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26.09.2015
Landesarbeitsgemeinschaften, Landesmitgliederversammlung

Demonstrationsrecht und Kommunikation der Beteiligten in Hessen gestärkt

Die Landesmitgliederversammlung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen hat am 26. September 2015 folgenden Beschluss gefasst:

1. Das Demonstrationsrecht, die Presse- und Meinungsfreiheit gehören zu den höchsten Gütern unserer Demokratie. Sie sind zu Recht grundgesetzlich geschützt. Wir haben unsere Wurzeln in der Umwelt-, Anti-AKW-, Friedens-, Bürgerrechts-, Frauen-, und anderen sozialen Bewegungen. In Hessen haben uns gerade auch die Proteste gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens und den Bau der Startbahn West geprägt. Wie keine andere Partei stehen wir für eine lebendige Protestkultur, für friedliche, bunte und vielfältige Demonstrationen. Wir erachten auch bestimmte Formen des zivilen Ungehorsams wie beispielsweise Sitzblockaden als legitimes Mittel – aber nur dann wenn sie gewaltfrei sind.

2. Von Anfang an war Gewaltfreiheit einer der Gründungswerte unserer Partei. Joschka Fischer hat dies vor einigen Jahren in einer Fragestunde des Bundestags so formuliert:

„Ich war militant. Ich habe mit Steinen geworfen. Ich war in Prügeleien mit Polizeibeamten verwickelt. Ich habe auch Polizeibeamte geschlagen. Ich stehe zu meiner Verantwortung.
Ich war damals kein Demokrat sondern revolutionär, aber mit einem Freiheitsanspruch. Ich habe damals aber erkannt, wie Gewalt die eigenen Gesichtszüge verzerrt, selbst wenn man meint, sie aus guten Gründen einsetzen zu können. Das war für mich die entscheidende Erfahrung, wo ich mich abgewandt habe, innerlich und auch in den politischen Konsequenzen. Ich habe damals Unrecht getan. Und ich habe mich dafür zu entschuldigen bei allen, die davon betroffen waren. Dieses habe ich getan und tue ich heute wieder. Ich stehe seitdem für einen Lebensweg, der bedeutete auch die Integration jener Teile, die damals jung waren. Und ich rede hier nicht von Jugendsünden, das haben andere getan. Ich war damals bereits im Erwachsenenalter. Aber ich stehe auch für eine Politik seitdem, die nicht nur Gewaltfreiheit propagiert und durchsetzt, sondern die vor allen Dingen auch die Hineinentwicklung in die demokratische Grundordnung, und ich weiß, was dieses bedeutet, denn im Gegensatz zu all den Gerechten, ich musste mich dort erst hineinentwickeln aus Gründen, die ich jetzt in dieser Antwort nicht darstellen will. Aber ich habe mich dort aus Überzeugung wirklich zum Demokraten gewandelt und dieses entspricht auch dem politischen Lebensweg und dem meiner Partei. Und meine Partei hat es von niemandem nötig, sich hier zu Gewaltfreiheit aufrufen zu lassen. Denn der Schritt zu den Grünen war für mich entscheidend auch bedingt durch das Bekenntnis zu Demokratie und Gewaltfreiheit.“ (Bundestagsprotokoll)

3. Das sensible Thema der Wahrung der friedlichen Versammlungsfreiheit war Bestandteil der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und Grünen in Hessen. Wörtlich heißt es im Koalitionsvertrag:

„Wir wollen eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Strafgesetzbuches ergreifen, um den Schutz von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie anderen Einsatzkräften bei gewalttätigen Übergriffen zu verbessern.
Um den Bürgerinnen und Bürgern offen gegenüberzutreten und eine eindeutige Identifizierung zu ermöglichen, werden hessische Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte grundsätzlich ein Namensschild tragen. Um ihre Sicherheit nicht zu gefährden, haben sie das Recht, ihr Namensschild gegen eine Nummer zu tauschen.“

Den Koalitionsvertrag hat die Landesmitgliederversammlung mit einer deutlichen Zustimmung von 75% beschlossen. Die Fraktion bzw. die Koalition haben die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages in diesen beiden Bereichen umgesetzt:

  • Angehörige der Polizei, die im Einsatz unverhältnismäßig und gewalttätig gegen Demonstrantinnen und Demonstranten vorgehen, können in Hessen mittlerweile identifiziert und ggf. angezeigt werden.
  • Im Bundesrat hat Hessen im Gegenzug eine Initiative gestartet, die den tätlichen Angriff, also eine unmittelbar auf den Körper zielende gewaltsame Einwirkung härter bestraft. Diese Initiative hat bisher keine Mehrheit gefunden.
  • Für die CDU war das Thema Kennzeichnungspflicht ebenso wenig ein Herzensanliegen wie für uns der Schutzparagraph. Kompromisse zu finden ist das Wesen einer Koalition und wir erachten diesen Kompromiss im Gesamtergebnis als richtig.

4. Um Lehren gerade aus dem stark kritisierten Polizeieinsatz bei den Blockupy-Protesten 2013 zu ziehen, wurden unter grüner Regierungsbeteiligung außerdem die Deeskalationsarbeit deutlich gestärkt und die Kommunikationsstrategie überarbeitet. Gerade im Vorfeld der Blockupy-Proteste im Jahr 2015, aber auch am Tag der Proteste gegen die Eröffnung des Neubaus der EZB, waren die Anstrengungen der Polizei für die Umsetzung dieser Strategie beachtlich.

5. Am Morgen des 18. März 2015 kam es durch eine Minderheit von Demonstrierenden gegen die Eröffnung des Neubaus der EZB leider zu schrecklichen gewalttätigen Ausschreitungen in der Frankfurter Innenstadt. Hierbei kam es zu Handlungen und Bildern, die uns nach wie vor fassungslos machen: Brandsätze, die in besetzte Polizeiautos geworfen wurden, brutale Gewalt gegen Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten sowie Sachbeschädigungen in hohem Ausmaß. Die Gewalttäter haben nicht nur schwere Straftaten begangen, sondern auch den legitimen Anliegen der mehrheitlich friedlichen Demonstrantinnen und Demonstranten schwer geschadet.

6. Auch in Anbetracht dieser Vorkommnisse sehen wir in der Deeskalations- und Kommunikationsstrategie weiterhin die größten Chancen – und zwar für beide Seiten, für die Demonstrierenden und die Einsatzkräfte. Durch die Deeskalationsstrategie im Vorfeld der Blockupy-Proteste und das besonnene Vorgehen gegen die gewalttätige Minderheit konnten die Gewalt eingegrenzt, noch schlimmere Verletzungen verhindert und am Nachmittag auch der Demonstrationszug der friedlichen Mehrheit durchgeführt werden. In unserer Bewertung dieses Tages bleibt die Deeskalationsstrategie richtig. Klar ist auch, dass Deeskalation wie an diesem Tag an ihre Grenzen kommen kann und dann konsequente Schritte zum Schutz der Allgemeinheit notwendig werden. Wir wollen sowohl die Einsatzkräfte der Polizei und der Rettungsdienste als auch die Zivilgesellschaft bestmöglich vor gewalttätigen Übergriffen bei Demonstrationen schützen. Bei Eingriffen in Freiheitsrechte gilt es besonders sensibel abzuwägen. Darüber wollen wir mit allen Beteiligten im Gespräch bleiben. Nur bei Wahrung der Balance der berechtigen Anliegen aller Beteiligten erreichen wir am Ende eine friedliche Demonstrationskultur.