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06.11.2004
Landesarbeitsgemeinschaften, Landesmitgliederversammlung

Biblis ersetzen, Wettbewerbsfähigkeit sichern, Zukunft gestalten

Bündnis90/DIE GRÜNEN Hessen sprechen sich klar für die Stilllegung der Atomreaktoren des Kraftwerks Biblis spätestens zum im Atomkonsens vereinbarten Zeitpunkt (2010/2012) aus. Zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Hessen und den angrenzenden Bundesländern sind alle Möglichkeiten einer vorzeitigen Stilllegung wahrzunehmen, denn • Über 700 Störfälle, davon einige gravierende gerade nach so genannte sicherheitstechnische Nachrüstungen, zeigen die Unzuverlässigkeit von Technik und Betreiber deutlich auf;

• Die Reaktoren in Biblis sind gegen externe Ereignisse (Flugzeugabsturz etc.) aufgrund der geringen Stärke der Reaktor-Druckkuppel die am stärksten gefährdeten Anlagen Deutschlands;

• Das Schadenspotenzial ist durch die dichte Besiedelung des Rhein-Main-Gebiets ebenfalls im nationalen Vergleich sehr hoch. Biblis muss daher abgeschaltet werden – je früher, desto besser. Zur Sicherung der Energieversorgung bei gleichzeitigem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und hessischen Industrie sind intelligente, ökologisch und ökonomisch optimierte Strategien zur Substitution der vom AKW Biblis derzeit bereitgestellten Endenergie notwendig. Gleichzeitig ist die Zukunftsfähigkeit der Energieversorgung herzustellen, die bisher aufgrund des fast ausschließlichen Einsatzes endlicher Energiequellen – Öl, Kohle, Gas, Uran – nicht gegeben ist. Wir GRÜNE bekennen uns hier zu unserer Verantwortung für und gegenüber unseren Kindern und Enkeln! Unser Ziel bis 2012 muss sein: Im Land Hessen soll mindestens so viel Strom eingespart oder substituiert werden, wie im Bundesdurchschnitt notwendig ist, um auf die Einspeisung des AKW Biblis ohne zusätzliche Stromimporte verzichten zu können. Ein Binnenersatz für Biblis in Hessen ist – mit Blick auf erfolgversprechende Substitutionsmöglichkeiten – weder wirtschaftlich noch ökologisch sinnvoll. Hessen ist jedoch in der Pflicht, seine Beiträge zu den notwendigen Veränderungen der bundesdeutschen Energielandschaft für die Stillegung aller AKWs zu leisten. Wissenschaftliche Untersuchungen zu Strategien für eine Änderung unserer Energieversorgung gibt es genug – wir haben den Willen, diese Vorschläge Realität werden zu lassen.

• Die Ablösung der Stromheizungen durch Anreizprogramme und Investitionshilfen muss zentraler Schwerpunkt einer energiepolitischen Neuausrichtung im Bereich der Haushalte sein, um bereits kurzfristig hohe Strommengen einsparen zu können. Sowohl der Einbau neuer Heizungssysteme, als auch die generelle deutliche Absenkung des Wärmebedarfs durch Wärmedämmung werden hier wirtschaftlich sinnvolle Beiträge leisten. Nach einer Anfangsinvestition, die durch staatliche Förderung begleitet wird, sind die Heizkosten für den Verbraucher geringer als heute. Auch bei den Großgeräten im Haushalt (Waschmaschinen, Trockner, Geschirrspüler, Kühl- und Gefriergeräte) gibt es noch erhebliche Effizienzreserven.

• Dezentrale Kraft-Wärme-Koppelung arbeitet bereits heute energetisch effizienter als Großkraftwerke und zu grenzwirtschaftlichen Kosten – die Optimierung der Stromnetzstruktur für dezentrale Versorgung bringt eine Reduktion der Netzkosten und eine Reduktion der Übertragungsverluste. Eine geringe Zusatzförderung durch das Land kann den Durchbruch dieser Technologie bewirken.

• Der durch die Globalisierung der Märkte verstärkt stattfindende Umbau der Chemischen Industrie, sowohl im Rhein-Main- als auch im Rhein-Neckar-Bereich, eröffnet Möglichkeiten, auch in industriellem Maßstab Kraft-Wärme-Koppelung gezielt zu fördern. Diese Förderung ist ökologisch sinnvoll und wird bei geeigneter Ausgestaltung gemeinsam mit der Industrie die Wirtschaft nicht zusätzlich belasten. Im Einzelfall kann der Industrie durch die Reduktion beim Einsatz derzeit teurer Energieträger (Öl, Gas) sogar ein Wettbewerbsvorteil entstehen. In diesem Bereich ist die Förderung großer Contracting-Lösungen eine sinnvolle Maßnahme, die neben den Energieeinsparerfolgen wegen der langfristigen Verträge auch die Standortbindung der Unternehmen erhöht und Arbeitsplätze im Anlagenbau schafft oder sichert.

• Der Ausbau erneuerbarer Energien, vorzugsweise Windkraft und Biomasse, wird weitere Beiträge leisten. In Kombination und mit geeignetem Netzmanagement sind die erneuerbaren Energien langfristig zuverlässiger und preisstabiler als die derzeitigen Energieträger. Für Landwirte und Waldbesitzer ergeben sich durch verstärkte Biomassenutzung zusätzliche Einkommensmöglichkeiten. Mit diesem Maßnahmenbündel – in Kombination mit weiteren sinnvollen Maßnahmen – stellt Hessen sicher, dass der Ausstieg aus der Atomenergie in Hessen durch entsprechende energiepolitische Rahmenbedingungen begleitet und abgesichert wird. Gleichzeitig fördert das Land Hessen Energieeinsparung in Haushalt und Industrie, was gerade in Anbetracht der derzeitigen Energiepreisentwicklung neben dem ökologischen Vorteil auch Belastungsbegrenzungen für Industrie und Verbraucher bringt. Darüber hinaus werden Technologien mit hohem Exportpotenzial unterstützt – unabhängig von der mittelfristigen Energiepolitik einzelner Länder ist Energieeinsparung und rationeller Energieeinsatz, kombiniert mit einem Wechsel zu erneuerbaren Energien, die einzige mögliche Langfrist-Politik! Durch den langfristigen Wegfall der Aufsichtsbürokratie für die Atomindustrie ergeben sich auf Dauer auch Verschlankungsmöglichkeiten für die Ministerialbürokratie. In Biblis und Südhessen steht die Politik nach dem politisch erwünschten Aus für das Atomkraftwerk langfristig in der Verantwortung, die Region bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze zu unterstützen. Die Arbeitsplätze im AKW selbst sind durch Nachlaufbetrieb und Rückbau des AKWs auf längere Zeit nicht gefährdet; jedoch brauchen Biblis und die Region ebenso ein langfristiges Zukunftskonzept. Daher sind idealerweise Ansiedlungen im Bereich Neue Energien und/oder Energieeffizienztechnologien in der Region zu fördern – ein „Technologiepark Zukunftsenergien Südhessen“ wäre Programm und Symbol für die nationale, globale und lokale Energiewende gleichermaßen!