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14.06.2017
Landesarbeitsgemeinschaften, Parteirat

Es hängt von den Demokraten ab - Demokratie und Frieden in Europa schützen

 Die Menschheit hat seit dem Zweiten Weltkrieg einen gewaltigen Fortschritt erzielen können. Es gibt heute so viel Wissen für so viele Menschen wie noch nie. Der Zugang zu Strom, Wasser und Gesundheitsversorgung ist so weit verbreitet wie noch nie. Neue Kommunikations- und Informationstechnologien schaffen zudem so viel Mobilität wie noch nie in der Geschichte der Menschheit.  
Das ist die Realität in vielen Teilen der Welt. Es gibt aber auch eine Kehrseite: Hungersnöte mehren sich, der Menschen gemachte Klimawandel zersetzt die Lebensfähigkeit ganzer Landstriche, Millionen von Menschen leiden unter Kriegen, weltweit wird aufgerüstet, Autokratien sind auf dem Vormarsch, Populisten versuchen lautstark, Demokratien zu untergraben, Extremisten greifen unsere Gesellschaften an.  
Viele dieser Phänomene sind nicht neu. Doch erscheinen sie uns in Europa so nah wie lange schon nicht mehr. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Ein zentraler Grund ist die derzeitige Schwäche der Europäischen Union als historisch einmaligen Garanten für Frieden und Prosperität in Europa. Zu oft haben sich europäische Regierungen in den letzten Jahren nationalen Egoismen hingegeben anstatt zu begreifen, dass der Zusammenhalt Europas ihr wichtigstes „nationale Interesse“ ist. Die Gas-Pipeline „Northstream II“ beispielsweise lehnen wir Grüne ab, weil sie ein gegen die Interessen Estlands, Lettlands, Litauens, Polens, Italiens und der Ukraine gerichtetes Projekt ist. 
In den europäischen Gesellschaften ist dies längst angekommen. Die Absage Frankreichs, Österreichs und der Niederlande an den antieuropäischen Kurs von Le Pen, Hofer und Wilders zeigt das genauso eindeutig wie der großartige Erfolg der in der Europastadt Frankfurt geborenen Bewegung „Pulse of Europe“. Die Auseinandersetzung mit den Gegnern Europas nehmen wir Grüne auch in Deutschland an. Wir bekämpfen die schlechte „Alternative für Deutschland“ nicht nur wegen ihres sexistischen, rassistischen und vorgestrigen Gesellschaftsbilds, sondern auch wegen ihrer destruktiven Anti-EU-Haltung. 
Die EU ist aber nicht nur von innen bedroht. Der Völkerrechtsbruch der Russischen Föderation in der Ukraine stellte den europäischen Zusammenhalt vor große Herausforderungen. Die Angst vor einer russischen Aggression ist nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Estland, Lettland, Litauen und Polen sehr real. Wer Europa zusammenhalten will, muss diese Ängste sehr ernst nehmen. Sie sind nicht nur historisch gewachsen, sondern speisen sich auch aus zahlreichen unangemeldeten russischen Großmanövern der letzten drei Jahre dicht an den Grenzen der baltischen Staaten sowie der zunehmenden russischen Einmischung in Wahlen durch Desinformation und die Finanzierung rechtspopulistischer Kräfte. Auch nach innen hat die russische Führung in den letzten Jahren die Handlungsspielräume für die Zivilgesellschaft massiv verkleinert, Menschen- und Bürgerrechte stark eingeschränkt. 
Bei allen Spannungen mit Russland stellen wir fest: Es kann ohne Russland keine europäische Friedensordnung geben. Deshalb darf der Dialog nicht abreißen. Gleichzeitig muss der russischen Seite klargemacht werden, dass die Sanktionen gegen Russland bei einer Veränderung der Politik des Kremls in der Ukraine jederzeit und sofort aufgehoben werden.  
Die Antwort auf die russische Aggression sind Druck und Dialog, aber nicht eine massive Anhebung des Wehretats auf 2% des Bruttoinlandsprodukts. Wir GRÜNE haben das 2%-Ziel stets abgelehnt. Es bringt nicht einmal mehr Sicherheit, wenn man in ineffizienten Beschaffungsstrukturen der Bundeswehr mehr Geld verbrennt. Im Gegenteil wird dadurch der Reformdruck genauso gelähmt wie die notwendige Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit. Es ist schlicht abenteuerlich, dass die Bundesregierung sich zu dieser immensen Anhebung der Militärausgaben verpflichtet, weil sie irrigerweise denkt, so US-Präsident Donald Trump „beruhigen“ zu können. Sein Verständnis von „Sicherheit und Stabilität“ hat er zuletzt bei seiner fatalen Reise in den Nahen Osten gezeigt, als er dort mit dem wahabitischen Königshaus Saudi-Arabiens einen Waffendeal über 110 Milliarden Dollar abgeschlossen und damit ein schlimmes Signal der Eskalation für die gesamte Region gesetzt hat. 
Gleichzeitig ist die Modernisierung der Atomwaffen-Arsenale der USA und Russlands ein großer Schritt weg von der „Vision Zero“; mit der Präsident Obama die hoffnungsfrohe Perspektive einer Welt ohne Atomwaffen gezeichnet hatte. Auch in Deutschland sind derzeit Atomwaffen stationiert. Wir setzen uns für deren Abzug aus Büchel ein, wie wir uns für eine Welt ohne Atomwaffen einsetzen. Dazu gehört auch ein atomwaffenfreier Naher Osten. Das Atomabkommen mit dem Iran war ein kleiner erster Schritt dazu. Weitere müssen folgen.  
Dennoch: Gerade im Nahen Osten, aber auch in Teilen Afrikas, sieht man derzeit auf dramatische Art und Weise, dass Abrüstung bereits bei Kleinwaffen anfangen muss. Die heutigen Kriege in Mali, Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik sind ohne die auch aus Deutschland an den damaligen libyschen Diktator Gaddafi gelieferten Waffen nicht denkbar. Bei der humanitären Katastrophe in Jemen sind deutsche Bombenanteile und Sturmgewehre im Einsatz, die nach Saudi-Arabien verkauft wurden. Auch in Syrien und im Irak kämpfen verschiedene Milizen mit Waffen aus Europa, auch aus Deutschland. Deutschland und Europa können mehr Verantwortung übernehmen für Frieden auf der Welt. Diese Verantwortung beginnt mit dem Stopp von Rüstungsexporten in Krisenregionen. 
Die Welt ist nicht aus den Fugen geraten. Aber sie ist bedroht. Vom Klimawandel, von Kriegen und von Autokraten. Doch nicht die Autokraten und Populisten sind stark, sondern die Demokratien erscheinen schwach. Gegen diese Schwäche demonstrieren die Menschen beim „Women’s March“ oder bei „Pulse of Europe“. Wir stehen auf der Seite der demokratischen Zivilgesellschaft. Wir stehen auf der Seite einer neuen Friedensbewegung, die nicht in den alten Feindbildern des Kalten Krieges denkt, sondern Lösungen sucht. Im Rahmen des Völkerrechts und des Schutzes für die Zivilbevölkerung. Die gegen die Kriegsverbrechen Russlands, Irans und Assads in Aleppo genauso demonstriert, wie sie gegen den Irak-Feldzug George W. Bushs demonstriert hat. Und die nach Lösungen sucht. 
Wir Grüne haben eine lange Geschichte großer Diskussionen um und für den Frieden. Wir haben uns gestritten, entschieden, manchmal geirrt. Aber leicht haben wir uns die Antworten nie gemacht. Die Welt ist im Wandel. Ob sie sich zum Guten oder zum Schlechten verändern wird, hängt auch von uns ab. Und von unserer Fähigkeit, geduldig, empathisch, kritisch und differenziert an die Probleme heranzugehen.