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30.05.2012

Kai Klose: Hessischer Wohnungsmarkt in Schieflage – Landesregierung muss zur aktiven Wohnungspolitik zurückkehren

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Leider ist aktive Wohnungspolitik für diese Landesregierung zum Fremdwort geworden. Die Wohnungspolitik interessiert Sie immer nur an zwei Stellen: Entweder wenn Sie, à la FDP, die Chance sehen, weiteren Raubbau an der sozialen Infrastruktur des Landes zu begehen, oder wenn Sie, wie im Fall der Nassauischen Heimstätte, die Gelegenheit wittern, den schnellen Euro zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das ist aber keine Wohnungspolitik. Das ist blinde Zerstörungswut. Denn Sie entziehen sich damit der Verantwortung für die Menschen, die auf solchen bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind. Das scheint inzwischen leider auch für die Union zu gelten. Auch deshalb wird es Zeit, dass sich in diesem Land etwas dreht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Schauen wir uns das einmal im Einzelnen an. Ich knüpfe gerne da an, wo Herr Kollege Siebel aufgehört hat. Das war die Nassauische Heimstätte/Wohnstadt.

Herr Minister Schäfer, Sie haben mit Ihrem Interview in der Vorweihnachtszeit maximalen Schaden angerichtet. Seither herrscht bei den Mieterinnen und Mietern in über 60.000 Wohnungen in rund 150 hessischen Städten und Gemeinden Angst und Unsicherheit. Das wurde eben schon angesprochen: Erst vor wenigen Wochen wurde im Landtag eine entsprechende Petition übergeben.

Angst und Unsicherheit herrschen aber auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nassauischen Heimstätte/Wohnstadt und bei deren Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartnern.

Wissen Sie, Herr Minister Schäfer, wenn der CDU-Fraktionsvorsitzende im Frankfurter Römer Helmut Heuser heute in der Frankfurter Rundschau sagt – ich darf zitieren –:

Das hat uns sehr geschadet, dass der hessische Finanzminister damals das Thema hochgespielt hat.

dann ist doch eines klar: Die Tatsache, dass Herr Rhein weiterhin an Ihrer Schokoladenseite Platz nehmen muss, hat ihren Grund doch auch in Ihrem völlig verunglückten Coup.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da nützt es auch überhaupt nichts, dass Sie unablässig betonen, Sie wollten nicht an einen „bösen“ Finanzinvestor verkaufen. Ihr Kernproblem ist, dass dieser Landesregierung niemand mehr glaubt. Es glaubt Ihnen niemand, weil die Regierung Bouffier/Hahn ein notorisches Glaubwürdigkeitsproblem hat – und weil Sie es in einem halben Jahr nicht hinbekommen haben, endlich auf den Tisch zu legen, was Sie nun mit der Heimstätte eigentlich vorhaben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da wundert es mich überhaupt nicht, dass diese Landesregierung die mit Abstand unbeliebteste der gesamten Republik ist – so fahrlässig, wie Sie mit dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger umgehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, Kollege Siebel hat bereits darauf hingewiesen: 41 Prozent der Mieterinnen und Mieter der Nassauischen Heimstätte/Wohnstadt sind älter als 60 Jahre. Ebenfalls 41 Prozent beziehen Rente. 8 Prozent sind auf Transferleistungen angewiesen. Das Haushaltsnettoeinkommen ist bereits angesprochen worden. Es kommt hinzu, dass in den Wohnungen der Heimstätte/Wohnstadt Menschen aus 112 Nationen leben. Ein Drittel der Mieterinnen und Mieter der Nassauischen Heimstätte/Wohnstadt haben einen Migrationshintergrund. Gleichzeitig aber würden 90 % aller Mieterinnen und Mieter die NH/Wohnstadt als Vermieterin weiterempfehlen.

An diesen Zahlen sehen Sie doch, dass die Leistungen, die das Unternehmen für das Zusammenleben in diesem Land erbringt, gar nicht genug wertzuschätzen sind. – Sie schaffen es, auch diese Fakten zu ignorieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Diese wenigen Daten müssten auch Ihnen zeigen, welch bedeutender Faktor die Heimstätte auf dem hessischen Wohnungsmarkt ist, gerade was preisgünstige Mietwohnungen betrifft. Denn der hessische Wohnungsmarkt gerät immer stärker in Schieflage.

Auf der einen Seite stehen in den ländlichen Regionen Nord- und Mittelhessens Häuser und Wohnungen leer, auf der anderen Seite wird bezahlbarer Wohnraum im Rhein-Main-Gebiet zur Mangelware. Das negieren Sie ganz einfach, indem Sie lapidar erklären, die Beteiligung eines Landes an einem Wohnungsunternehmen sei keine staatliche Aufgabe. In welcher Parallelwelt leben Sie eigentlich?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Im Übrigen vermisse ich an dieser Stelle bis heute klare Worte des amtierenden Wirtschaftsministers. Herr Saebisch, der letzte Wohnungsbericht, den Ihr Ministerium vorgelegt hat, spricht eine dermaßen deutliche Sprache: Die Zahl der Sozialwohnungen in Hessen ist seit 1990 von 200.000 auf 130.000 gesunken. Sie wird weiter drastisch zurückgehen, denn bis zum Jahr 2025 laufen die Sozialbindungen für fast 50.000 Wohnungen aus.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Dem stehen 40.000 Haushalte gegenüber, die eine Sozialwohnung suchen. Drei Viertel dieser Suchenden entfallen auf den Regierungsbezirk Darmstadt. Das heißt, die weit überproportionale Zahl der Wohnungssuchenden im Ballungsraum verschärft die Lage dramatisch. Deshalb kann man doch aus Ihren eigenen Daten nur einen Schluss ziehen: Die öffentliche Hand benötigt mehr denn je Wohnungsunternehmen, die bezahlbaren Wohnraum schaffen und erhalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Jenseits der großen Städte, die häufig auch über eigene leistungsfähige Wohnbaugesellschaften verfügen, ist es gerade die NH, die im gesamten Land Wohnungsbestände unterhält und deshalb in der Fläche eine unverzichtbare Aufgabe erfüllt. Sie sollten doch wissen, dass nicht nur die Quantität der Wohnungen dramatisch zurückgeht – auch ihre Qualität entspricht nicht mehr den Anforderungen der Gegenwart, geschweige denn der Zukunft. Ich will nur die Stichworte demografischer Wandel und energetische Sanierung nennen.

Ich will noch einen weiteren Punkt hinzufügen, den ich bereits im Dezember besonders hervorgehoben habe: die Bedeutung der Nassauischen als Partner von Land und Kommunen bei der Stadt- und Landesentwicklung.

Angesichts der Veränderungen, die die demografische Entwicklung, aber auch die Migrationsbewegungen in unsere Stadtviertel tragen, ist diese Funktion der NH von ganz besonderer Bedeutung. Sie ist Träger von Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen für mehr als 30 hessische Städte. Sie führt in zahlreichen weiteren Kommunen Sanierungsberatungen durch. Sie engagiert sich in erheblichem Umfang bei Konversionsprojekten und Stadtumbau und den Programmen Aktive Kernbereiche und Soziale Stadt, ebenso bei der Entwicklung der Gewerbeflächen.

All das zusammengenommen macht doch klar: Die Nassauische Heimstätte/Wohnstadt ist ein unverzichtbares strategisches Investment für die Wohnungspolitik und die Entwicklungsplanung unseres Landes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ihr Vorgehen aber – gerade auch das, was Sie mit dem Fortgang der beiden langjährigen Geschäftsführer zusätzlich an Problemen provoziert haben – ist leider an Dilettantismus kaum zu überbieten. Herr Minister Schäfer, Sie haben ein Schiff leckgeschossen und während die Besatzung verzweifelt versucht, die Passagiere zu beruhigen, sorgen Sie auch noch dafür, dass Kapitän und Erster Offizier von Bord gehen. Sie bekommen aber auch keinen Ersatz, denn wer will schon auf ein Schiff, das zu sinken droht?

Geht es denn eigentlich fahrlässiger? Kaum vorstellbar.

Meine Damen und Herren, deshalb brauchen wir endlich gestandene Seeleute in dieser Landesregierung und keine Leichtmatrosen. Zeit, dass sich was dreht.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Lebhafte Zurufe von der CDU – Unruhe)

Herr Minister Schäfer, deshalb fordere ich Sie auf, die heutige Debatte dazu zu nutzen, hierher zu treten und die Verkaufsspekulation der Heimstädte/Wohnstadt ein für alle Mal zu beenden. Sie waren es, der das Ganze losgetreten hat. Sie können dieses Abenteuer heute und hier mit klaren Worten beenden.

Wir GRÜNE – das gilt auch für die Freundinnen und Freunde in Frankfurt – wollen nicht, dass sich das Land aus der Nassauischen Heimstätte zurückzieht. Wir wollen auch keine Zerschlagung. Wir wollen, dass die NH/Wohnstadt ihr Geschäft in den jetzigen Eigentumsverhältnissen fortsetzen kann – klipp und klar.

Deshalb bin ich froh, dass die Stadt Frankfurt von ihrer Absicht, die Beteiligung an der NH jetzt bei der ABG zu bündeln, Abstand nimmt, um weiteren Missverständnissen vorzubeugen.

Der Antrag, der zu diesen Missverständnissen geführt hat, wurde zurückgezogen, und damit können wir uns hoffentlich wieder dem realen wohnungspolitischen Versagen dieser Landesregierung zuwenden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Was wirklich ärgerlich ist, ist, dass der in der Landesregierung für Wohnungspolitik Zuständige, der Aufsichtsratsvorsitzende der Nassauischen Heimstätte, der scheidende Wirtschaftsminister Dieter Posch, in Sachen Heimstätte einfach nur schweigt. Warum hat er seinen Kabinettskollegen eigentlich nicht umgehend davor gewarnt, ein solch wichtiges landespolitisches Instrument dauerhaft aus der Hand zu geben – nur, um dafür einen einmaligen Privatisierungsgewinn einzustecken?

Die Antwort ist so bedauerlich wie wahr: Er hat sich für die Wohnungspolitik in diesem Land weder interessiert noch engagiert. Herrn Poschs Amtszeit waren verlorene Jahre für die hessische Wohnungspolitik,

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

auch jenseits der Heimstätte. Deshalb gehört zu dieser Debatte auch eine kritische Würdigung dessen, was er in der Sache hinterlässt. Die finden Sie in unserem Antrag.

Er hinterlässt die größten Baustellen seinem Nachfolger durch gesetzgeberische Untätigkeit. Vor fast genau einem Jahr hat die Landesregierung den Kommunen gegen unseren entschiedenen Widerstand das Instrument der Fehlbelegungsabgabe aus der Hand geschlagen, und entgegen Ihren vollmundigen Versprechen haben Sie es bis heute nicht geschafft, Ersatz anzubieten.

Zwar beziehen Sie sich bei anderen Maßnahmen gerne auf das Wohnraumförderungsgesetz des Bundes. Aber dessen Gebot, Fehlförderungen zu vermeiden oder auszugleichen, ignorieren Sie seit nunmehr einem Jahr.

Sie können sich nicht einen Teil eines Bundesgesetzes aussuchen, der Ihnen passt, denjenigen aber, der Ihnen nicht passt, einfach für belanglos erklären. So funktioniert das nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Klose, kommen Sie bitte zum Schluss.

Kai Klose:

Ich komme zum Schluss.

Meine Damen und Herren, was Hessen jetzt bräuchte, ist endlich wieder eine aktive Wohnungs- und Städtebaupolitik, die Angebot und Nachfrage bei Wohnraum zusammenführt, für gute soziale Infrastruktur sorgt und lebendige Quartiere schafft.

Ich biete Ihnen eine Wette an, dass es nicht ausgerechnet Florian Rentsch sein wird, der endlich zur Besinnung kommt und eine solch aktive Politik wieder einleitet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist wahrlich an der Zeit, dass sich in diesem Land etwas dreht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke sehr, Herr Klose.