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18.05.2011

Frank Kaufmann: Wachsende Fluglärmbelastung im Rhein-Main-Gebiet

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 25. April 2011 war nicht nur in Wiesbaden ein wunderschöner Tag. Ein strahlender, ein ruhiger und besinnlicher Feiertagsmorgen – seit 4 Uhr herrschte ja auch Tanzverbot. Insoweit gab es keine Störung.

Dies endete jäh um 4:56 Uhr – übrigens: rechtlich bzw. faktisch gesehen mitten in der Nacht –, da gingen eine B 777 aus Chicago, zwei Minuten später eine Airbus 330 der Lufthansa, aus Kuwait kommend, und um 5:07 beziehungsweise um 5:10 Uhr zwei Boeing 747-400 – die lauten Cargo-Flugzeuge –, die eine aus Moskau, die andere aus Peking, über Wiesbaden hinweg. So ging es weiter bis 5.30 Uhr. Innerhalb einer knappen Stunde waren 13 Maschinen, alle in Flughöhen zwischen 1.000 und 1.200 m, über Wiesbaden hinweggegangen, über das Wohngebiet am Moltkering, über die Biebricher Allee, die Siedlung Hainerberg und die Siedlung Freudenberg, weiter in Richtung Walluf, Eltville bis nach Geisenheim, dabei stets langsam, aber kontinuierlich sinkend, d. h. immer lauter werdend. Das waren die Fakten am Ostermontagmorgen in diesem Jahr.

Seitdem hagelt es Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger in den genannten und weiteren Wohngebieten. Eigentlich sollte sich niemand darüber wundern. Diese Tatsache und die Tatsache, dass sich die Leute darüber beschweren, dass sie auch am Feiertagsmorgen so abrupt geweckt wurden und nicht mehr schlafen konnten, sollte eigentlich auch der Landesregierung und der Koalition bekannt sein. Auf die Reaktionen Ihrerseits werde ich noch zu sprechen kommen.

Meine Damen und Herren, was ist denn geschehen? Geschehen ist, dass seit dem 10. März dieses Jahres eine Veränderung von Flugrouten stattgefunden hat, und zwar im Vorfeld der für diesen Herbst geplanten Inbetriebnahme der Landebahn Nordwest am Flughafen Frankfurt. Seit dem 10. März sind die sogenannten Gegenanflugstrecken gespreizt worden, d. h. die nördliche nach Norden und die südliche nach Süden verschoben worden. Ich betrachte jetzt einmal im Wesentlichen die nördliche Gegenanflugstrecke, also die, die auch in Wiesbaden für Krach gesorgt hat. Sie ist z. B. 2,8 km weiter nördlich geführt worden als früher.

Viele behaupten bis zu dieser Stunde, das habe man doch alles gewusst. Ich kann nur sagen: Man hat es nicht gewusst.

(Widerspruch des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

In der berühmten Planung der neuen Flugrouten – Herr Kollege Arnold, schauen Sie es sich an –, die am 19. April 2001 in Betrieb gegangen ist, sind die Flugrouten genau nicht in der Form gespreizt gewesen. Erst seit Herbst 2010 wurde intern darüber diskutiert. In der Öffentlichkeit wurde nicht darüber geredet. Stattdessen wird in der Öffentlichkeit ständig darüber diskutiert und von interessierter Seite gefeatured – vor allem auch von den Flughafenausbaufreunden –, man bemühe sich um immer mehr Schallschutz und um aktiven Schallschutz. Im Rahmen des Forums „Flughafen und Region“ gibt es dazu eine Arbeitsgruppe. Da wird angekündigt, CDA, DROps und viele andere Dinge auszuprobieren, die tatsächlich zu Lärmreduzierungen, zumindest zu geringerer Lärmbelastung am Boden führen sollen und jetzt geübt würden.

Meine Damen und Herren, das ist alles schön und gut. Ich will überhaupt nicht leugnen, dass solche Bemühungen notwendig und möglicherweise auch hilfreich sind. Zu kritisieren ist, dass hier einerseits eine Debatte auf der Grundlage einiger Versuche im gering quantifizierten Nachtbetrieb geführt wird und dass andererseits im Normalbetrieb Maßnahmen durchgeführt werden, die tatsächlich eine deutliche Steigerung der Lärmbelastung bedeuten. Aufgrund der Spreizung der Anflugrouten haben wir nämlich erheblich mehr Lärmbetroffene.

Ein zweiter Punkt, der besonders ärgerlich ist, kommt hinzu. Das ist eine offensichtlich deutlich merkbare – vor allem deutlich hörbare – Herabsetzung der Flugebene, auf der diese Anflüge stattfinden. Infolgedessen sind die Menschen stärker betroffen. Dass die Beschwerden so groß waren, hat natürlich etwas damit zu tun, dass wir an Ostern schönes Wetter hatten.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

– Ja, die berühmte Ostwindwetterlage Betriebsrichtung 07, die dazu führt, dass die Gegenanflugstrecke Richtung Westen im Sinkflug genutzt wird, sodass die Flugzeuge über Wiesbaden nur noch in einer Höhe von 3.000 bis 4.000 Fuß fliegen und daher leichter zu hören sind.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Dagegen muss man doch etwas machen. Man darf sich nicht, wie die Mitglieder der Landesregierung, wie die berühmten drei Affen verhalten: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Vielmehr muss man sich einschalten, wenn man sich um die Belange der Bevölkerung in Hessen, insbesondere im Rhein-Main-Gebiet, kümmern will.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Was müssen wir beobachten? Der zuständige Staatsminister, Herr Posch, der in seinem Hause auch die Luftaufsicht hat, macht genau das Gegenteil. Er macht Propaganda für die Initiative „Die Fracht braucht die Nacht“. In dem Zusammenhang ist er mit den entsprechenden Äußerungen im Internet zu bewundern.

Außerdem ist er vor dem Bundesverwaltungsgericht Revisionskläger gegen das Nachtflugverbot. Auf wiederholte Nachfragen von mir, auch in Form von Kleinen Anfragen, hören wir solch wundersame Bemerkungen wie – ich zitiere –: Die Landesregierung sieht sich in einer „moderierenden und beratenden Rolle im Interesse eines fairen Ausgleichs zwischen Bürger- und Flughafeninteresse.“

Meine Damen und Herren, fragen Sie einmal all diejenigen, die am Ostermontag kurz vor 5 Uhr durch den Lärm der Flieger aus dem Bett geholt wurden, ob sie dabei einen fairen Ausgleich zwischen Bürger- und Flughafeninteresse erkennen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Herr Kollege Arnold, was erleben wir jetzt, wenn wir, wie es sich gehört, im Sinne einer Politik, die sich um die Belange der Menschen kümmert, dieses Thema aufgreifen, auf die Gründe hinweisen und politische Forderungen stellen – auf die werde ich noch zu sprechen kommen –, wie man damit umgeht? Wir hören von Ihrer Seite und vonseiten des Kollegen von der FDP dümmliche Antworten nach dem Motto, wir würden die Probleme nur deshalb benennen – Herr Kollege Arnold hat es so schreiben lassen –, weil wir Tausende von Arbeitsplätzen vernichten wollten.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

– Verehrter Herr Kollege Dr. Arnold, ich bin darüber verwundert, dass Sie sich politisch so dumm anstellen.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Nach den Wahlen, die gerade an verschiedenen Stellen des Bundesgebiets stattgefunden haben, könnte man eigentlich zu dem Ergebnis kommen, dass es gerade für Ihre Partei hilfreich wäre, sich etwas mehr mit den Belangen der Menschen und ihren Beschwerden zu beschäftigen. Das könnte hilfreich sein.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Nachdem wir diese Themen jahrelang bearbeitet hatten – teilweise sehr zu Ihrem Leidwesen –, haben wir feststellen können, dass wir Zustimmung geerntet haben, weil wir uns darum gekümmert haben. Anstatt sich etwas davon abzuschauen, hauen Sie jetzt voll drauf und sagen, wir wollten nur Arbeitsplätze vernichten.

Nein, Herr Dr. Arnold und die übrigen Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, wir wollen keine Arbeitsplätze vernichten, sondern wir wollen die Menschen, die im Rhein-Main-Gebiet leben und schlafen wollen, davor bewahren, unnötigerweise mit mehr Fluglärm belastet zu werden, nur weil dieser Minister und seine Leute ignorant danebenstehen und erklären, sie seien nicht zuständig und könnten nichts machen. Diese Antwort befriedigt in der Tat nicht, und sie kann auch nicht befriedigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sage ich Ihnen, was die Politiker machen können. Sie können zum Ersten dafür sorgen, dass administrativ die kurze Kette genommen wird, dass die Luftaufsicht tatsächlich zu einer solchen wird und dass, wenn es zu Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kommt, dort eingegriffen und den Fällen nachgegangen wird. Entschuldigen Sie bitte, dass ich das sage: Aber dass man in einem reinen Wohngebiet an einem Feiertag morgens um 4.56 Uhr von einem Lärm mit mehr als 60 dB(A) aus dem Bett gerissen wird, halte ich für eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die ein entsprechendes Nachgehen verlangt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was können die Politiker noch machen? Sie können erstens damit aufhören, ihre Versprechen zu brechen, und das Nachtflugverbot jetzt umsetzen, worauf alle, die dem Ausbau des Flughafens zuschauen mussten – ihn teilweise auch zustimmend begleiten haben –, jetzt zu Recht warten.

Sie können zweitens dafür sorgen – das hatten wir in diesem Landtag schon beim letzten Mal; die SPD hat den Antrag unglücklicherweise ohne Aussprache durchhuschen lassen, er ist heute in gleicher Form noch einmal gestellt worden; auch bei uns steht es mit drin –, dass die Deutsche Flugsicherung nicht nur für die Sicherheit des Flugverkehrs, deren Bedeutung niemand bestreiten will, sondern gleichrangig auch für den Schutz der betroffenen Bevölkerung vor Lärm zuständig ist und gesetzlich darauf verpflichtet wird. Sie darf nicht, wie es derzeit im Gesetz steht, auf die Sicherheit auf der einen Seite und die Flüssigkeit auf der anderen Seite, was eine maximale Ausnutzung der Kapazität bedeutet, verpflichtet sein.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Das gehört geändert, und genau das können die Politiker auch leisten. Gerade vor dem Hintergrund des Ausbaus, bei dem Kapazität zuwächst, sage ich ganz offen: Zwei oder drei Slots zu verlieren, es gleichzeitig aber für alle leiser zu machen, wäre ein Kompromiss, den man als fair bezeichnen könnte.

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Schluss.

Frank-Peter Kaufmann:

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Man kann aber nicht immer das Maximum verlangen und gleichzeitig so tun, als ob man der Bevölkerung helfen wollte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die letzte Forderung ist: Flugrouten und Flugverfahren müssen, ähnlich wie die Planfeststellung, in einem öffentlichen Verfahren mit der Auslegung der Pläne, dem Einreichen von Einwänden, dem anschließenden Bescheid und der Beklagbarkeit festgelegt werden, nicht etwa geheim im stillen Kämmerlein. Sie beschimpfen die Fluglärmkommission, wenn sie sich dagegen wehrt, anstatt zu sagen: Die Bevölkerung muss stärker eingebunden werden. – Das wäre die richtige Politik. Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Kollege Kaufmann.