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20.06.2010

GRÜN als führende Kraft der Linken Mitte

Beschluss: GRÜN als führende Kraft der Linken Mitte. Im Bund. Im Land. In den Kommunen.

mit großer Mehrheit bei einer Gegenstimme und wenigen Enthaltungen beschlossen.

  1. Bei der Bundestagswahl haben DIE GRÜNEN das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt. Die hessischen GRÜNEN kamen auf 12,0 Prozent und sind erstmals mit sechs Abgeordneten im Bundestag vertreten. Nicht nur die Prozentwerte, auch die absoluten Zahlen zeigen: So viele Menschen wie nie zuvor haben GRÜN gewählt. Dennoch konnten zwei wesentliche Wahlziele nicht erreicht werden: schwarz-gelb zu verhindern und drittstärkste Kraft zu werden.
  2. Schon bei der hessischen Landtagswahl 2009 ergab sich ein ähnliches Bild: Die GRÜNEN konnten mit 13,7 Prozent das beste Ergebnis erringen, das jemals in einem Flächenland erzielt wurde. Dennoch reichte es nicht, um stärker als die FDP zu werden und GRÜNE Inhalte in Regierungshandeln umsetzen zu können.
  3. Im Bund wie im Land wirken die neuen Regierungen bereits verbraucht, bevor sie ihre Ämter richtig angetreten haben. Hier wie dort wohnt dem Anfang keinerlei Zauber inne, sondern es wurden grandiose Fehlstarts hingelegt.
  4. Vor Ort in den Kommunen sind DIE GRÜNEN in einigen größeren Städten Volkspartei auf Augenhöhe mit CDU und SPD. Bei der Europawahl waren DIE GRÜNEN in Darmstadt und Marburg sogar die stärkste Kraft. Auch in der Fläche zeigen die letzten Wahlergebnisse und nicht zuletzt der erste Oberbürgermeister mit grünem Parteibuch in Bad Homburg: GRÜN wächst deutlich und GRÜN regiert in Hessens Kommunen. Knapp die Hälfte aller Hessinnen und Hessen wird in Kommunen unter Mitverantwortung der GRÜNEN regiert. GRÜNE (Ober-)Bürgermeister sowie Dezernentinnen und Dezernenten setzen deutliche Akzente vor allem in den Bereichen Umwelt, Bildung und Soziales.
  5. Auf kommunaler Ebene setzen GRÜNE in Hessen ihre Inhalte schon seit Jahren in einer Vielfalt politischer Konstellationen um: rot-grün, Ampel, Ampel plus Freie Wähler, schwarz-grün, Jamaika oder lose Kooperationsvereinbarungen lauten hier die Stichworte. Lagerdenken spielt auf kommunaler Ebene schon lange keine Rolle mehr. Entscheidend sind die Inhalte und die Frage, mit wem sie am besten verwirklicht werden können.
  6. Auch auf Landes- und Bundesebene werden mit Blick auf ein sich etablierendes Fünf-Parteien-System die klassischen Lager schwarz-gelb auf der einen Seite und rot-grün auf der anderen Seite in Zukunft immer seltener eine parlamentarische Mehrheit in Wahlen bekommen.
  7. Mit der gesellschaftlichen Realität hat dieses Lagerdenken ohnehin schon lange nichts mehr zu tun. Die Bindungen an die Parteien sind geringer worden, was sich auch in der Wahlbeteiligung der letzten Landtags- und Bundestagswahl zeigte. Viele Menschen sind auf der Suche nach neuen politischen Antworten, die sie wieder mit ihrer konkreten Lebenswirklichkeit in Verbindung bringen können. Sie sind die alten Grabenkämpfe zwischen dem selbsternannten bürgerlichen Lager und selbstzufriedenen Alt-Linken leid. Sie wissen, dass die Herausforderungen der Globalisierung weder in der Huldigung der freien Kräfte des Marktes noch in einer Rückkehr zur nationalstaatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts zu gestalten sind. Sie wissen, dass Ökonomie, Ökologie und Gerechtigkeit zusammen gedacht werden müssen, wenn wir dauerhaft in einer intakten Umwelt und in einer solidarischen Gesellschaft leben und wirtschaftlich erfolgreich sein wollen und sie sehen nicht mehr den Widerspruch zwischen Bürgertum auf der einen und der gesellschaftlichen Freiheit und Modernisierung in Folge der 68er-Bewegung auf der anderen Seite. Sie verstehen sich selbstbewusst als modernes Bürgertum, dem das eigene gute Leben wichtig, aber nicht wichtiger ist als das Schicksal von Menschen, die weniger gute Startchancen hatten. Der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen für kommende Generationen ist für dieses moderne Bürgertum kein Luxus, sondern schlichte Notwendigkeit. Sie verschließen nicht die Augen vor existierenden und sich verschärfenden sozialen Konflikten, nicht vor der Verantwortung unseres Konsumverhaltens für die globale ökologische Krise, nicht vor sich vervielfältigenden Freiheitsbeschränkungen und nicht vor der Not, der Menschen am anderen Ende der Welt ausgesetzt sind. Stattdessen verlangen sie progressive Antworten auf die Zukunftsfragen unserer Gesellschaft und internationale Solidarität in der „Einen Welt“.
  8. Für diese immer größer werdende Bevölkerungsgruppe kann man viele Namen finden: Linkes Bürgertum, bürgerliche Linke, Linksliberale – ein früherer Kanzler hat um Teile dieser Gruppe mit dem Begriff „Neue Mitte“ geworben, allerdings ohne damit eine inhaltliche Orientierung verbinden zu können. Nichts ist in der Politik verlockender, als sich im Streit über diese Begriffe zu verlieren und die bloße Begrifflichkeit jenseits der damit verbundenen Inhalte zum Gegenstand heftiger Debatten zu machen. Das läuft dann nach dem Motto: Sprichst Du von Bürgertum, kannst Du nicht für eine linke, moderne Politik sein. Und umgekehrt: Sprichst Du von linker, emanzipatorischer Politik, kannst Du keine gesellschaftlichen Mehrheiten gewinnen. Um nicht in solche Scheindebatten zu verfallen, schlagen wir vor, von der Linken Mitte zu sprechen.
  9. Diese Linke Mitte hat die vergangenen Landtags- und Bundestagswahlen entschieden – und zwar im Wesentlichen dadurch, dass viele zu Hause geblieben sind. Sowohl die hessische Landtagswahl als auch die Bundestagswahl haben schwarz-gelb nicht aus eigener Stärke gewonnen (die CDU hat sogar absolut nochmals Stimmen verloren), sondern ihren Sieg v.a. der Tatsache zu verdanken, dass es – auch den GRÜNEN – nicht ausreichend gelungen ist, die Linke Mitte zu mobilisieren. Dem Verlust der SPD auf Bundesebene von zehn Millionen Wählerinnen und Wählern seit 1998 stehen bislang keine Zuwächse der GRÜNEN in vergleichbarer Größenordnung gegenüber.
  10. Durch ein Ausspielen von „Mitte“ und „Links“ würden DIE GRÜNEN ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht. Wer den vielen politisch Heimatlosen ein Angebot machen will, wer die führende Kraft der linken Mitte sein will, muss beides zusammenbringen: Linksliberales Bürgertum und studentisch-alternatives Milieu, nachhaltig und erfolgreich wirtschaftende Selbstständige genau so wie Anti-AKW-Aktive und er muss den Marktradikalen auf der einen und den Modernisierungsverweigerern auf der anderen Seite eine klare Absage erteilen.
  11. Hier liegt die zentrale Aufgabe für die Oppositionsarbeit im Landtag wie im Bundestag. Schwarz-gelb hat eine parlamentarische, aber in vielen Fragen keine gesellschaftliche Mehrheit. Im Bund wie in Hessen werden wir die Auseinandersetzung mit schwarz-gelb über die entscheidenden Zukunftsfragen und die besseren Konzepte für unser Land suchen:

    – Wie wird Deutschland und wie wird Hessen seiner Verantwortung für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Begrenzung des Klimawandels gerecht?

    – Werden die Weichen in Richtung einer zukunftsfähigen Energieversorgung ohne Kohle und Atom gestellt?

    – Geht es gerecht zu in unserem Land und haben wirklich alle Menschen die Chance auf Teilhabe an der Gesellschaft?

    – Wird es endlich den dringend notwendigen Aufbruch in der Bildungspolitik geben und werden alle Schülerinnen und Schüler sowie alle Studierenden unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern bestmöglich gefördert?

    – Werden aus der Wirtschaftskrise die richtigen Konsequenzen gezogen und eine wirklich zukunftsfähige Wirtschaftspolitik auf den Weg gebracht?

    – Werden endlich die Weichen in Richtung einer nachhaltigen Haushaltspolitik gestellt, die aufhört, unseren Kindern immer mehr Schulden zu hinterlassen?

    – Bleiben die Länder und Kommunen finanziell in der Lage, ihre Aufgaben im Bereich der öffentlichen Daseinsfürsorge aufrechterhalten zu können oder werden sie durch unverantwortliche Steuersenkungen in den Ruin getrieben?

    Wir werden durch überzeugende Konzepte zu all diesen Fragen die Linke Mitte ansprechen, sie einladen, bei uns mitzumachen und wollen so aus gesellschaftlichen Mehrheiten auch wieder parlamentarische Mehrheiten machen.

  12. Wir werden noch weniger als in der Vergangenheit darauf warten, dass die SPD diese Aufgabe übernimmt. Wir setzen auf unsere eigene Stärke. Wir haben den Anspruch, selbst zur führenden Kraft der Linken Mitte zu werden. Wir setzen selbstbewusst auf GRÜNE Eigenständigkeit, wissen aber zugleich, dass zu Hochmut kein Anlass besteht: Auch wir GRÜNE haben nach der Bundestagswahl 1990 schwere Zeiten durchgemacht. So die SPD nicht zu sehr mit ihrer Selbstfindung beschäftigt ist, wird es einen Wettbewerb zwischen SPD und GRÜNEN um den inhaltlichen Führungsanspruch der linken Mitte geben, so dass sich ein produktiver Wettbewerb entfalten kann. Die SPD wird sich stärker auf bisherigen Stammfeldern der GRÜNEN zu tummeln versuchen und DIE GRÜNEN werden weiter auf Felder vordringen, die früher als Domänen der SPD galten. Möge der Bessere gewinnen und zur inhaltlich führenden Kraft der linken Mitte werden.
  13. Wir werden weder SPD und Linkspartei noch CDU und FDP hinterherlaufen. GRÜNE Eigenständigkeit bedeutet, die eigenen Konzepte und Inhalte weiter zu schärfen und bekannter zu machen und nicht, GRÜNE Inhalte mit Blick auf mögliche Koalitionen zu verwässern. Koalitionen müssen auf der Grundlage eigener GRÜNER Konzepte und Werte geschlossen werden. Nur wer weiß, wo er selbst steht, kann glaubhaft begründen, warum er mit wem koaliert. Wer Koalitionsdebatten führt, um den Kurs der eigenen Partei in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen, macht die GRÜNEN schwach. Was wir wollen darf nicht davon abhängen, mit wem wir koalieren. Am Ende muss der Inhalt von Politik über Koalitionsaussagen und Koalitionen, über Regierung oder Opposition entscheiden – sonst nichts.
  14. Unsere hessische Leitlinie „Auf die Inhalte kommt es an“ aus dem turbulenten Jahr 2008 bleibt auch künftig unser Gradmesser für unsere Haltung zu allen politischen Mitbewerbern. Entlang dieser Leitlinie war im vergangenen Jahr eine Zusammenarbeit mit den rückwärtsgewandten Landesverbänden von CDU und FDP in Hessen nicht möglich – mit einer veränderungsfähigen CDU, wie es sie in Hamburg und dem Saarland gibt, ist sie gut möglich. Ebenso war es entlang der Inhalte richtig, in Bremen eine Koalition mit der SPD zu bilden und wäre es in Hessen gut gewesen, wenn ein Regierungs- und Politikwechsel nicht an der SPD gescheitert wäre. Wir setzen in Hessen wie im Bund auf an Inhalten ausgerichtete Bündnisse und schließen dabei keine demokratische Partei grundsätzlich aus. Dabei haben wir bislang mehr inhaltliche Schnittmengen mit der SPD. Wir nehmen aber auch wahr, dass in der hessischen CDU die Zahl der Modernisierer wächst, denen sehr bewusst ist, dass Roland Koch und Christean Wagner nicht die Zukunft der CDU und schon gar nicht ein Erfolgsduo für die nächsten Landtagswahlen sind.
  15. DIE GRÜNEN nehmen für sich in Anspruch, was SPD und CDU seit Jahrzehnten tun: Koalitionspartner danach auszusuchen, mit wem die meisten eigenen Inhalte umgesetzt werden können. So gäbe es im Bundesland Berlin eine rot-GRÜNE Mehrheit, die SPD hat sich dennoch dagegen entschieden. Es gäbe in Thüringen eine Mehrheit ohne CDU, die SPD hat sich dennoch dagegen entschieden.
  16. Jetzt ist die Zeit, an den Inhalten zu arbeiten und nicht die Zeit für abstrakte Farbenspiele. Wo Bundes- und Landesregierung die richtigen Antworten auf die o.g. Zukunftsfragen geben, werden wir sie unterstützen. Wo sie unser Land in die falsche Richtung lenken, werden sie auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen. Wir werden sie mit eigenen Konzepten und Vorschlägen treiben
    – als führende Kraft der linken Mitte.
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