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14.06.2017
Landesarbeitsgemeinschaften, Parteirat

Abschiebepolitik der Bundesregierung nach Afghanistan: Einschätzung der Sicherheitslage überprüfen - Abschiebungen nach Afghanistan stoppen

1. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen bekräftigen ihre Kritik an der bisherigen Abschiebepraxis der Bundesregierung nach Afghanistan. Bereits im Beschluss des Parteirats vom 14. Januar haben wir festgestellt, dass UNHCR, NGOs und in Afghanistan tätige Hilfsorganisationen erhebliche Zweifel an der Einschätzung der Sicherheitslage durch die Bundesregierung hegen und wir uns angesichts dieser Situation gegen Abschiebungen nach Afghanistan aussprechen. Mehrfach haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen, aber auch elf GRÜN mitregierte Länder deshalb eine Neubewertung der Sicherheitslage gefordert, um so die Voraussetzungen für ein Ende der derzeitigen Abschiebpraxis zu schaffen. Dies hat die Bundesregierung verweigert. Es ist ein Armutszeugnis, dass erst der schreckliche Anschlag in Kabul am 31. Mai, der auch die deutsche Botschaft traf und bei dem mehr als 150 Menschen ermordet wurden, endlich das vorläufige Aussetzen der Abschiebungen und die Neubewertung der Sicherheitslage bewirkt hat. Die Bundesregierung hat immer behauptet, es gebe sichere Regionen in Afghanistan. Der Anschlag in Kabul war nur einer von vielen und er hat gezeigt, dass die afghanische Regierung nicht einmal in der Hauptstadt Sicherheit garantieren kann.  
2. Der Parteirat hatte in seinem Beschluss vom 14. Januar festgestellt, dass es beim Vollzug der Abschiebeentscheidungen des Bundes kaum Ermessensspielräume der Bundesländer gibt. Er forderte die Landesregierung jedoch auf, vorhandene humanitäre Handlungsspielräume konsequent zu nutzen und unterstützte entsprechende Vorschläge der GRÜNEN Landtagsfraktion. 
3. Der Parteirat stellt fest, dass diese Vorschläge der Landtagsfraktion inzwischen Grundlage des Handelns der Landesregierung sind. So wird einer Entscheidung im Rahmen der gesetzlichen Ermessensspielräume eine sorgfältige und sensible Prüfung jedes Einzelfalls zugrunde gelegt, die insbesondere folgende Punkte umfasst:
• Familiäre Bindungen Es wird geprüft, ob zum Zeitpunkt der Abschiebung familiäre Bindungen in Deutschland bestehen, die einer Abschiebung entgegenstehen könnten.

• Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels Es wird geprüft, ob die Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln vorliegen, insbesondere:

o Niederlassungserlaubnis;

o Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§25 AufenthG);

o Aufenthaltserlaubnis nach §25a AufenthG, weil es sich um einen gut integrierten Jugendlichen oder Heranwachsenden oder dessen Angehörige handelt;

o Aufenthaltserlaubnis nach §25b AufenthG für eine Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration.

• Vorliegen inlandsbezogener Vollzugshindernisse In eigener Zuständigkeit prüft die jeweilige Ausländerbehörde, ob der Ausländer wegen inlandsbezogener Vollzugshindernisse zu dulden ist, z.B. bei Reiseunfähigkeit wegen Erkrankung.

• Bestehen sonstiger Duldungsgründe Hierunter fallen nach §60a AufenthG z.B. eine aufgenommene Berufsausbildung oder die Anwesenheit zur Aufklärung in einem Strafverfahren wegen eines Verbrechens. 

 

4. Der Parteirat stellt fest, dass seit dem Parteiratsbeschluss vom 14. Januar aus Hessen ausschließlich nach geltendem Recht ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder nach Afghanistan abgeschoben wurden.  

 

5. Der Parteirat kritisiert, dass vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf der Grundlage der Politik der Bundesregierung Flüchtlingen aus Afghanistan weiterhin die Abschiebung angedroht wird und so bei den Betroffenen erhebliche Verunsicherung entsteht. 

 

6. Der Parteirat spricht sich dafür aus, dass die so genannte „3+2-Regelung“ bereits mit der Unterzeichnung eines Ausbildungsvertrags greift. Diese Regelung sieht vor, dass Asylbewerber, die in einer Berufsausbildung sind, nach Prüfung des Einzelfalls nicht abgeschoben werden. 

 

7. Der Parteirat ist sich bewusst, dass neben dem konsequenten Schutz der von Krieg, Gewalt und Verfolgung bedrohten Personen die Rückführung von Menschen ohne Anspruch auf ein Bleiberecht in unserem Land ebenfalls Teil des geltenden Asylrechts ist. Die Rückkehr in das Herkunftsland ist immer mit erheblichen Belastungen und menschlichen Schicksalen verbunden. Daher bekräftig der Parteirat, dass die freiwillige Rückkehr Priorität vor Abschiebungen hat. Abschiebungen bedeuten stets, dass abgelehnte Asylbewerberinnen und –bewerber ihrer
Ausreisepflicht – teilweise über Jahre – nicht nachgekommen sind und die Beendigung ihres Aufenthalts in Deutschland durch polizeilichen Zwang herbeigeführt wird. Dennoch sollte und wird die Abschiebung in der Regel unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Betroffenen mit Augenmaß durchgeführt. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen sich einer Abschiebung bewusst entzogen wird, wodurch die Rahmenbedingungen des Polizeieinsatzes erschwert werden. 

 

8. Angesichts der in den letzten Monaten weiter gestiegenen Bedrohungslage erwarten wir von Auswärtigem Amt und Bundesministerium des Innern eine gewissenhafte Überprüfung der Sicherheitslage in Afghanistan. Vor allem gegenüber den Flüchtlingen, aber auch gegenüber den Bundesländern, die verpflichtet sind, die Asylentscheidungen der Bundesbehörden umzusetzen, ist jedes andere Verhalten fahrlässig.