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27.06.2012

Frank Kaufmann: Bericht des Untersuchungsausschusses 18/1 und Abweichende Berichte der Mitglieder der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn wollte ich mich über die CDU wundern, über ihre merkwürdige Art, mit diesem Ausschuss umzugehen. Jetzt muss ich diese Verwunderung noch etwas deutlicher formulieren: Es ist eine absolute Dreistigkeit, sich erst hier der Debatte zu verweigern und peinlich sitzen zu bleiben – und dann auch noch in Ihrem eigenen Bericht die Dinge als so etwas von gegen die Wahrheit und gegen das Empfinden aller darzustellen, dass man darüber nur noch den Kopf schütteln kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der CDU, gehen Sie denn wirklich von der vollständigen Verblödung insbesondere auch der Vertreter der Presse aus? Während der Vernehmungen waren doch die Kolleginnen und Kollegen insbesondere der schreibenden Zunft durchgängig anwesend. Ihnen dann das, was Sie in den Mehrheitsbericht hineingeschrieben haben, hier weismachen zu wollen – was glauben Sie eigentlich, bei wem das verfangen kann? Glauben Sie wirklich, dass Ihnen irgendeiner Ihre Tatsachenverdrehungen und falschen Wiedergaben der Zeugenaussagen abnimmt? Glauben Sie, wir täten das? – Die Antwort lautet zweimal eindeutig: nein.

Deswegen fragt man sich: Warum tun Sie das eigentlich? Weil Sie sich mit dem Bild, das Sie gesetzt haben und das der Berichterstatter vorgetragen hat – alles war in Ordnung, da war überhaupt nichts, was es zu kritisieren gäbe – erkennbar und deutlich völlig neben der Realität befinden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Form und Umfang der Feststellungen im Mehrheitsbericht können nämlich nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich hier nicht um objektive Befunde oder wenigstens nur um intersubjektive Feststellungen handelt, sondern lediglich um das Ergebnis einer einseitig wertenden Betrachtung und einer tendenziösen Auswahl von Textpassagen durch den Berichterstatter handelt. Offenkundig nicht ins Bild passende Zeugenaussagen – z. B. die sämtlicher Steuerfahnder – finden nahezu keine Berücksichtigung, während umgekehrt sogar Zeugen ausführlich zitiert werden, die nach eigenem Bekunden zum Kernvorwurf überhaupt keine eigenen Wahrnehmungen beitragen konnten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer so arbeitet, der sollte sich nicht wundern, dass man ihn nicht ernst nimmt.

Wer dann auch noch Sätze formuliert wie:

Die Steuerfahnder wurden in keiner Weise Repressalien ausgesetzt.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

oder:

Verfahrensmängel gab es nicht.

der macht sich zum Kasper.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, es geht aber immer noch doller. Wer sich im Surrealen bewegt, wie es der Kollege Beuth aktuell bevorzugt, der lässt sich – und lässt das auch an uns schicken – von der Kanzlei bescheinigen, dass dieser Untersuchungsausschuss insgesamt 470.000 Euro gekostet habe.

Dabei aber vergisst der Kollege zweierlei: dass der Untersuchungsauftrag von CDU und FDP aufgebläht wurde,

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

wodurch eindeutig mehr Aufwand entstand, und dass diese Aufblähung auch noch zu relevanten Teilen verfassungswidrig war, wie der Staatsgerichtshof festgestellt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Dieses Verfahren einschließlich der dadurch gegebenen zeitlichen Verzögerung hat natürlich auch die Kosten nach oben getrieben. Peter Beuth, der Generalsekretär der CDU Hessen – man wird ihn vielleicht dazu noch hören – hat sich schriftlich schon über etwas aufgeregt, was er selbst veranlasst hat. Da kann ich nur sagen: Weiter so, Herr Kollege. Machen Sie das doch bitte bei Ihrer Wahlkampfplanung genauso. Ich will mich für die GRÜNEN schon einmal vorab für diese Unterstützung bedanken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen, meine Herren, kommen wir zu unseren grünen Bewertungen der Vorgänge, wie sie sich nach der Beweisaufnahme tatsächlich darstellen. Bereits im Rahmen des Untersuchungsausschusses 16/1 – das war vor zwei Legislaturperioden – bezeichnete der damalige FDP-Abgeordnete Roland von Hunnius in einer Rede vor dem Plenum im November 2005 die personellen Maßnahmen, die auch Gegenstand des aktuellen Untersuchungsausschusses waren als „Verkettung von Merkwürdigkeiten und Absonderlichkeiten, die aufhorchen lässt“. Er fügt seiner Auflistung hinzu, dass es einem unvoreingenommenen Beobachter schwerfalle, an eine zufällige Verkettung zu glauben.

Jetzt stellt die Mehrheit fest: Es war alles in Ordnung, es war gar nichts los. – Entgegen dieser Mehrheitsauffassung handelt es sich bei den untersuchten Geschehnissen nicht um schlichte Arbeitsplatzkonflikte, wie sie an jedem Arbeitsplatz auftreten können. Art, Umfang und Folgen der Ereignisse sowie der Umstand, dass alle Hierarchieebenen der hessischen Finanzverwaltung involviert waren, offenbaren vielmehr einen gravierenden Systemfehler.

Entgegen den Ausführungen im Mehrheitsbericht kann die Verwaltung auch nicht für sich in Anspruch nehmen, stets rechtsmäßig gehandelt zu haben. Einer solchen Bewertung liegt eine Betrachtungsweise zugrunde, die ausschließlich die Einhaltung von formalen Verfahrensregeln im Blick hat, die Hintergründe des Geschehens jedoch unberücksichtigt lässt. So belegen die untersuchten Fälle, dass den personellen Maßnahmen sachfremde Erwägungen zugrunde lagen, die diese als Schikane damit unzulässig erscheinen lassen.

Wenn Sie sich die in unserem Bericht dargestellte Tabelle derjenigen ansehen, die den sogenannten Brandbrief unterschrieben haben, und feststellen, sie sind identisch mit denjenigen, gegen die personelle Maßnahmen ergriffen worden sind, dann ist ein Zufall nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung ausgeschlossen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Die untersuchten Geschehnisse stellen somit einen massiven Machtmissbrauch seitens des Finanzamtsvorstehers nicht nur mit Wissen und Billigung, sondern sogar mit aktiver Unterstützung der Oberfinanzdirektion und des Ministeriums der Finanzen dar. Das unterstreicht den Vorwurf des systematischen Mobbings gegen kritische Beamte unterstreicht.

Die Beweisaufnahme hat schließlich schwerwiegende Mängel in den Verfahrensregeln und auch in der Arbeitsweise des Hessischen Amts für Versorgung und Soziales offenbart. Nach diesen Feststellungen ist es unseres Erachtens dringend erforderlich, das gesamte Verfahren der Inruhestandsversetzung und insbesondere die Aufgabenverteilung zwischen Gutachtern und Verwaltung auf neue Grundlagen zu stellen, die den Anforderungen des § 56 Beamtengesetz auch tatsächlich Rechnung tragen.

Im Hinblick auf die besondere Bedeutung ist für die Dienstunfähigkeitsbegutachtung nach unserer Meinung zwingend, das Vieraugenprinzip einzuführen, das eine Qualitätskontrolle des Gutachtens bedeutet. Ferner ist bei der Untersuchung der durchführenden Behörde auf eine ausreichende Personalausstattung und wirkliche Qualitätskontrollen zu achten. Im Regelfall soll bei Beamten unter 60 Jahren eine Inruhestandsversetzung auf Lebenszeit ausgeschlossen sein. Ob Dienstunfähigkeit fortbesteht, ist durch regelmäßige unabhängige Nachuntersuchungen zu überprüfen.

Darüber hinaus müssen wir leider wiederholen, hier und heute, was wir GRÜNEN bereits in unserem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses 16/1 geschrieben hatten:

Nach intensiver Beschäftigung mit den Strukturen und Abläufen innerhalb der Steuerverwaltung empfiehlt der Untersuchungsausschuss

das war unser Wunsch

der Landesregierung, die Führungs- und Organisationsstrukturen der Steuerverwaltung eingehend zu überprüfen und zu reformieren, da sie den Anforderungen an eine moderne Verwaltung nicht entsprechen.

Meine Damen und Herren, das war im März 2006. Wir sind mehr als sechs Jahre weiter. Das ganze Desaster hätte man vermeiden können. Leider wurden unsere Vorschläge nicht berücksichtigt. So sind die Prinzipien der Personalführung nach wie vor dringend zu überarbeiten.

Für eine bessere Unternehmenskultur sind die in den vorhandenen Leitlinien bereits formulierten Grundsätze jetzt auch endlich umzusetzen. Deswegen schlagen wir vor, nein, wir fordern von der Landesregierung zu diesem Zweck die Führungskräfte hinsichtlich ihrer Konfliktlösungskompetenz besonders zu schulen. Weiterhin soll die Einführung von Qualitätsgruppen dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit und die Qualität der Verwaltung zu steigern und die Arbeitsmotivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erhöhen.

Schließlich ist, Kollege Schmidt hat es auch schon angesprochen, rasch eine unabhängige Beschwerdeinstanz, z. B. Ombudsmann, zu schaffen, insbesondere in so stark hierarchisierten Verwaltungen, wie es die Steuerverwaltung nun einmal darstellt.

Wir fordern, dass nicht weiter menschliche Katastrophen in der untersuchten Art passieren müssen, bevor endlich eine moderne Personalführung in der Steuerverwaltung Platz greift. Wenn dies tatsächlich ein Ergebnis dieses Untersuchungsausschusses wird, dann hat er großen Nutzen für alle, für die Bediensteten ebenso wie für die Steuerzahler, gehabt. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Herr Kollege Kaufmann.