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19.05.2016

Aktuelle Stunde: Kai Klose – Homo- und Transphobie auch in Hessen bekämpfen – Opfer rehabilitieren

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es war am 17. Mai 1990, dass die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität aus ihrem Diagnoseschlüssel und damit deren Definition als psychische Erkrankung gestrichen hat. Der 17. Mai jedes Jahres wurde deshalb zum internationalen Tag gegen Homophobie erklärt. An diesem Tag wird daran erinnert, dass die Diskriminierung von homo-, bi- und transsexuellen Menschen immer noch Alltag ist, in anderen Ländern und Kulturkreisen aber auch in Europa und in Deutschland.
Für uns ist das Anlass, das Thema auch hier im Landtag aufzurufen. Es geht bei Homophobie keineswegs um die Angst vor Homosexuellen. Längst umfasst der Begriff Feindseligkeit, Hass und sogar gewalttätige Angriffe gegenüber Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten. Leider ist das bis heute an der Tagesordnung. Wir müssen alles dafür tun, diese wieder wachsenden Tendenzen entschieden zu bekämpfen und sie zu ächten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der Abg. Heike Hofmann (SPD))
In dieser Verantwortung sind wir auch, weil in unserem eigenen Land zwischen 1933 und 1945 eine fünfstellige Zahl schwuler Männer aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt wurde, an ihnen Kastrationen und andere abscheuliche medizinische Versuche durchgeführt wurden und viele von ihnen ermordet wurden. Auch nach der Nazizeit waren schwule Männer weiterer Verfolgung ausgesetzt. Der von den Nazis verschärfte § 175 des Strafgesetzbuchs blieb bis 1969 in Kraft. 50.000 Männer wurden Opfer dieses Paragraphen. Sie wurden verfolgt, drangsaliert und verurteilt, weil sie sind, wie sie sind.
Die Geschichte des 97-jährigen Frankfurters Wolfgang Lauinger, der vergangene Woche hier im Landtag zu Gast war und der aufgrund der Vermutung ein „175er“ zu sein, sieben Monate in Untersuchungshaft saß, gibt ein eindrückliches Beispiel: Wolfgang Lauinger wurde 1950 von einem schon bei den Nazis Tätigen Staatsanwalt eingesperrt, der als Beweis Gestapo-Akten aus der NS-Zeit heranzog. Es schmerzt uns heute, dass das in der jungen BRD möglich war. Aber wahr ist, dieser § 175 war von Beginn an mit Art. 1 unseres Grundgesetzes unvereinbar;
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP)
Denn nicht die Würde des heterosexuellen Menschen ist unantastbar, sondern die Würde des Menschen ist unantastbar. Ich will deshalb bei dieser Gelegenheit auch allen Fraktionen nochmals ausdrücklich dafür danken, dass wir uns 2012 und 2013 einstimmig bei den Opfern dieses Unrechts entschuldigt und die Aufarbeitung ihrer Schicksale beschlossen haben. In diesem Haushaltsjahr stehen auch die Mittel für Ausstellungen und Dokumentationen zur Verfügung. Staatssekretär Dreiseitel hat den Auftrag dafür ausgeschrieben. Wir kommen dem Ziel endlich näher.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP)
Ich will aber auch der hessischen Justizministerin, Eva Kühne-Hörmann, danken, die im vergangenen Jahr die Vorlage eines Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetzes vorgeschlagen und das auch in der Justizministerkonferenz der Länder eingefordert hat. Das scheint nun nach Jahren der Prüfung endlich auch bei der Bundesregierung zu fruchten; denn vergangene Woche hat der Bundesjustizminister angekündigt, ein solches Gesetz vorzulegen. Das ist ausdrücklich richtig, es ist überfällig, und wir begrüßen das.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und bei Abgeordneten der SPD)
Es kommt jetzt aber auch darauf an, zügig zu liefern. Die Zeit heilt nämlich keineswegs alle Wunden, und die Zahl der Männer, denen wir noch zu Lebzeiten ihre Würde zurückgeben können, nimmt stetig ab. Jede weitere Hängepartie in dieser Frage wäre unmenschlich.
Meine Damen und Herren, der 17. Mai mahnt, auch in der Gegenwart wachsam zu sein. Der teilweise tief verwurzelte Hass gegenüber Homosexuellen lebt fort, die Gleichsetzung von Homosexualität mit Pädophilie, der Gedanke Homosexualität heilen zu wollen, die Ausgrenzung von Menschen, die irgendwie anders sind. Das nimmt im Gefolge der rechtsextremistischen Hetzerinnen und Hetzer der AfD wieder zu – Manches ganz unmittelbar, was die Stimmung angeht, aber auch mittelbar, weil das dumpfe Gefühl von „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ wieder um sich greift und Minderheiten bevorzugt zum Gegenstand des Hasses werden. Wir Lesben, Bisexuelle und Schwule genauso wie diejenigen mit abweichenden geschlechtlichen Identitäten sind aufgrund unserer historischen Erfahrung, wohin das führen kann, besonders hellhörig und nicht von ungefähr von Beginn an Teil des Widerstands gegen diese Partei – wehret den Anfängen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und der FDP)
Auch in Zukunft haben wir das eine oder andere zu tun, um diesen Tag vielleicht irgendwann überflüssig zu machen. Beispielsweise brauchen wir in Deutschland endlich auch ein zeitgemäßes Transsexuellengesetz. Wir GRÜNE wollen die Öffnung der Ehe und das Ende des Adoptionsverbots. Wir kämpfen weiter für die vollständige Gleichstellung; denn alles andere ist Diskriminierung.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und bei Abgeordneten der SPD)
Vielfalt ist Chance und Bereicherung – keine Bedrohung. Auch viele gesellschaftliche Institutionen und Unternehmen haben das längst begriffen. Unsere Koalition bekennt sich zu Akzeptanz und Vielfalt. Wir treten gegen jede Form der Diskriminierung ein, und wir ergreifen konkrete Maßnahmen, wie den Aktionsplan und die Förderung von Antidiskriminierungsprojekten. Der 17. Mai ist jedes Jahr einer der Tage, der uns daran erinnert, warum das so wichtig ist. – Vielen Dank.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

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