiner Stelle erkennbar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie egal Ihnen das ist, sieht man übrigens daran, dass Sie billigend in Kauf nehmen, damit Tausende Mieterinnen und Mieter in ganz Hessen zu verunsichern. Das Gleiche machen Sie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nassauischen Heimstätte und der Wohnstadt.

Meine Damen und Herren, das ist das Gegenteil einer verantwortlichen Politik. Da genügt es auch nicht, dass der Herr Ministerpräsident landauf, landab seine „Piep, piep, piep, ich habe euch alle lieb“-Rede variiert. Ihr Handeln ist ein anderes. Es ist genau diese Gleichgültigkeit gegenüber den realen Sorgen der Menschen, die Ihnen politisch das Genick brechen wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Helmut Peuser (CDU))

Die Beteiligung Hessens an der Nassauischen Heimstätte/Wohnstadt ist ein wichtiges strategisches Investment des Landes. Sie ist ein zentrales Instrument der hessischen Wohnungspolitik, vor allem aber auch der kommunalen Entwicklungsplanung. Als solches muss sie erhalten bleiben.

Ganz besonders in einem Ballungsraum braucht die öffentliche Hand weiterhin Wohnungsunternehmen, die bezahlbaren Wohnraum schaffen und erhalten. Sie wissen ganz genau, dass der demografische Wandel, aber auch die notwendige Modernisierung und die energetische Sanierung – Stichwort: Umsetzung der Ergebnisse des Energiegipfels – umfangreiche Investitionen in die Bestände des sozialen Wohnungsbaus erfordern. Öffentliche Wohnungsunternehmen können dies so umsetzen, dass dabei auch die Belange der einkommensschwächeren Mieterinnen und Mieter berücksichtigt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Begleitmelodie, die Sie im Hintergrund anstimmen, um Ihre Pläne zu flankieren, nämlich das Schlechtreden der Nassauischen Heimstätte in wirtschaftlicher Hinsicht, ist besonders perfide. Deshalb ist es wichtig, sich die Fakten einmal näher anzuschauen.

Im Branchenvergleich ist der Unternehmensverbund Nassauische Heimstätte/Wohnstadt stabil und gesund: Er nimmt im Kennzahlenvergleich entsprechender Unternehmen in Deutschland einen vorderen Platz ein. Wenn man sich die Wirtschaftlichkeit des Personaleinsatzes anschaut, erkennt man, dass die Nassauische Heimstätte dort stets vorn liegt, im Übrigen auch im Vergleich mit der Frankfurter ABG Holding. Das Gleiche gilt für ihre Gesamtkapitalrentabilität. Unterlassen Sie also dieses Schlechtreden. Es geht an der Wirklichkeit vorbei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Land Hessen braucht die Nassauische Heimstätte jenseits ihrer klassischen Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, gerade auch als Instrument der Landes-, Stadt- und Projektentwicklungsplanung. Diese für viele Kommunen wichtige Funktion kommt für mich in der öffentlichen Debatte bisher zu kurz.

Die moderne Stadtplanung ist nicht mehr auf Einzelinvestitionen fokussiert, sondern es geht ihr mittlerweile um die Quartiersentwicklung. Genau hier hat die NH Projektstadt – der Stadtentwicklungsbereich der Nassauischen Heimstätte – als Partnerin der hessischen Kommunen erhebliche Kompetenzen. Wenn Sie sich dafür interessieren würden, wüssten Sie z. B., dass die NH Projektstadt nicht selten an der Spitze bundesweiter Projektvergleiche liegt.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Gerade für kleine Kommunen ist die Nassauische Heimstätte mit ihrer Netzwerkstruktur und ihrer überregionalen Perspektive ein wichtiger – ich würde sagen: unverzichtbarer – Partner.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte einige wenige Beispiele nennen: Sie führt erfolgreich Konversionsmaßnahmen durch und begleitet die Städte bei den daraus erwachsenen Zertifizierungsprozessen. Sie koordiniert alle Maßnahmen, die daraus hervorgehen. Auf der EXPO REAL sind die Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Gemeinde Babenhausen ergriffen wurden, gerade preisgekrönt worden.

Sie berät die Städte bei wettbewerblichen Dialogverfahren in der Stadtentwicklung. Sie steuert die Ausgleichsprozesse zwischen den privatwirtschaftlichen Interessen von Investoren und dem öffentlichen Interesse von Kommunen. Sie betreut rund die Hälfte der hessischen Standorte des Programms „Aktive Kernbereiche“, unter anderem in Bürstadt und in Hanau. Sie hat eine anerkannt hohe Kompetenz bei den städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen, auf die inzwischen sogar der Bund zurückgreift. Sie betreut eine Vielzahl energetischer Stadtsanierungsmaßnahmen. Sie setzt Projekte der Sozialen Stadt um. Diese Liste ließe sich sicherlich noch fortsetzen.

Deshalb ist gerade aus Sicht der kleineren Kommunen diese Arbeit der Nassauischen Heimstätte nicht ersetzbar, und deshalb muss das Land seine Beteiligung daran aufrechterhalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD  und der LINKEN)

Herr Kollege Schäfer-Gümbel hat es bereits angesprochen: Sie reden öffentlich über einen Verkauf der Nassauischen Heimstätte an die Helaba. Hinter den Kulissen aber – das pfeifen nicht nur in Frankfurt die Spatzen von den Dächern – bereiten Sie auf dem Rücken besorgter Mieterinnen und Mieter eine Wahlkampfoperation zugunsten Ihres Frankfurter OB-Kandidaten vor.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP) – Gegenrufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Rentsch, im Gegensatz zu Ihnen treten wir in Frankfurt mit einer eigenen OB-Kandidatin an.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ihr Drehbuch sieht wie folgt aus: Zunächst schüren Sie die Ängste der betroffenen Bürgerinnen und Bürger um ihre Wohnungen; in dieser Phase befinden wir uns seit Dezember. Dann – so Ihr Plan – reitet als vermeintlicher Retter in der Not Boris Rhein ein und bietet großzügig an, die Stadt Frankfurt könne über die ABG Holding die Mehrheit an der Nassauischen Heimstätte übernehmen, um den Frankfurter Mieterinnen und Mietern ihre Sicherheit zurückzugeben. Der Held lässt sich sodann als Retter der Schwachen feiern, gewinnt soziales Profil – woran es ihm bisher merklich fehlt – und tritt, wie Sie hoffen, das Erbe von Petra Roth an. Meine Damen und Herren, so hätten Sie es gern. Diese miese Tour lassen wir Ihnen aber nicht durchgehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage Sie: Welches Interesse soll eine Frankfurt-zentrierte Gesellschaft, wie Sie sie im Kopf haben, eigentlich an dem Wohnungsbestand und an den Projekten außerhalb des engeren Ballungsraums haben? Sie hat gar kein Interesse daran. Sie wissen ganz genau, dass die Filettierung des Unternehmensverbunds Nassauische Heimstätte/Wohnstadt mittelfristig die Folge davon wäre. Den Kolleginnen und Kollegen aus Nord- und Mittelhessen – aber vielleicht auch denen aus dem Odenwald – ist hoffentlich klar, was das für ihre Standorte hieße.

Der Herr Ministerpräsident hat gestern auf einer Veranstaltung in diesem Hause Wert darauf gelegt, dass – ich zitiere – die Politiker darauf achteten, nicht Vertreter einer Interessengruppe zu werden. Herr Ministerpräsident, hier können Sie beweisen, dass Sie den Satz ernst gemeint haben. Machen Sie sich nicht im Windschatten Ihres Koalitionspartners zum Büttel der privaten Wohnungswirtschaft, sondern nehmen Sie Ihre Verantwortung auch für die soziale Infrastruktur des Landes wahr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ein starker Wirtschaftsstandort braucht ein stabiles soziales Fundament. Deshalb sagen wir: Finger weg von der Nassauischen Heimstätte. Ihre wichtige Funktion kann sie im Interesse des Landes, seiner Kommunen und der hier lebenden Menschen nur als landesweit orientierte Gesellschaft erfüllen. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke, Herr Klose.