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09.10.2017
Landesarbeitsgemeinschaften, Parteirat

Behinderte Menschen brauchen aktive Unterstützung und passgenaue Hilfen

 Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Hessen gut aufstellen

 

Mehr Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe für behinderte Menschen, Nicht-Diskriminierung und aktive Gleichstellung prägen von jeher die Behindertenpolitik von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Möglichst große Eigenständigkeit, ambulant vor stationär, Wahlmöglichkeiten, Partizipation und Einbindung in den Sozialraum sind jeweils wichtige Bausteine auf dem Weg zur Inklusion. Hierfür setzen wir uns auf allen politischen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – seit vielen Jahren aktiv ein. Die Inklusion behinderter Menschen in allen Lebensbereichen zu fördern ist seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention auch völkerrechtliche Verpflichtung aller staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen, Organisationen und politischen Gremien.

Durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) wird künftig die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen vollständig neu geregelt. Mit den in den Jahren 2018, 2020 und 2023 stufenweise in Kraft tretenden Reformen soll auch die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt werden.

 

  •  Eine Beteiligung der betroffenen behinderten Menschen von Anfang an,
  • Ermittlung des Bedarfs durch Instrumente, die sich an der Internationalen Klassifikation von Beeinträchtigung und Behinderung (ICF) orientieren,
  • Ausrichtung der Leistungen an den Wünschen und Zielen der behinderten Menschen,
  • Abschaffung der starren Unterscheidung von ambulanten, stationären und teilstationären Leistungen,
  • bessere Alternativen zu den Werkstätten für behinderte Menschen bei der Teilhabe am Arbeitsleben
  • strikte Trennung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den unterhaltssichernden Leistungen (z.B. Grundsicherung),
  • deutliche Verbesserungen bei der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen sind nur einige Beispiele für die anstehenden Reformen.

 

Insbesondere von behinderten Menschen und ihren Organisationen wird allerdings auch Kritik am Gesetz geäußert. Viele Regelungen gehen ihnen nicht weit genug und einige befürchten sogar Rückschritte etwa durch mögliche Einschränkungen des Wunsch- und Wahlrechts. Wir Grüne wollen die Chancen, die in der Umsetzung des BTHG liegen zum Wohle der behinderten Menschen nutzen.

 

Viele behinderte Menschen brauchen in verschiedenen Lebensphasen Unterstützung dabei, ihren Platz im Leben zu finden und auszufüllen. Einige benötigen diese Unterstützung ein Leben lang. Individuelle, passgenaue Hilfe in den unterschiedlichen Phasen des Lebens sind ein wichtiges Ziel des BTHG. Bei der Umsetzung der Reform ist es von entscheidender Bedeutung, welche/r Leistungsträger künftig die Aufgaben der Eingliederungshilfe wahrnehmen wird. Eine erfahrene, kompetente, mit der Vielfalt unterschiedlicher Behinderungen vertraute und zugleich innovative Verwaltung ist gerade jetzt notwendig, wenn die Chancen der Reform wirklich genutzt werden sollen.

 

Das Bundesgesetz gibt den Bundesländern auf, die zuständigen Träger der Eingliederungshilfe festzulegen. In Hessen muss eine Neuregelung spätestens mit Wirkung zum 1.1.2020 erfolgen, weil ab dann die bisher in Hessen geltende Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den örtlichen Trägern (Landkreise und kreisfreie Städte erbringen ambulante Leistungen) und dem überörtlichen Träger (Landeswohlfahrtsverband ist für stationäre und teilstationäre Hilfen sowie betreutes Wohnen zuständig) im Gesetz keine Grundlage mehr hat.

Inzwischen werden unterschiedliche Modelle der künftigen Zuständigkeit diskutiert, von denen vor allem zwei favorisiert werden: das Präsidium des Hessischen Städtetages fordert in einem Beschluss die vollständige Übertragung der Aufgaben der Eingliederungshilfe auf die Kommunen. Die Verbandsversammlung des LWV, das Präsidium des Hessischen Landkreistages, der Hauptausschuss des Städte- und Gemeindebundes sowie eine Reihe von Kreistagen haben sich dagegen für den LWV als überörtlichen Träger der Eingliederungshilfe ausgesprochen.

Dabei wird eine Aufgabenverteilung nach einem „Lebensabschnittsmodell“ diskutiert. Danach würde die Zuständigkeit nach Lebenslagen der leistungsberechtigten behinderten Menschen verteilt: Für den Lebensabschnitt bis zum Ende des Schulbesuchs, also für Kinder und Jugendliche, wären die Kommunen zuständig. Nach dem Schulbesuch, wenn die Teilhabe am Arbeitsleben und die Loslösung von der Familie durch eigenständige Wohnmöglichkeiten im Vordergrund steht, wäre der LWV für volljährig behinderte Menschen zuständig. Dieses Modell wird auch von der Liga der freien Wohlfahrtspflege und einem von ver.di initiierten Bündnis verschiedener Organisationen unterstützt.

 

Der Parteirat stellt fest: Die Grünen halten die Verlagerung der Eingliederungshilfe auf die Kommunale Ebene nicht für zielführend. Wir setzen uns für die Trägerschaft der Eingliederungshilfe beim LWV ein. Wir wollen, dass alle behinderten Menschen in Hessen unabhängig vom Wohnort gut betreut und versorgt werden.

 

Wir GRÜNE sehen in dem Votum des Städtetages, dass es in der Debatte um die Umsetzung des BTHG polarisierte Positionen gibt. Deshalb gilt es, bei den weiteren Schritten, Planungen und Konzeptionierungen alle Akteure in einen konstruktiven Prozess einzubinden. Es gilt in erster Linie im Interesse der Menschen mit Behinderungen zu agieren, und nicht Eigeninteressen voran zu stellen.

 

In diesem Prozess gilt es, die Anregungen und die Kritik am LWV aufzunehmen, zu bewerten und soweit erforderlich in die zukünftige Ausgestaltung zu integrieren. Dies gilt namentlich für eine weitere Regionalisierung der Aufgaben des LWV.

 

In diesem Prozess der Organisation der zukünftigen Ausgestaltung liegen mehrere Modelle vor, die es gilt in dem Prozess gründlich zu diskutieren und zu bewerten. Von den derzeit diskutierten Modellen sehen die GRÜNEN in einer Zuständigkeit des LWV nach dem Lebensabschnittsmodell vor allem den Vorteil, dass landesweit einheitliche Maßstäbe und Grundsätze der Leistungserbringung angewandt werden. Ein landesweiter Träger kann eine effektivere und effizientere Verwaltungspraxis gewährleisten, als dies bei einer Zersplitterung der Leistungszuständigkeit möglich wäre. Insbesondere bei selten vorkommenden Behinderungen wären zudem kleinere Träger schnell überfordert. Auf die in fast 65 Jahren entwickelte Erfahrung, Kompetenz und Innovationsbereitschaft des LWV zu verzichten wäre daher nicht zielführend.

 

Der Parteirat hält es für notwendig, dass LWV und Kommunen auch künftig eng zusammenwirken unter Beteiligung der Organisationen behinderter Menschen, um die notwendigen Hilfen für behinderte Menschen vor Ort anbieten, gestalten und weiterentwickeln zu können.