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26.09.2015
Landesarbeitsgemeinschaften, Landesmitgliederversammlung

Der NSU-Untersuchungsausschuss ist kein Ausschuss wie jeder anderer

Die Landesmitgliederversammlung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen hat am 26. September 2015 folgenden Beschluss gefasst:

1. Der NSU-Untersuchungsausschuss ist kein Untersuchungsausschuss wie jeder andere. Hier geht es um Mord, um Terror und um die nach wie vor unfassbare Tatsache, wie diese Vorgänge so lange passieren konnten, ohne dass man sie als das erkannt hat, was sie waren: Eine abscheuliche rechtsextreme Terrorserie. Wir Grüne in Hessen sehen alle Fraktionen und alle am Untersuchungsausschuss beteiligten Personen in der Pflicht aufzuklären und dafür Sorge zu tragen, dass sich so etwas nie wieder wiederholen kann.

2. Vor dem Hintergrund dieser Einzigartigkeit des Untersuchungsausschusses gilt für uns der Grundsatz „erst Aufklären, dann Urteilen“ in besonderem Maße. Wenn in diesem Untersuchungsausschuss über die Frage von Verantwortung gesprochen wird, dann geht es um die Verantwortung für Mord, für Terror und für das Versagen, diese Zusammenhänge rechtzeitig zu erkennen. Bevor wir Schlüsse ziehen, Vorwürfe erheben, Verdächtigungen gegenüber Institutionen, einzelnen Personen oder auch Politikern nahelegen, denken wir lieber zweimal statt einmal nach.

3. Wir sehen die gesellschaftliche Notwendigkeit, dass im NSU-Untersuchungsausschuss alle Fraktionen konstruktiv und gemeinsam an der Aufklärung arbeiten. Parteipolitische Spielchen lehnen wir vor dem Hintergrund der notwendigen Aufklärung dieser abscheulichen Mordserie ab. Wir verwahren uns gegen den Vorwurf, dass unserer Landtagsfraktion nicht oder nur unzureichend an Aufklärung gelegen wäre. Dieser Vorwurf ist anmaßend, ehrenrührig und zutiefst verletzend. Vor allem aber ist er falsch: Wesentliche Impulse zur Aufklärungsarbeit in diesem Untersuchungsausschuss kommen von uns Grünen.

4. Wir fordern die Landtagsfraktion auf, sich weiter für ein flexibles Verfahren bei neuen Vorwürfen und Erkenntnissen im Untersuchungsausschuss einzusetzen. Dies dient der Aufklärung und dem öffentlichen Interesse. So war es beispielsweise richtig, von der einvernehmlich festgelegten zeitlichen Abfolge des Untersuchungsverfahrens abzuweichen, als in den Medien Passagen eines Abhörprotokolls des Verfassungsschützers Andreas T. veröffentlicht wurden. Dadurch konnte eine eigene Bewertung der Vorgänge mittels der Audiodateien und Vernehmungen der beteiligten Personen durch die Ausschussmitglieder sichergestellt werden. Dies gilt auch für das Vorgehen, nachdem es zu erneuten Unstimmigkeiten kam, inwiefern die Reihenfolge der bisher geplanten Anzuhörenden für die Aufklärung geeignet ist. Durch die einstimmige Veränderung der Terminplanung wird nun in den aktuell stattfindenden Sitzungen der Tathergang im Fall des Mordes an Halit Yozgat näher beleuchtet. In den darauf folgenden Sitzungen werden eine Reihe von Vertretern des Hessischen Landesamts für Verfassungsschutz sowie Personen aus der rechtsextremistischen Szene Hessens als Zeugen gehört werden, um näher zu beleuchten, welches Vorwissen hessische Behörden zum NSU hatten. Vor diesem Hintergrund weisen wir die von anderen Fraktionen wiederholt erhobenen Vorwürfe der Verfahrensverzögerung zurück.

5. Nach wie vor besteht bei uns die Sorge, dass durch den Untersuchungsausschuss Erwartungen geweckt werden, die nicht erfüllt werden können und die Opferfamilien erneut enttäuscht zurückbleiben könnten. Denn es ist durchaus fraglich, ob der hessische Untersuchungsausschuss angesichts der abgeschlossenen Untersuchungsausschüsse im Bund und einigen Bundesländern sowie dem laufenden NSU-Gerichtsprozess gegen Beate Zschäpe in München tatsächlich Antworten auf die Fragen liefern kann, die bislang nur unbefriedigend beantwortet sind. Gerade vor diesem Hintergrund gilt es, ebenso engagiert wie sensibel in der Aufklärungsarbeit vorzugehen und keine falschen Hoffnungen zu wecken.

6. Wir bedauern, dass durch die ursprüngliche Enthaltung der Koalition aus CDU und GRÜNEN zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses bei einigen der falsche Eindruck entstanden ist, es mangele an Interesse an der Aufklärung. Darum ging es zu keinem Zeitpunkt. Strittig war nicht das „Ob“ der Aufklärung, sondern lediglich das „Wie“. Bereits in der letzten Legislaturperiode – also vor GRÜNER Regierungsbeteiligung – hat der Landtag darüber debattiert, wie die Aufklärung am besten vorangetrieben werden könnte. SPD und Grüne verfügten gemeinsam über die nötige Stimmenzahl, um einen Untersuchungsausschuss einsetzen zu können. Beide Fraktionen waren sich damals jedoch einig, dies nicht zu tun, weil eine Expertenkommission besser als ein Untersuchungsausschuss geeignet ist. Die Grünen blieben am Anfang dieser Legislaturperiode bei dieser Meinung, anfänglich auch die Fraktion der SPD. Es war notwendig und richtig, dass diese Enthaltung angesichts neuer Entwicklungen als Fehler von Seiten der Koalition bezeichnet wurde und beide Partner den Untersuchungsauschuss als ausdrücklich richtig bezeichnet haben.

7. Wir begrüßen neben der Einsetzung des Untersuchungsausschusses auch die Einsetzung der Expertenkommission Verfassungsschutz unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Professor Jentsch. Diese überparteiliche Kommission wurde von der schwarz-grünen Landesregierung einberufen und arbeitet Handlungsempfehlungen auf, die der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags zur rechtsterroristischen Mordserie gegeben hatte. Wir sind erfreut, dass die Expertenkommission Hessen ein positives Zwischenzeugnis bei der Umsetzung der Handlungsempfehlungen ausgestellt hat. Gleichzeitig erwarten wir von der GRÜNEN Landtagsfraktion, bei diesen Anstrengungen nicht nachzulassen.

8. Wir sind äußerst besorgt über die hohe Zahl der Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Insbesondere die jüngsten Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte erfüllen uns mit Entsetzen. Wir werden einer solchen Gewalt immer und überall klar und entschieden entgegentreten. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, damit junge Menschen erst gar nicht in Kontakt mit solchen rechtsextremistischen Ideologien kommen. Es ist gut, dass die langjährige GRÜNE Forderung eines eigenen Landesprogramms zur Prävention durch die Grüne Regierungsbeteiligung endlich Realität wurde. Auch die Landesförderung des Demokratiezentrums an der Philipps-Universität Marburg unter Leitung von Prof. Benno Hafeneger stärkt den Einsatz gegen Rechtsextremismus. Beratung vor Ort nach rechtsextremistischen Vorfällen und Ausstiegsberatung aus rechtsextremen Gruppen sind von hoher Bedeutung für unsere Gesellschaft.