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28.08.2010
Landesarbeitsgemeinschaften, Parteirat

GRÜNE Arbeitsmarktpolitik: Vernetzt, kommunal und individuell orientiert

Auch im vermeintlich wirtschaftlich starken Hessen stellt die Arbeitslosigkeit ein großes soziales, gesellschaftliches und politisches Problem dar. Vor allem der anhaltend hohe Sockel von Langzeit-arbeitslosen ist ein Skandal. Die Landesregierung hat kein Konzept und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch eine nachhaltige Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik findet nicht statt. Beschäftigungszuwächse durch Niedriglöhne und die unbeschränkte Ausdehnung von Leih- und Zeitarbeit sind für uns Grüne keine Perspektive – jede und jeder soll die Möglichkeit erhalten, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, ohne auf staatliche Transferleistungen angewiesen sein zu müssen.

Während es für gut ausgebildete und qualifizierte Arbeitssuchende relativ einfach scheint, nach kurzer Zeit der Arbeitslosigkeit wieder eine neue Beschäftigung zu finden, geht bislang jeder wirt-schaftliche Aufschwung an den Langzeitarbeitslosen und Menschen in ALG-II-Bezug vorbei. Menschen mit längerer Verweildauer in Arbeitslosigkeit haben tatsächlich geringere Chancen wie-der im ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Fehlende Bildungsabschlüsse, soziale Probleme, Schul-den, Suchterkrankungen oder Behinderungen können Ursachen für eine fehlende Integration ins Arbeitsleben sein. Die Grundsicherung für Arbeitssuchende ist dabei für uns Grüne ein wichtiges Element der Siche-rung des soziokulturellen Existenzminimums. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts müs-sen die Regelsätze neu berechnet und dem tatsächlichen Bedarf angepasst werden. Für uns ist selbstverständlich, dass das Existenzminimum diskriminierungsfrei und selbst bestimmt zur Verfü-gung gestellt wird. Das schließt zusätzliche Leistungen für Bildung und Freizeitangebote in Form von Sachleistungen (z.B. Familienkarte) nicht aus. Für uns Grüne ist die Sicherung des Existenz-minimums in Form einer Geldleistung eine bürgerrechtliche Selbstverständlichkeit, das auch durch Sanktionen nicht angetastet werden darf. Die Entscheidung über die Höhe des Existenzminimums ist deshalb strikt zu trennen von der Diskussion über die Möglichkeiten, die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen durch zusätzliche Sachleistungen oder Gutscheinsysteme zu erhöhen. Während einem Teil der Langzeitarbeitslosen durch aktivierende und individuell abgestimmte Maß-nahmen der Sprung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gelingen kann, steigt der Anteil der Menschen, denen es nicht gelingt, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren. Besonders bei Alleinerziehenden ist aufgrund ihrer Lebensumstände das Risiko, keine Existenz sichernde Beschäf-tigung zu finden, sehr hoch. Für die unterschiedlichen Problemlagen gilt es, durch eine engagierte Arbeitsmarktpolitik individuelle passgenaue Angebote zu machen und ihnen mehr Chancen auf Beschäftigung zu eröffnen.

In diesem Aufgabenfeld kommt einer nachhaltigen, vernetzten und individuell ausgerichteten Beschäftigungspolitik der Kommunen in Kooperation und Abstimmung mit den anderen lokalen Akteuren eine entscheidende Bedeutung zu.

1. Frühzeitige Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit durch vernetzte Politik – Langzeitarbeitslosigkeit lässt sich nur vermeiden, wenn beginnend bei Kindern und Jugendlichen die Politikbereiche Soziales, Bildung, Jugend und Arbeitsmarkt vor Ort und vernetzt agieren. Bei zu vielen Jugendlichen versagt das Schulsystem und Berufsberatungen wirken nicht. In vielen Kommu-nen fehlen die Mittel für eine wirkungsvolle Jugend- und Sozialarbeit. Wir GRÜNE fordern deshalb, dass die zur Verfügung stehenden Mittel der Bundesagentur für Arbeit für präventive Maßnahmen bereits in der Schule eingesetzt werden (wie etwa im GRÜNEN Konzept PELE). Es bedarf einer längst überfälligen Vernetzung von Jugendarbeit, Schule, Berufsberatung und Ausbildung. „Kein Kind darf verloren gehen“ – dieser Leitsatz muss endlich in die Realität umge-setzt werden. Langzeitarbeitslosigkeit wird oft frühzeitig angebahnt, weil soziale Probleme in Kind-heit und Jugend nicht bearbeitet werden. Diesen Zustand wollen wir GRÜNE beenden.

2. Rasche Integration von Langzeitarbeitslosen: Auch fünf Jahre nach der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende sind die Qualität der Arbeitsmarktpolitik und die Realität in den Job-Centern immer noch weit von den notwendigen Bedarfen entfernt. So wurden von den 300 Millionen Euro für Eingliederungsmittel in Hessen in 2009 mindestens 40 Millionen Euro nicht ausgeschöpft. Dies sind Finanzmittel für Langzeitarbeits-lose und deren Qualifizierung und Wiedereingliederung – ein Skandal, dass diese Gelder nicht für sie verwendet werden! Hinzu kommt, dass oft die richtigen Ansprechpartner in den Jobcentern fehlen, Fallmanager schlecht qualifiziert sind und zu wenige Angebote in Qualifizierung, geschwei-ge denn in Vermittlung, gemacht werden. Viel zu oft müssen sich die Arbeitssuchenden mit wenig zielführenden Maßnahmen zufriedengeben. Personen, die neu in den ALG-II-Bezug kommen, muss schnell und unbürokratisch geholfen wer-den. Gute Beratung, umfassende Qualifizierungs- oder Fortbildungsangebote, die in einer profes-sionellen Vermittlung enden, muss obligatorisch sein. Ihnen müssen zwingend gute Beratung, umfassende Qualifizierungs- oder Fortbildungsangebote gemacht werden, die dann in einer professionellen Vermittlung enden müssen. Wir GRÜNE unterstützen deshalb nachdrücklich eine deutliche Verbesserung der Qualität in den Jobcentern vor Ort. Passgenaue, individuell abgestimmte und qualitativ hochwertige Angebote können nur von der lokalen Ebene angeboten werden. Dazu gehört auch die Personal- und Budgethoheit. GRÜNE Arbeitsmarktpolitik ist immer eine dezentrale und regional verankerte Poli-tik, die zentralistischen Vorgaben aus Nürnberg erschweren die flexible Arbeit vor Ort.

3. Rechte der Arbeitssuchenden stärken – Arbeitssuchende und ihre Angehörigen brauchen Unterstützung statt Druck. Nicht Sanktionen, bürokratische Zumutungen und Gängelung, sondern faire Spielregeln, Motivation und Bestärkung der Arbeitssuchenden müssen zukünftig die Integrationsarbeit in den Jobcentern bestimmen. Grundlagen dafür sind die Stärkung der Arbeitssuchenden im Eingliederungsprozess und ein qualifi-ziertes, individuelles und umfassendes Fallmanagement. Sowohl Scheinangebote zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft als auch Sanktionsandrohungen und -automatismen haben in diesem Pro-zess keinen Platz. Wir setzen uns deswegen auf Bundesebene für ein Sanktionsmoratorium ein. Arbeitssuchende sollen zukünftig das Recht haben, zwischen Maßnahmen zu wählen. Ihre Wün-sche hinsichtlich der Gestaltung des Integrationsprozesses müssen berücksichtigt werden. Auf die-ses Recht werden sie im Erstgespräch hingewiesen. Eigene Vorschläge der Arbeitssuchenden, wie sie zum Nutzen der Gesellschaft beitragen und eine Gegenleistung erbringen wollen, müssen Priorität in der Hilfeplanung haben. Die Ausübung von bürgerschaftlichem Engagement wird als Gegen-leistung anerkannt. Um die Stellung der Arbeitssuchenden im Eingliederungsprozess zu stärken, sollen sie die Möglich-keit haben, den persönlichen Ansprechpartner auf ihren Wunsch einmalig zu wechseln. Außerdem sollen unabhängige Clearingstellen eingerichtet werden, die in Konfliktfällen zwischen Arbeits-suchenden und Trägern vermitteln. Schließlich sollen bei allen Trägern der Grundsicherung qualifi-zierte Ansprechpartner und Abteilungen zur Verfügung stehen, die einen möglichen Rehabilita-tionsbedarf von Menschen mit Behinderungen erkennen und an die zuständige Agentur für Arbeit weiterleiten.

4. Hilfen für Menschen in längerer Arbeitslosigkeit – Sozialer Arbeitsmarkt für Hessen: Nach Schätzungen von Experten sind rund ein Drittel der Langzeitarbeitslosen in Hessen auf abseh-bare Zeit ohne eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt. Ihnen droht ein Leben am Rande der Gesellschaft. Für diese Personengruppe kann der Erfolg von Maßnahmen nicht allein an der Inte-gration im ersten Arbeitsmarkt gemessen werden. Genauso wichtig sind die soziale und psychische Stabilisierung und die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit. Für diese Personengruppe muss darüber hinaus mit einem sozialen Arbeitsmarkt eine neue Pers-pektive und eine dauerhafte Teilhabe geschaffen werden. Dabei geht es um sinnstiftende und zusätzliche Beschäftigung, von der die gesamte Gesellschaft profitiert. Hier sollen die Interessen und Fähigkeiten der Arbeitssuchenden berücksichtigt werden. Voraussetzung dazu ist, dass diese Möglichkeiten im SBG II verankert werden. Zur Finanzierung soll die Umwandlung passiver Leis-tungen (Regelsatz ALG II, Kosten der Unterkunft, Sozialversicherungsbeiträge, Maßnahmekosten) in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt ermöglicht werden. Wir GRÜNE wollen, dass ein solcher auf Freiwilligkeit basierender Arbeitsmarkt vor Ort lokal identifiziert und organisiert wird.

5. Qualität der Ausbildungs- und Arbeitsmarktprogramme erhalten! Das Land Hessen hat eine Vielzahl von Arbeitsmarkt- und Ausbildungsprogrammen aufgelegt, die jetzt kommunalisiert werden sollen. Grundsätzlich begrüßen wir die Kommunalisierung, die aber weiterhin über Qualitätsstandards gesteuert werden muss. So hat das Land beispielsweise Impulse für zusätzliche Angebote für Jugendliche in der Jugendberufshilfe und hessenweit hochwertige Standards gesetzt. Nach bisherigen Planungen des zuständigen Ministeriums plant die Landesregie-rung nun, diese Standards aufzugeben: Die mit der kommunalen Ebene zu schließenden Zielverein-barungen sollen keine qualitativen Standards bzw. Programmrichtlinien mehr enthalten. Dies wür-de wichtige Elemente wie die festgelegten Personalschlüssel für Fachanleitung und Sozialpädagogik in Maßnahmen, Zertifizierung von Qualifizierungsmaßnahmen, Angebote zum Nachholen von Schulabschlüssen, Durchführung betrieblicher Praktika und vielem mehr gefährden. Diese fehlenden Vorgaben lassen befürchten, dass die Standards hessenweit abgesenkt werden – dabei ist gerade die personelle Qualität der entscheidende Schlüssel für die Zielgruppenförderung. Wir befürworten transparente Ausschreibungsverfahren. Die Absicht, das so genannte Vergabe-recht der Bundesagentur für Arbeit (BA) anzuwenden, lehnen wir aber ab. Die Erfahrungen mit dieser Ausschreibungspraxis der BA haben gezeigt: Fast ausschließlich wurde nach dem Kriterium „Billig statt Qualität“ entschieden. Wir GRÜNE lehnen diese „Geiz ist geil“-Mentalität entschieden ab.

6. GRÜNE Politik engagiert für Langzeitarbeitslose: Unterstützen statt stigmatisieren! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kämpfen bei der anstehenden Kommunalwahl für eine solche konzep-tionelle Arbeitsmarktpolitik, die vernetzt und passgenau individuelle Angebote organisiert. Lang-zeitarbeitslose haben einen Anspruch auf eine engagierte Politik und keine dumpfen Stigmatisie-rungen. Dabei werden sie auf die Unterstützung der GRÜNEN in den Kommunen und im Land zählen können.