Dass antisemitische Bildsprache auf der documenta 15 gezeigt wurde, ist ein inakzeptabler Tabubruch. Hiermit wurden die Grenzen der Kunstfreiheit deutlich überschritten. Antisemitismus darf keinen Platz in Hessen, in Deutschland und nirgendwo auf der Welt haben. Der durch die Aufhängung des Banners „People’s Justice“ und auch das mangelhafte Krisenmanagement der documenta gGmbH in den vergangenen Wochen entstandene Schaden ist nicht zu relativeren.
Trotz mehrfacher Versicherungen der documenta gGmbH im Vorfeld der Eröffnung, es gebe keine Hinweise auf antisemitische Bildsprache auf der Ausstellung, sind von der Geschäftsführung keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen worden. Bereits unmittelbar nach den ersten Antisemitismusvorwürfen im Januar haben Bund und Land vorgeschlagen, ein Gremium von Fachleuten aus der Antisemitismusforschung und der Kunst zur Beratung und Sensibilisierung des Kuratorenteams und der Künstler*innen im Vorfeld der Ausstellungseröffnung heranzuziehen. Vor Eröffnung der documenta hat Kunstministerin Angela Dorn zudem angeraten, eine Task Force zum Thema Antisemitismus zu bilden, die im Falle einer krisenhaften Situation beraten und somit schnelle Handlungsfähigkeit gewährleisten könnte. Dass beide Vorschläge vom Aufsichtsratsvorsitzenden und der Geschäftsführerin abgelehnt wurden, ist nicht nachvollziehbar. Mit Zensur hätte eine externe Beratung durch Expert*innen aus Antisemitismusforschung und Kunst nichts zu tun gehabt – gleichzeitig hätte die Ausstellung des betreffenden Werks so möglicherweise verhindert werden können.
Aus diesem Grund ist die Abberufung von Frau Schormann und die interimistische Neubesetzung der documenta-Geschäftsführung ein folgerichtiger und notwendiger Schritt und bietet nun die Chance für den dringend notwendigen Neuanfang. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Gesellschafter der documenta mit Alexander Farenholtz einen so kompetenten und erfahrenen Kulturmanager gewinnen konnten, der in dieser schwierigen Situation bereit ist, sich für die Weltkunstausstellung zu engagieren. Seine Aufgabe wird es nun vor allem sein, das Krisenmanagement und die Kommunikation der documenta zu verbessern und das Geschehene aufzu-arbeiten. Darüber hinaus müssen weitere fragliche Werke nun schnellstmöglich von externen Expert*innen überprüft werden.
Im nächsten Schritt müssen – wie es die Gesellschafter der documenta angekündigt haben – Abläufe und Strukturen insgesamt in den Blick genommen werden, um die documenta als für Kassel und Hessen so wichtige Kulturmarke zu erhalten und zukunftsfest aufzustellen. Zusätzlich zu Vertreter*innen aus Kassel und der Landesregierung sollte zukünftig auch bundesweite und internationale Expertise in den Aufsichtsrat einbezogen werden.
Dann ist der Blick auch wieder frei für das, was die documenta 15 auch ist: Eine Kunstausstellung mit internationalem Rang. Eine Kunstausstellung, die zum ersten Mal von einem Kuratoren-Kollektiv und Kurator*innen aus dem Globalen Süden kuratiert wird. Eine Kunstausstellung, die immer noch eine Chance hat, die Sichten des globalen Südens und Nordens verantwortungsvoll in Dialog zu setzen. Eine Kunstausstellung, die uns gesellschaftliche Utopien lehrt.