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05.09.2012

Kai Klose: Gleiche Liebe, gleiche Steuer – Schluss mit der Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften

Verehrte Frau Präsidentin! Gleiche Liebe, gleiche Steuer – das ist die Überschrift unseres Antrags. Ich will mit dem zweiten Teil beginnen.

Das Ehegattensplitting, wie es seit Adenauers Zeiten existiert, hat sich längst überholt. Es ist ein Relikt der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Heute setzt es falsche steuerliche Anreize, weil es eben nicht in erster Linie Kindern zugutekommt, sondern der Ehe an sich. Das bestehende Ehegattensplitting fördert die Einverdienerehe in besonderem Maße, und auch das ist ein falscher Anreiz.

Deshalb wollen wir GRÜNE eine Weiterentwicklung, die sich ganz klar am Vorhandensein von Kindern orientiert – und zwar ganz egal, ob sie in einer klassischen oder in einer Patchworkfamilie leben, ganz egal, ob sie mit einem alleinerziehenden Elternteil oder z. B. bei einem lesbischen oder schwulen Paar aufwachsen. Da sind wir ganz beim Präsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Herrn Jung, der vorgestern in der „Frankfurter Neuen Presse“ sagte: „Familie ist, wo Kinder sind“ und dabei homosexuelle Paare ganz ausdrücklich einschließt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Trotz dieser dringend nötigen Reform des Splittings gilt – dafür sprechen sich sowohl Herr Jung wie auch einige Bundestagsabgeordnete der Union und Ihre aus Hessen stammende Familienministerin Frau Schröder aus –: Solange das Ehegattensplitting weiter besteht, ist es auch eingetragenen Lebenspartnerschaften zu gewähren. Sie wissen sehr genau, dass das Bundesverfassungsgericht mehrfach festgestellt hat, dass jede Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften ungerechtfertigt ist, wenn es keinen hinreichenden Sachgrund für eine Unterscheidung im Vergleich zur Ehe gibt. Oder, wie es das Gericht selbst sagt, Zitat:

Schließlich kann die Schlechterstellung der Lebenspartner gegenüber den Ehegatten nicht mit der in Art. 6 Abs. 1 GG verankerten Pflicht des Staates, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern, gerechtfertigt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heike Hofmann (SPD) – Anhaltende Unruhe)

Vizepräsidentin Ursula Hammann: 

Einen Moment bitte, Herr Kollege. – Ich bitte um etwas mehr Ruhe.

Kai Klose: 

So und nicht anders sieht es das Bundesverfassungsgericht. Viele halten es deshalb für absehbar, wie es auch in der Frage des Ehegattensplittings urteilen wird.

Es ist auch ganz logisch, wenn Sie sich die simple und ganz konkrete Frage stellen: Was unterscheidet aus Sicht des Staates eigentlich die kinderlose Ehe von Frau Merkel und Herrn Sauer von der kinderlosen eingetragenen Lebenspartnerschaft von Herrn Westerwelle und Herrn Mronz?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genau vor dieser gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben Sie eine, wie ich finde, irrationale Angst. Diese Angst, Herr Dr. Wagner – wenn ich Sie da persönlich ansprechen darf –, spricht aus Ihren Worten, wenn Sie dem Urteil zum Splitting bereits vorgreifen und in einem Interview sagen, das Bundesverfassungsgericht höhle nach und nach den Wesensgehalt des Art. 6 GG aus. Glücklicherweise ist es das Bundesverfassungsgericht, das in diesem Land das Grundgesetzt auslegt, nicht Sie.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heike Hofmann (SPD))

Für jemanden, der so gerne den Verfassungspatriotismus im Munde führt, ist das schon eine ganz bemerkenswerte Haltung, Herr Dr. Wagner.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Kern des Aufrufs der Bundestagsabgeordneten der CDU liegt im Übrigen weniger in der konkreten Forderung nach der Gewährung des Splittings. Der Kern ist, dass Ihre Kolleginnen und Kollegen politische Verantwortung übernehmen wollen und sie es leid sind, sich in diesen Fragen immer und immer wieder von den Gerichten zwingen lassen zu müssen, statt selbst zu gestalten. Das ist es, was Ihre Parteifreunde als beschämend empfinden. Ich finde, „beschämend“ ist noch ein freundlich geratenes Urteil, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Damit bin ich auch beim ersten Teil des Titels unseres Setzpunkts. Wir reden von einem höchst sensiblen Bereich, nämlich davon, wie und in welchem Umfang der Staat in das private Zusammenleben seiner Bürgerinnen und Bürger eingreifen darf. Wir reden davon, dass die gültige Rechtslage die sexuelle Orientierung der Bürgerinnen und Bürger sanktioniert. Wer als heterosexuelles Paar in einer Ehe lebt, wird vom Staat belohnt. Wer aber als homosexuelles Paar die gleiche Verantwortung und die gleichen Pflichten übernimmt, hat nicht die gleichen Rechte. Das ist nicht irgendeine abstrakte Regelungsfrage.

Wir reden ganz konkret von den lesbischen und schwulen Menschen in Ihrem Bekannten- und Freundeskreis, in Ihrem Arbeitsumfeld, vielleicht in Ihrer Familie, an die Sie jetzt gerade denken müssen. Wir reden von Menschen, die genau wie Sie füreinander da sind, in guten wie in schlechten Zeiten, die vielleicht sogar gemeinsam Kinder großziehen. Das sind zentrale Werte, die unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhalten, und sie sind kein Stück weniger wert, weil sie zwischen zwei Frauen oder zwei Männern gelebt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Deshalb steht es dem Staat nicht zu, die sexuelle Orientierung seiner Bürgerinnen und Bürger zu sanktionieren, meine Damen und Herren. Sexuelle Orientierung ist doch keine Frage von Entscheidungen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Von Steueranreizen!)

Es ist weder ein Segen noch ein schweres Schicksal. Ich nehme an, das gilt auch für die heterosexuelle Mehrheit in diesem Haus. Nein, sexuelle Orientierung ist schlicht und einfach ein unveränderlicher Fakt. Deshalb haben wir es satt, ständig begründen zu müssen, dass wir als Lesben, Schwule oder Transsexuelle die gleiche Achtung verdienen wie Heterosexuelle und dass unsere Beziehungen und unsere Familien denselben Schutz des Staates verdienen. Machen Sie endlich Schluss damit!

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Wer die Debatte der vergangenen Wochen verfolgt hat, dem fällt auf, dass die Argumente, die für diese Ungleichbehandlung herangezogen werden, immer kruder werden. Norbert Geis will ich gar nicht heranziehen; ich glaube, den nimmt auch bei Ihnen niemand mehr ernst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber wenn eine gestandene Staatssekretärin im Bundesumweltministerium ernsthaft behauptet, die Existenz eingetragener Lebenspartnerschaften sei ursächlich für den demografischen Wandel und eine Bedrohung für die Gesellschaft, dann frage ich mich schon: Wo lebt diese Frau eigentlich? Wer so etwas glaubt, der kann ja konsequent sein und auch gleichgeschlechtlichen Paaren endlich erlauben, gemeinsam Kinder zu adoptieren. Vielleicht wäre das ein aktiver Beitrag gegen den demografischen Wandel, meine Damen und Herren.

Dann wird argumentiert, die Ehe werde nun einmal zwischen Mann und Frau geschlossen. Das ist richtig. Aber es beschreibt nicht mehr als eine gesellschaftliche Übereinkunft. Gesellschaft entwickelt sich weiter und trifft neue Übereinkünfte. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen katholisch und z. B. mit einer Protestantin oder einem Protestanten verheiratet sind oder umgekehrt. Es gab auch Zeiten, in denen die Ehen zwischen den Konfessionen verboten waren. Ich bin sicher, Sie sind glücklich, dass das irgendwann überwunden wurde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Noch ein drittes Argument der Gegner, und dann will ich mit den Beispielen auch aufhören: Die Homo-Ehe zerstöre die traditionelle Ehe, weil sie sie ihrer Bedeutung beraube. – Das ist doch ausgemachter Blödsinn. Keiner einzigen heterosexuellen Ehe wird dadurch etwas genommen, dass Lesben und Schwule heiraten können. Mehr als die Hälfte der bürgerlichen Ehen zerbricht jedes Jahr. Ich will Ihnen eine einfache Frage stellen: Was gefährdet die traditionelle Ehe mehr – die Homosexuellen, die heiraten wollen, oder die Heterosexuellen, die ihre Ehe auflösen?

Meine Damen und Herren, vor zwei Wochen hat sich auch der Ministerpräsident zu dem Thema geäußert und zu der Behauptung verstiegen, die unberechtigten Ungleichbehandlungen zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft seien beseitigt. Ich habe Herrn Bouffier – ich kann es Ihnen auf den Tisch legen – einmal die Aufstellung der Bundesjustizministerin Ihrer Bundesregierung mitgebracht, in welchen Gesetzen und Regelungen die Gleichstellung immer noch aussteht.

(Der Redner hält eine Unterlage hoch.)

Allein diese Liste – Sie sehen, die Schrift ist nicht groß – umfasst 22 Seiten. Vielleicht sollte er sich die einmal unter das Kopfkissen legen, bevor er wieder munter drauflosplaudert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da wir bei „Justizministerium“ und „munter drauflosplaudern“ sind: Auch von Herrn Minister Hahn sind denkwürdige Sätze überliefert. Im Sommerinterview des Hessischen Rundfunks hat er gesagt: Jetzt ist der Wendepunkt erreicht, es muss eine vollkommene Gleichheit zwischen der Ehe auf der einen und homosexuellen Partnerschaften auf der anderen Seite geben. – Ich begrüße ausdrücklich, dass auch Herr Hahn inzwischen vom Baum der Erkenntnis genascht hat. Aber ich sehe nicht, dass er diese Erkenntnis umsetzt. Wo bleiben die Initiativen? Es liegt in seiner Macht und Zuständigkeit, die Gleichstellung der Lebenspartnerschaften und der Ehe endlich auch – rückwirkend zum 1. August 2001 – in Hessen umzusetzen. Geliefert hat er nichts. Im Gegenteil, entsprechende Initiativen sind hier im Haus sogar abgelehnt worden. Deshalb: Wenn Ihren Worten wieder keine Taten folgen, sind sie – ein Jahr vor den Wahlen des Bundestags und des Hessischen Landtags – reines Blendwerk, pure Schaumschlägerei, verehrte Kollegen von der FDP.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Ursula Hammann: 

Sie müssen zum Ende Ihrer Rede kommen, Herr Kollege.

Kai Klose: 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren, wir debattieren nicht zum ersten Mal darüber, wie die Mehrheitsgesellschaft mit ihren Minderheiten umgeht. Dabei geht es exemplarisch auch immer um die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir eigentlich leben? Wir GRÜNE stehen für eine Gesellschaft, die die Freiheit der individuellen Lebensentfaltung ermöglicht. Wir stehen dafür, die Gerechtigkeit umzusetzen, die das Bundesverfassungsgericht in vielen Urteilen manifestiert hat: Wesentlich Gleiches ist gleich zu behandeln. – Für uns GRÜNE sind Vielfalt und gegenseitiger Respekt eine Stärke unserer Gesellschaft. Wir suchen nicht immer nach neuen Wegen der Ausgrenzung.

Am Ende des Tages, da bin ich ganz sicher, müssen auch Sie irgendwann respektieren, dass wir sicherlich nicht alle gleichartig sind, aber eben gleichwertig, meine Damen und Herren. Deshalb ist die Gleichstellung kein Gnadenakt, sondern Verfassungsgebot. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Ursula Hammann: 

Vielen Dank, Herr Kollege Klose.

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