Inhalt

02.05.2014

Hessische Integrationspolitik: Willkommens- und Anerkennungskultur (I)


Inhalt

I. Hessische Integrationspolitik: Willkommens- und Anerkennungskultur
II. Integration durch Bildung und Ausbildung
III. Interkulturelle Öffnung
IV. Asyl- und Flüchtlingspolitik


Migration und Integration – Chancen und Herausforderungen

Hessen ist ein weltoffenes und tolerantes Land in der Mitte Europas. Rund ein Viertel aller Hessinnen und Hessen haben einen Migrationshintergrund, sind also selbst im Ausland geboren oder haben mindestens ein zugewandertes Elternteil; bei den unter 18-jährigen sind es sogar 37 Prozent. Migration war und ist Teil der Realität in unserem Land. Die Vielfalt der Menschen in Hessen, ihrer Kultur, ihrer politischen, persönlichen und religiösen Überzeugungen stellt eine Bereicherung dar. Gleichzeitig ist sie eine gesellschaftliche Herausforderung.

Gelungene Integration ist in Hessen wie in Deutschland insgesamt die Regel. Jeden Tag leben und arbeiten Millionen Menschen in Hessen mit und ohne Migrationshintergrund friedlich, konfliktfrei und in gegenseitigem Respekt miteinander. Sie alle wollen ein gutes Leben für sich und ihre Familien. Eine große Zahl ist in Vereinen aktiv und engagiert sich ehrenamtlich. Viele finden Halt und Orientierung in ihrem jeweiligen religiösen Glauben, andere gehören keiner Glaubensgemeinschaft an. Unabhängig davon, ob die Menschen schon immer hier leben oder erst zugewandert sind, verbindet sie im Alltag in der Regel mehr als sie trennt. Dennoch übersehen wir nicht die vielfältigen Herausforderungen für eine gelingende Integrationspolitik. Wir sind uns jedoch einig, dass vorhandene Probleme oftmals soziale Probleme sind, die Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Pass haben. Integrationspolitik verstehen wir daher als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ein Zusammenleben aller Menschen in gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung in Hessen zu ermöglichen. Die Integration der Menschen, die aus den unterschiedlichen Regionen und Kulturen der Welt zu uns kommen, ist ein wichtiger Baustein für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Alle Menschen in Hessen müssen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Integration ist ein Prozess, der allen etwas abverlangt. Für alle gilt die Werteordnung und die Anerkennung unseres Grundgesetzes. Auch das Erlernen der deutschen Sprache ist ein unverzichtbarer Baustein.

CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich jeder Mensch, unabhängig von Herkunft und Religion, entfalten, an der Gesellschaft teilhaben und selbst zu einem friedlichen, eigenverantwortlichen und freundschaftlichen Zusammenleben beitragen kann.


I. Hessische Integrationspolitik: Willkommens- und Anerkennungskultur

Die Enquetekommission „Migration und Integration in Hessen“ des Hessischen Landtags hat in der 18. Wahlperiode einen umfassenden Bericht vorgelegt. Darin sind elf Handlungsfelder beschrieben: Sprache und Bildung, Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Familie und Gleichberechtigung der Geschlechter, Wohnraum, Gesundheit und Pflege, Medien und Integration, gesellschaftliche und politische Partizipation, Religion und Kultur, Kriminalität und Prävention, Diskriminierungserfahrungen und Antidiskriminierungsstrategien sowie Zuwanderung und Asyl. In all diesen Bereichen und auf Grundlage der einvernehmlichen Analysen und Festlegungen der Enquetekommission wollen wir die Integrationspolitik gestalten. Außerdem werden wir folgende Maßnahmen auf den Weg bringen:

Wir wollen die Wahrnehmung der Querschnittsaufgabe Integration auch weiterhin in einem
Integrationsministerium fortführen.

Wir werden die bestehende Hessische Integrationskonferenz zu einem in einem regelmäßigen Turnus tagenden Beratungsgremium der Landesregierung in allen Fragen der Integrationspolitik machen. Aufbauend auf den Ergebnissen der Enquetekommission „Migration und Integration in Hessen“ und unter Beachtung des Nationalen Aktionsplans Integration werden wir gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Integrationskonferenz einen hessischen Integrationsplan erstellen. Ein Baustein des Integrationsplans sollen Integrationsverträge zwischen dem Land und zivilgesellschaftlichen Gruppen, wie Vereinen und Verbänden, Kommunen und Religionsgemeinschaften werden, in denen sich beide Seiten über konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Integration verständigen.

Wir stehen für eine Willkommens- und Anerkennungskultur. Daher wollen wir zugewanderten Menschen durch spezielle Kurse die Integration in unsere Gesellschaft erleichtern. Zusätzliche Hilfestellungen wie herkunftssprachliches Informationsmaterial und die Nutzung von Bundesprogrammen sollen dabei unterstützen.

Wir werden eine Einbürgerungskampagne starten, die gezielt über die Voraussetzungen für eine
Einbürgerung informiert und Menschen ermuntert, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.

Wir werden darüber hinaus Maßnahmen zur Bündelung, Umsetzung und rechtlichen Absicherung der vereinbarten Integrationsziele ergreifen. Wir streben eine Weiterentwicklung der Integrationsarbeit über Projekte hinaus an. Dies gilt insbesondere für die engagierte Arbeit, die die Kommunen, die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte (agah) sowie viele Vereine und Initiativen leisten.

Diskriminierung und Rassismus werden wir entschieden entgegentreten und die Anstrengungen der Landesregierung in einer Antidiskriminierungsstrategie bündeln. Es wird eine Anlaufstelle für jede Art der Diskriminierung (Antidiskriminierungsstelle) eingerichtet, um unbürokratische und schnelle Hilfe für betroffene Personen zu gewährleisten.

Auf bundespolitischer Ebene werden wir die Aufhebung der Optionspflicht und die Akzeptanz von Mehrstaatigkeit im Staatsangehörigkeitsrecht für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern unterstützen.

Wir setzen uns für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für ausländische Ehe- und Lebenspartner auch nach Trennung bzw. Scheidung ein, beispielsweise dort, wo das Aufenthaltsrecht als Druckmittel (häusliche Gewalt, Zwangsheirat, Zwangsprostitution) zur Aufrechterhaltung der Ehe missbraucht wird.


II. Integration durch Bildung und Ausbildung

Der Erfolg von Integration entscheidet sich maßgeblich in der vorschulischen und schulischen Bildung. Deshalb setzen wir hier einen Schwerpunkt. Insbesondere wollen wir Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern mit spezifischen Angeboten fördern. Daher werden wir die Lehrerzuweisung nach Sozialindex verdoppeln. Das Erlernen der deutschen Sprache und der Übergang von der Schule in den Beruf sind maßgebliche Bestandteile zur Teilhabe an Arbeit und Gesellschaft. Es ist eine zentrale Aufgabe, die Kenntnisse der deutschen Sprache weiter auszubauen. Zunehmend haben auch Kinder ohne Migrationshintergrund Schwierigkeiten beim Spracherwerb.

Wir werden deshalb Deutsch-Vorlaufkurse als integrierte Sprachförderung auf der Grundlage von Sprachstandserhebungen fortführen. Zusätzlich werden wir die Kurse „Deutsch als Zweitsprache“ weiter ausweiten. Mehrsprachigkeit sehen wir in einer immer internationaler werdenden Welt als wichtige Ressource. Daher wollen wir Sprachkenntnisse in der Herkunftssprache u.a. dadurch fördern, dass sie in der Schule auch als 2. oder 3. Fremdsprache angeboten werden können. Ebenso werden wir die Sprachförderung für Eltern durch Programme wie „Mama und Papa lernen Deutsch“ verstetigen und ausbauen.

Den islamischen Religionsunterricht werden wir im Dialog mit den Religionsgemeinschaften bedarfsgerecht ausbauen.

Die bestehenden Regelungen, die den Schulbesuch unabhängig vom Aufenthaltsstatus ermöglichen, werden wir fortsetzen.

Neben der schulischen Bildung ist der Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt von entscheidender Bedeutung für das Gelingen von Integration. Wir werden den Übergang Schule und Beruf weiterentwickeln, um jedem jungen Menschen eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Wir werden weiter daran arbeiten, dass im Ausland erworbene Qualifikationen und Abschlüsse zügig geprüft und anerkannt werden. Wir werden hessische Unternehmen ermutigen, der „Charta der Vielfalt“ beizutreten.

Wir wollen offensiv bei kleinen und mittelständischen Unternehmern mit Migrationshintergrund für die duale Ausbildung werben und werden die Bereitstellung und Sicherung von Ausbildungsplätzen sowie Plätzen zur Einstiegsqualifizierung bei Unternehmern mit Migrationshintergrund unterstützen.


III. Interkulturelle Öffnung

Eine erfolgreiche Integrationspolitik setzt eine Öffnung auf beiden Seiten voraus – bei denjenigen, die nach Hessen kommen ebenso wie bei jenen, die schon seit Jahren hier leben. Dieses Verständnis müssen wir vorleben, aber auch in den verschiedenen Bereichen des Landes vertiefen bzw. wecken.

Wir wollen deshalb den öffentlichen Dienst, Polizei und Justiz, Lehre (Schule, Hochschule), Pflege und Betreuung noch stärker interkulturell öffnen. Dazu gehören Kurse über Interkulturelle Kompetenz und eine verstärkte Anwerbung von Menschen mit Migrationshintergrund.

Wir wollen mit den Glaubensgemeinschaften in den Dialog treten, um spezifische Bedürfnisse bei der Glaubensausübung im Rahmen des Möglichen auch im Verwaltungshandeln und bei der Gesetzgebung stärker zu berücksichtigen. Beispielsweise ist dies der Fall bei der seelsorgerischen Betreuung in Haft oder bei muslimischen Begräbnissen.

Wir werden dafür werben, bei der Gesundheitsversorgung und Pflege von Menschen verschiedene kulturelle Traditionen stärker zu berücksichtigen.


IV. Asyl- und Flüchtlingspolitik

Menschenrechte und gelebte Humanität stehen im Mittelpunkt hessischer Asyl- und Flüchtlingspolitik. Wir werden weiterhin dafür sorgen, dass Flüchtlinge in Hessen eine humane Lebensperspektive und ausreichend Schutz finden. Das Land Hessen wird sicherstellen, dass Flüchtlinge menschenwürdig untergebracht werden und ihnen ausreichend Angebote der Information, Beratung und gegebenenfalls Förderung zur beruflichen Integration zur Verfügung gestellt werden.

Wir wollen deshalb das Landesaufnahmegesetz evaluieren und entsprechend den bundespolitischen Neuregelungen anpassen. Zudem werden wir die EU-Richtlinie für besonders Schutzbedürftige (Kranke, Alte, Traumatisierte, Menschen mit Behinderungen) aktiv umsetzen und möglichst bei der Erstaufnahme bereits den Unterstützungsbedarf klären. Kommunen, die besondere Anstrengungen im Zusammenhang mit der Aufnahme von Asylsuchenden zu schultern haben, werden wir unterstützen.

Die Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge stellt ein besonderes gesellschaftliches und soziales Problem dar, um das wir uns in Hessen vorbildlich kümmern wollen. Gemeinsam mit den Akteuren der Flüchtlingshilfen werden wir hier nach Lösungen für die Betroffenen suchen.

Wir begrüßen die Verständigung der großen Koalition in Berlin auf eine Verstetigung und quantitative Ausweitung des so genannten „Resettlement“-Verfahrens in Abstimmung mit der Konferenz der Innenminister. Hessen wird hierzu seinen Beitrag leisten.

Asylsuchende haben in Hessen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Wir treten dafür ein, asylrechtliche Entscheidungen zügig und anhand klarer Kriterien abzuwägen und umzusetzen. Hessen bekennt sich zu den Grundsätzen der EU-Rückführungsrichtlinie.

Wir werden die aufschiebende Wirkung von Petitionen nach dem bisherigen Verfahren auch weiterhin gewährleisten. Dabei wollen wir den Rechtsgedanken des §6a Abs. 2 und 3 des Härtefallkommissionsgesetzes aufgreifen. Somit sollen bei Personen, die entweder in den letzten drei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens 180 Tagessätzen verurteilt worden sind, Petitionen in der Regel keine aufschiebende Wirkung entfalten. Dabei bleiben ausländerrechtliche Aufenthaltsverstöße unberücksichtigt. Über Ausnahmen berät die Vorprüfungskommission des Petitionsausschusses.

Für Fälle, in denen eine Ausreisepflicht zu unverträglichen Härten führt, kann auch weiterhin die Härtefallkommission angerufen werden. Dies ist ein humanitärer Beitrag für Lösungen, in denen die Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften zu Ergebnissen führen würde, die der Gesetzgeber erkennbar nicht gewollt hat. Die Hürden zur Annahme des Vorliegens eines Härtefalls sind gegenwärtig hoch. Wir wollen das Zwei-Drittel-Quorum und für einzelne Ausnahmefälle die Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts abschaffen.

Abgeschobene sollen darüber hinaus in begründeten Fällen auch ein Handgeld erhalten, um ihnen die ersten Schritte am neuen Aufenthaltsort zu erleichtern.

Um weiterhin zu gewährleisten, dass insbesondere weibliche Abschiebegefangene und Strafgefangene separat untergebracht werden, streben wir eine Kooperation mit anderen Bundesländern an.

Wir anerkennen die Arbeit und Projekte der von den evangelischen und der katholischen Kirche am
Frankfurter Flughafen betriebenen Abschiebebeobachtungsstelle.

Auf Bundesebene werden wir folgende Vorhaben unterstützen: Die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber und Geduldete nach drei Monaten und Maßnahmen zum frühen Erwerb der deutschen Sprache für diese Personengruppe, die Lockerung der räumlichen Beschränkung (sogenannte Residenzpflicht) auf das gesamte jeweilige Bundesland sowie die Möglichkeit für Vereinbarungen über eine länderübergreifenden Bewegungsfreiheit.