Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich schade, dass der Kollege Leif Blum nicht vor mir redet. Dann hätte ich abgleichen können, ob der Duktus „Steuerfalle abschaffen“ nicht auch einer ist, der der FDP gut gefallen würde.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)
Eigentlich kennen wir solche Begriffe wie „Steuerfalle abschaffen“ eher aus dem Lager der FDP. Es ist eine relativ populistische und griffige Forderung, die bewusst das Klischee bedient: Da gibt es ein paar heimtückische Steuerbeamte, die nichts Besseres zu tun haben, als sauer erworbenes Einkommen nachträglich und überfallartig mit hohen Steuern zu belegen, die also eben aus dem Steuerwald vorpreschen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr van Ooyen, ich bin sehr erstaunt, dass Sie dieses Klischee jetzt auch bedienen. Wie gesagt, ich hätte es eher von den Kollegen von der FDP erwartet. Aber möglicherweise verdienen Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter nicht genug, als dass sie sich ihrer Probleme annehmen.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ich bin sicher eine der Letzten, die behauptet, Steuerrecht sei einfach und immer für jeden und jede transparent. Darüber haben wir vorhin schon einmal diskutiert. § 32 Einkommensteuergesetz hat nicht nur den Nachteil, ziemlich weit hinten im Gesetz zu stehen, sondern er ist auch ziemlich kompliziert. Das gebe ich gerne zu. Der Kollege Decker hat schon aufgeführt, dass es eine Vielzahl von Leistungen gibt, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen.
Ich finde, es ist nicht redlich, hier eine Leistung herauszupicken, nur weil es gerade populismuspolitisch opportun ist, weil wir im Moment relativ viele Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter haben.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mutterschaftsgeld!)
Die Stichworte sind gefallen: Mutterschaftsgeld, Übergangsgeld, Verdienstausfallentschädigung. Es gibt eine ganze Latte davon. Damit könnten wir mehrere Reden füllen.
Man kann sich überlegen, ob es opportun ist, Lohnersatzleistungen dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen. Dann muss man aber auch die Frage der Gerechtigkeit beantworten. Wir haben hier einige Rechenbeispiele gehört; ich will kein neues hinzufügen, sondern nur eine Überlegung: Sie haben von einem Facharbeiter gesprochen, der einigermaßen verdient. Aber was machen Sie mit der alleinerziehenden Bäckereifachverkäuferin, die im Grunde weniger verdient und die genauso viel oder wenig Steuern bezahlen muss wie der Betonarbeiter, der zusätzlich noch sein Kurzarbeitergeld bekommt? Herr van Ooyen, diese Gerechtigkeitsfrage haben Sie leider nicht beantwortet.
(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Ich denke, hier müssen wir sehr ins Detail gehen, ob Ihr Antrag in diesem Punkt zustimmungsfähig ist.
Ich habe es schon gesagt, man kann hier nicht verschiedene Bausteine herausgreifen, nur weil es gerade jetzt opportun erscheint, und genau zu diesem Zeitpunkt ein Urteil aus der Mottenkiste ziehen, das 1995 gefällt worden ist.
Den Progressionsvorbehalt an sich gibt es seit Anfang der Achtzigerjahre. Er hat damals für viel Wirbel gesorgt. Viele Steuerbescheide sind vorläufig erstellt worden, und wir haben viele Gerichtsurteile deswegen gehabt. Dann hat das Bundesverfassungsgericht 1995 endgültig einen Schlussstrich gezogen. Es hat nämlich die Entscheidung, die Sie heranziehen, gar nicht zur Entscheidung angenommen. Sie ist nicht zur Entscheidung angenommen worden, und daher können Sie sie wahrlich nicht als Beleg dafür nutzen, zu sagen, jetzt müssten wir handeln und die Besteuerung des Kurzarbeitergeldes herausnehmen.
Ich denke, da sind Sie ein bisschen zu kurz gesprungen. Sie wollten eine bestimmte Klientel bedienen, aber so sollten wir hier nicht miteinander umgehen. Wir sollten schon gucken, wie wir Gerechtigkeitsfragen einvernehmlich behandeln. – Ich danke Ihnen.
(Beifall dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU und der SPD)
Vizepräsident Lothar Quanz:
Vielen Dank, Frau Erfurth.