Inhalt

02.12.2021
Landesmitgliederversammlung

Mentale Gesundheit- eine Frage der Bildungsgerechtigkeit

Dass Schulen nicht nur wichtig als gute Lern- und Lehrorte sind, haben wir GRÜNE seit langem
erkannt. Gerade im Zuge der Transformation unseres Schulwesens in ein in der Regel ganztägig
arbeitendes System ist es unserer Auffassung erforderlich, Schulen zusätzlich zu ihrer
bisherigen Funktion als gesundheitsförderliche Lebensorte zu verstehen. Während im Hinblick auf
die physische Gesundheit bereits seit langem Maßnahmen ergriffen wurden, sind Ansätze zur
psychischen Gesundheit noch neueren Datums. Wir haben in beiden Feldern bereits Maßnahmen
ergriffen, sehen hier aber auch noch weiteren Handlungsbedarf. Denn laut der zweiten Welle der
Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) des RKI von 2014-2017
liegt bei knapp 17 Prozent der 3- 17-jährigen Kindern und Jugendlichen in Deutschland eine
psychische Belastung vor. Dabei sind Kinder und Jugendliche aus Familien mit einem niedrigen
sozioökonomischen Status signifikant häufiger von psychischen Belastung sowie von
Beeinträchtigungen des allgemeinen Gesundheitszustands betroffen. Da der physische und
psychische Gesundheitszustand sich wiederum vielfältig auf Konzentrationsfähigkeit und
Leistungsfähigkeit, also die Lernvoraussetzungen auswirkt, leistet die Verbesserung der
Gesundheit der Schüler*innen auch einen wichtigen Beitrag zu Bildungs- und
Chancengerechtigkeit. Nach Angaben der LSV Hessen habe eine Umfrage von 2017/18 gezeigt, dass
sich 50 Prozent der Schüler*innen gestresst fühlten.

Aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen im Kita- und Schulbetrieb sowie im privaten
Umfeld zeigt sich, dass bei Kindern und Jugendlichen erhebliche psychische, physische und
motorische Probleme verursacht werden. Auch das Problem von Cyber-Mobbing nimmt in den letzten
Jahren zu und wurde durch die pandemiebedingten Einschränkungen des Schulbetriebs und die damit
verbundene Verlagerung des Unterrichtsgeschehens ins digitale Format nochmals verschärft. Neben
Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheit von betroffenen Kindern und Jugendlichen müssen im
schulischen Kontext alle Kinder und Jugendlichen sowie das pädagogische Personal für bestimmte
Überlastungsanzeigen und gesundheitliche Probleme sensibilisiert und diese enttabuisiert
werden, damit solche Leiden nicht als persönliche Schwäche wahrgenommen und Hilfeleistungen
frühzeitig in Anspruch genommen werden. Gleichzeitig sollten für die verschiedenen körperlichen
und geistigen Voraussetzungen von Menschen sensibilisiert und diese als Bestandteil einer
vielfältigen Gesellschaft gesehen werden. Zudem sollten für eine gesunde Lernumgebung die
Spitzen beim Leistungsdruck reduziert werden. Wir wollen hin zu mehr fähigkeitsbezogener
Förderung, zu einem inklusiven und offenen Schulklima. Hierfür wollen wir die Methodenvielfalt
auch bei der Beurteilung der Schüler*innen stärken und neben klassischen Leistungsnachweisen
durch Klassenarbeiten alternative Formate, wie Projektarbeiten und Daueraufgaben, ergänzen.
Auch in Unterrichtssituationen braucht es bewertungsfreie Phasen.

Schulische Konzepte, bei denen die Bewertung mit Ziffernnoten durch schriftliche Rückmeldungen
ergänzt oder ersetzt wird, wollen wir voranbringen, da hier eine differenziertere und
nachvollziehbarere Bewertung vollzogen werden kann. Im Rahmen des Programms „Pädagogisch
Selbstständige Schule“ können Schulen schon jetzt bei der Erreichung der Bildungsziele neue
Wege der Unterrichtsgestaltung gehen und hierbei bspw. auf die Vergabe von Ziffernnoten zu
Gunsten ausführlicher Leistungsbewertungen verzichten.

Eine weitere Möglichkeit, die alle Schulen individuell wählen können, um eine gesündere
Lernumgebung zu schaffen, kann ein späterer Schulbeginn sein. Aber auch die rhythmisierende
Ganztagsschule kann dienlich sein, damit Leistungs- und Erholungsphasen stärker dem Biorhythmus
der Schüler*innen entsprechen.

Um psychische Probleme frühzeitig erkennen zu können, braucht es entsprechende Aus- und
Fortbildungsangebote für alle an Schulen Tätige. Gleichzeitig müssen die Grenzen dessen, was
Lehrkräfte in diesem Bereich leisten können, gesehen werden. Insbesondere bei schwerwiegenderen
psychischen Problemen können diese keine psychologische Betreuung ersetzen. Deswegen müssen wir
die multiprofessionellen Teams an unseren Schulen weiter stärken.

Multiprofessionelle Teams sollen je nach Bedarf unter anderem beispielsweise aus
Schulsozialarbeiter*innen, Ergotherapeut*innen und Diplom-/Sozialtherapeut*innen bestehen. Die
Koordination all dieser Mitarbeiter*innen sollte über die Schulleitung erfolgen.
Die staatlichen Schulämter beraten die Schulen bei der Qualitätsentwicklung der
multiprofessionellen Teams. Hierfür werden zusätzliche Ressourcen bei den Schulämtern notwendig
sein. Eine Finanzierung dessen muss durch das Land ermöglicht werden.

Schulsozialarbeit entlastet die Arbeit von Lehrkräften ganz erheblich und leistet einen
wichtigen Beitrag zur Gesundheitsförderung. Wir möchten erreichen, dass die Zahl der
Schulsozialarbeiter*innen weiter steigt und fordern kurzfristig eine Erhöhung um 70 Stellen,
sowie anschließend weitere Erhöhungen. Alle Schulen sollten die Möglichkeit bekommen, auf
Schulsozialarbeiter*innen zurückzugreifen. Auch in der Schulpsychologie wollen wir weitere
Stellen schaffen.

Perspektivisch braucht es an jeder einzelnen Schule Lehrkräfte und multiprofessionelle Teams,
die sich besonders für Themen wie Mobbing, Antidiskriminierung, sowie psychische und physische
Gesundheit fortbilden. Um dem Thema psychische Gesundheit mehr Sichtbarkeit zu verschaffen,
sollte das Zertifikat „gesundheitsfördernde Schule“ durch ein entsprechendes Teilzertifikat
erweitert werden.

Auch die Schüler*innen müssen weiter sensibilisiert werden. Aufklärungsarbeit und
Präventionsprogramme sollten bspw. im Rahmen von Projekttagen und -wochen durchgeführt werden.
Hierbei kommt aktuell insbesondere dem Thema Cyber-Mobbing eine große Bedeutung zu. Darüber
hinaus braucht es aber einen stetigen und regelmäßigen Austausch zu diesen Themen. Ein weiterer
Baustein zur Prävention kann der Ausbau von „Streitschlichtungs- bzw.
Konfliktbewältigungsausbildungen“ für Schüler*innen sein.

Neben einer gesundheitsfördernden schulischen Lernumgebung, die Stress abbaut, Konflikte
reduziert und ein respektvolles Miteinander fördert, sollte die Schule zudem ein Ort sein, an
dem ein gesunder Lebensstil erlernt wird. Hierbei bieten ganztägig arbeitende Schulen besondere
Chancen. Körperliche Aktivitäten an der frischen Luft als Ausgleich zu längeren Phasen des
Sitzens und konzentrierten Lernens können hier gezielt gefördert werden. Ein ausgewogenes und
abwechslungsreiches Essensangebot in der Schule ist zu fördern, um eine gesunde Ernährungsweise
zu erlernen.

Die Ausgestaltung unserer ganztägig arbeitenden Schulen in Orte, die aktiv die psychische und
physische Gesundheit von Schülerinnen und Schüler aber auch allen dort arbeitenden Personen
fördern, ist kein nice-to-have, sondern Grundvoraussetzung dafür, dass Lernen und Lehren
gelingt.