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27.01.2010

Frank Kaufmann zu: Studien belegen: Fluglärm verursacht Gesundheitsschäden

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Man erlebt bei dieser Landesregierung immer wieder Überraschungen. Dass sie deutlich rückwärtsgewandt ist, wussten wir schon. Schließlich stammen ihre politischen Ziele eher aus dem 19. denn aus dem 21. Jahrhundert. Doch dass die Regierung uns etliche Jahrhunderte zurück, ins Mittelalter mit all seiner geistigen Düsternis schicken will, hatten wir dann doch nicht erwartet.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Herr Kollege Arnold, genau das versucht der Herr Verkehrsminister mit seiner Weigerung zu tun, wissenschaftlich fundierte Befunde zum Zusammenhang von Fluglärm und Krankheitsrisiken zur Kenntnis zu nehmen und zu diskutieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass Minister Posch damit locker die Errungenschaften der europäischen Geistesgeschichte seit der Aufklärung über Bord wirft, ist ihm nicht aufgefallen. Hauptsache, der muss nicht über Tatsachen sprechen, die er nicht wahrhaben will, weil sie ihm nicht in den Kram passen. So erleben wir mal wieder die bei der Landtagsmehrheit von CDU und FDP schon gut eingeübte Arroganz der Macht.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, natürlich können Sie beschließen, dass Fluglärm gesund, die FDP nicht käuflich und die Erde eine Scheibe ist.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Es bleibt allerdings die Frage: Stimmt das wirklich, oder kann die Mehrheit eben doch nicht die Wahrheit ersetzen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Kann man es anders als erbärmlich nennen, wenn der Herr Verkehrsminister aus Angst davor, Fakten und Argumenten nichts entgegensetzen zu können, die Debatte verweigert und sich aus dem Staub macht? Das ist übrigens derselbe Verkehrsminister, der nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, welches mehr Schutz vor nächtlichem Fluglärm gefordert hat, diesen Auftrag nicht akzeptieren wollte, sondern wortreich und lautstark nach Klärung gerufen hat, um damit die Revision und seinen Widerstand zu begründen. Jetzt wollen Minister Posch und seine Claqueure von der Mehrheit hier im Hause in der Frage der Wirkung nächtlichen Fluglärms genau das Gegenteil von Klärung, nämlich möglichst dichten Nebel, um sich nicht um Aufklärung bemühen zu müssen.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

– Herr Kollege Dr. Arnold, das ist kein Unsinn, sondern empörend, denn die Begründung für den Wunsch nach fortbestehendem Nichtwissen ist der Versuch, das zu stärken, was Minister Posch zuvor öffentlich behauptet hatte, dass nämlich lärmmedizinische Untersuchungen im Planfeststellungsbeschluss nach einem „umfassenden Abwägungsprozess“ – so der Kollege Müller – beziehungsweise nach einem „intensiven Abwägungsprozess“ – so der Kollege Arnold – berücksichtigt worden seien. So stand es in der „FAZ“ zu lesen.

Schauen wir doch einmal nach, ob das stimmt. Der Planfeststellungsbeschluss geht allerdings ohne weitere Prüfungen von § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchstabe a des Fluglärmschutzgesetzes aus. Darin finden sich keine wissenschaftlich tragfähigen Befunde über die Wirkung von Fluglärm.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das wird schon daran deutlich, dass in diesem Gesetz aufgrund intensiver Lobbyarbeit der Fraport AG die sogenannte Frankfurter Schutzvorschrift aufgenommen wurde, nämlich die Unterscheidung in die Buchstaben a und b. Ab 2011, also nach der Genehmigung des Ausbaus in Frankfurt, gilt Buchstabe b – ein um immerhin 3 bis 4 dB(A) niedrigerer Grenzwert als der aktuelle Grenzwert –, während der Ausbau in Frankfurt unter Buchstabe a noch genehmigt werden konnte.

Ansonsten referiert der Planfeststellungsbeschluss nur kurz das Schutzkonzept aufgrund von Fluglärmkriterien der berüchtigten Vier: Griefahn, Jansen, Scheuch und Spreng. Das ist das berühmte Gutachten G 12, das sich in den Antragsunterlagen findet. Darin steht ein nicht unwichtiger Satz, der ein stützendes Element des sogenannten Schutzkonzepts ist. Ich zitiere:

Es kann deshalb vereinfachend als präventiver Richtwert für eine noch tolerable nächtliche Fluglärmbelastung unter Verwendung des physiologischen Überproportional-Schwellenwertes von LO = 53 dB(A) und unter Berücksichtigung des vereinfachenden Ansatzes des physiologischen Modells das Kriterium 13 x 53 dB(A) vorgeschlagen werden.

Meine Damen und Herren, doch genau zu diesen Kriterien – das ist wichtig – gibt es, vielleicht abgesehen von wenigen Einzelbeobachtungen, keine empirische und erst recht keine epidemiologische Absicherung. Herr Posch, Sie haben doch behauptet, es sei alles berücksichtigt worden. Treten Sie hier ans Pult und erklären Sie, wo im Planfeststellungsbeschluss Ihres Amtsvorgängers eine Berücksichtigung von Erkenntnissen aus epidemiologischen Studien zur Fluglärmwirkung oder sonstigen empirischen Absicherungen mit Querschnittsdaten aus der vom Fluglärm betroffenen Bevölkerung vermerkt ist. Ich stelle meinerseits fest, dass die Behauptung von Herrn Posch unwahr ist. Dem Planfeststellungsbeschluss liegt nichts dergleichen zugrunde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Wir haben aber jetzt wissenschaftliche und obendrein qualitätsgesicherte Ergebnisse epidemiologischer Studien, die durchaus Erschrecken verursachen. Mit aller gebotenen, der Wissenschaft eigenen Zurückhaltung lässt sich feststellen: Fluglärm führt von einem Dauerschallpegel von 40 Dezibel an zu relevanten Erkrankungen des Herzens und des Kreislaufs sowie bei Frauen unter anderem zu Brustkrebs. Insbesondere der Zusammenhang zwischen Fluglärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen müsse als ursächlich angesehen werden, sagen die Wissenschaftler.

Diese Feststellung ist, im Gegensatz zur Ansicht von Herrn Posch, bereits wissenschaftlich aufgearbeitet. Zumindest wäre eine kritische Diskussion über die Schlussfolgerungen nicht nur möglich, sondern sogar dringend geboten.

Genau diesem Zweck soll die von uns beantragte Anhörung im Landtag dienen, in der wir selbstverständlich unterschiedliche Sichtweisen hören wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir plädieren nämlich – leider erkennbar im Gegensatz zu Ihnen – für einen rationalen Dialog und gegen eine emotionale Voreingenommenheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer, so frage ich, kann angesichts dieser Befunde allen Ernstes so tun, als wenn nichts wäre? Wer meint denn wirklich, dass man die Erkenntnisse aus den greiserschen Studien totschweigen soll? Ich darf den verehrten Lautsprecher von CDU und FDP freundlich darauf hinweisen, dass wir GRÜNEN weder Emotionen missbraucht noch unverantwortliche Panikmache oder grünen Aktionismus betrieben haben.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Das wäre etwas Neues!)

Das waren alles die an uns gerichteten Vorwürfe, die Sie verbreitet haben.

Wir halten es allerdings für zwingend erforderlich, dass über die Erkenntnisse aus den Studien diskutiert wird und dass dann daraus Schlüsse gezogen werden. Aber wir hören und lesen von der Mehrheit in diesem Hause nichts anderes, als dass es eine Abwehrhaltung gibt und den dringenden Wunsch, diese Fakten zu ignorieren. Auch wenn die jetzt erkannten Folgen insbesondere des nächtlichen Fluglärms Ihnen nicht in den Kram passen, existieren sie bedauerlicherweise trotzdem. Herr Dr. Arnold, Sie werden diese Folgen auch nicht durch Ihr Schweigen beseitigen können.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Will doch keiner!)

Da wir jetzt wissen, dass Krankheiten nicht erst von Dauerschallpegeln ab 60 Dezibel an aufwärts, sondern bereits von Dauerschallpegeln ab 40 Dezibel an aufwärts verursacht werden, sehen wir GRÜNE es aufgrund der Garantenpflicht des Staates im Hinblick auf die Grundrechte – ich erinnere an Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz – als unabdingbar an, genau nachzufragen und genau hinzuschauen. Genau das sollten eigentlich alle, die sich der Vernunft verschrieben haben, ebenfalls wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, ich darf Sie daran erinnern, dass Sie sich gern als Hüter des Mediationsergebnisses hervortun. Dazu haben Sie jetzt wieder einmal eine gute Gelegenheit. Das in der Mediation bestätigte No-regret-Prinzip wäre nämlich massiv verletzt, wenn man den Erkenntnissen aus den epidemiologischen Studien nicht intensiv nachginge und die getroffenen und zu treffenden Entscheidungen nicht nach hieraus abzuleitenden Folgen beurteilte. Genau das wollen wir aber: dass sich die verantwortlichen hessischen Politiker verantwortungsvoll um den Schutz der Bevölkerung vor den gesundheitlichen Folgen des Fluglärms kümmern.

Meine Damen und Herren von den Mehrheitsfraktionen, deswegen appelliere ich an Sie: Geben Sie Ihren Widerstand dagegen auf, und treten Sie mit uns in einen rationalen Dialog ein. Oder wollen Sie uns am Ende dazu zwingen, parlamentarische Minderheitsrechte in Anspruch zu nehmen, nur um der Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen? Das sollten Sie sich noch einmal gut überlegen, und in Verbindung damit sollten Sie sich anschauen, was eigentlich passiert: Dass immer mehr Kommunen unterschiedlichster politischer Couleur das Vertrauen in Ihre Art des Umgangs mit dem Fluglärmproblem verlieren, kann man den Zeitungen täglich entnehmen.

Gehen Sie in sich, und denken Sie noch einmal nach. In dieses Parlament gehört eine rationale Diskussion; denn wir vertreten die Öffentlichkeit, und wir haben dafür zu sorgen, dass sich der Staat um die Gesundheit seiner Bürgerinnen und Bürger die richtigen Gedanken macht. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Kollege Kaufmann.