Inhalt

10.11.2012
Landesarbeitsgemeinschaften, Landesmitgliederversammlung

Alles in Maßen – keine Tierfabriken in Hessen

Spätestens seit dem Protest von Fußballfans gegen das Sponsoring eines großen Geflügelverarbeiters beim Bundesligisten Werder Bremen weiß man, dass Deutschlands Massentierhaltung von Geflügel im Emsland, in Cloppenburg und Vechta zu Hause ist. Still und leise ist diese Welle aber mittlerweile auch in Hessen angekommen. In den letzten Jahren sind über eine Million neue Mastplätze entstanden oder in der Planung. Der Anstieg der Mastplätze in Nordhessen – 40.000 Hähnchen pro Stall sind keine Seltenheit mehr – wird zum einen durch eine hohe Nachfrage nach billigem, angeblich gesundem Fleisch und zum anderen durch eine ansässige Geflügelschlachterei, die ihre Kapazitäten erweitern will, angekurbelt. Der Trend zu einer Industrialisierung der Tierhaltung ist somit auch in Hessen zu verzeichnen – mit allen negativen Auswirkungen auf Nahrungsmittelqualität, Tierhaltung, regionale Wirtschaftskreisläufe, Klima und biologische Vielfalt.

Weniger Fleisch auf den Tisch!

Der Fleischkonsum in Deutschland steigt stetig an. Eine Person verzehrt im Schnitt 1,2 Kilogramm pro Woche. Massentierhaltung macht Fleisch billig und ständig verfügbar, so dass sich dieser Prozess stetig aufschaukelt.

Das ist zu tun: Wir appellieren an die VerbraucherInnen: Alles zu seiner Zeit, am liebsten aus der Region und möglichst viel Bio. Jeder kann mit mindestens einem „Veggiday“ pro Woche einen Beitrag leisten. Die Renaissance des Sonntagsbraten zeigt, Fleischessen muss nicht alle Tage sein. Und „Gutes hat seinen Preis“ nur so können Landwirte unsere hohen Ansprüche an die Lebensmittelerzeugung erfüllen. Das muss auch den VerbraucherInnen klarwerden.

Weniger Antibiotika und nur bei Bedarf!

Bedingt durch die in der Massentierhaltung bei Geflügel üblichen hohen Antibiotika-Gaben – über 90 Prozent der Tiere erhalten in ihrem kurzen, sechswöchigen Leben ein bis mehrere Dosen (Studie NRW) – geht es mehr und mehr um sehr resistente Bakterien. Erkranken Menschen daran, gibt es kaum noch Behandlungsmöglichkeiten. Reste der Antibiotika sind zudem noch im vertriebenen Fleisch vorhanden. Selbst Nutzpflanzen nehmen Antibiotika über die Wurzeln aus den mit Mist oder Gülle gedüngten Böden auf und bringen sie in die Nahrungskette.

Das ist zu tun: Eine Haltung ohne Medikamente, mit längeren Wachstumszeiten und kleineren Ställen ist sehr wohl möglich. Deshalb fordern wir, dass die Gabe von Antibiotika in der Tierhaltung deutlich reduziert wird. Weiterhin sollen die Verschreibung und der schwunghafte Handel der Medikamente über Tierärzte stärker kontrolliert werden. Spezielle Wirkstoffgruppen von Antibiotika sollten möglichst dem Einsatz beim Menschen vorbehalten sein.

Nur artgerechte Haltung!

Industrielle Tierproduktion ist das Gegenteil von artgerechter Haltung. Tierhaltung und -transporte erfolgen zum Teil unter fahrlässigen und tierquälerischen Bedingungen.

Wir GRÜNE sind überzeugt: Nur artgerechte Tierhaltung ist ethisch vertretbar und zukunftsfähig.

Das ist zu tun: Mit der Praxis, die Tiere an Haltungssysteme anzupassen und nicht umgekehrt, wollen wir Schluss machen. Die Tiere benötigen ausreichend Platz, Auslauf, Tageslicht und Beschäftigungsmöglichkeit. Amputationen von Schnäbeln und Daumenkrallen, Enthornung, Schwanzkürzungen und Flügelstutzen wollen wir ebenso verbieten wie Ferkelkastrationen ohne Betäubung.

Weniger Mist und Gülle auf die Felder!

Eine Düngung der Felder mit Gülle und Mist hat lange Tradition und versorgt den Boden mit Nährstoffen. Aufgrund der Massenhaltung von Tieren in Ställen fallen aber sehr große Mengen Hühnermist und Gülle an. Diese müssen auch entsorgt werden. So hat man sich schon damit abgefunden, dass kreisweit oder sogar von Bundesland zu Bundesland Gülle gefahren wird und es nach Aufbringung auf die Äcker tagelang stinkt. Es wird zudem sogar z. B. Hühnermist aus den Niederlanden als Wirtschaftdünger nach Deutschland exportiert. Und es ist bekannt, dass in Gegenden mit viel Tierhaltung ein Nährstoffüberschuss besteht und die Grenzen des Erträglichen für Trinkwasser und Boden längst überschritten sind. Aufzeichnungs-, Melde- und Mitteilungspflichten bestehen kaum. Von Amtsseite erfolgen nur gelegentlich Plausibilitätskontrollen oder Stichproben.

Das ist zu tun: Wir fordern mehr Transparenz bei den Abläufen und eine Meldepflicht für Handel  und Transport von Wirtschaftsdünger ähnlich wie in Niedersachsen sowie Grenzwerte für Antibiotikarückstände und Keime.

Ländliche Räume bewahren!

Natur und Landschaft sind das Grundkapital für eine hohe Lebensqualität und einen Naturtourismus, der regionale Wertschöpfungsketten initiiert. Der ländliche Raum ist aktuell ein Schwerpunktraum zukunftsweisender Entwicklungen. Doch die industrielle Landwirtschaft wirft Nordhessen und seine Menschen in der Entwicklung zurück. Viele bäuerliche Betriebe müssen ihre Tierhaltung aufgeben. Tiermastanlagen verschandeln die Schönheit des Landschaftsbildes und verderben die frische Luft.

Das ist zu tun: Wir fordern, dass regionale Kreisläufe von der Futtermittelversorgung bis zur Gülleentsorgung nach dem Prinzip der kurzen Wege gefördert werden.

 

Keine Bevorzugung von Tierfabriken!

Ein Grund für die aktuelle Zunahme von Tierfabriken ist eine zu großzügige Auslegung des § 35 des Baugesetzbuches über das privilegierte Bauen im Außenbereich. Aus ökologischen Gründen ist der Außenbereich eigentlich baugesetzlich besonders geschützt. Doch landwirtschaftliche Tierhaltungsanlagen gehören zu den privilegierten Anlagen und dürfen im Außenbereich errichtet werden. Dies gilt auch für Tierfabriken, die bei Mastgeflügel erst ab 85.000 Tieren als gewerbliche Anlagen eingestuft werden.

Das ist zu tun: Hier müssen Begriffe neu definiert werden: Was ist „industriell“? Was ist „bäuerlich“? Was ist „gewerblich“? Grenzwerte müssen überdacht werden. Dafür braucht es eine breite Diskussion unter Einbindung der Bäuerinnen und Bauern auch im Hinblick auf deren Existenzsicherung.

Wir fordern die Aufhebung der Privilegierung im Baurecht für landwirtschaftliche Bauten im Außenbereich in der bisherigen Form. Die Futtererzeugung soll durch geeignete Maßnahmen an betriebseigene Flächen gebunden werden. Einrichtungen der industriellen Landwirtschaft wie Mastställe mit Massentierhaltung, sollen über eine nachhaltige Bauleitplanung (z. B. Vorschriften für Filteranlagen, Wasserversorgung, Anschluss an Gülle-geführte Biogasanlagen) reguliert werden. Die öffentlichen Belange sind im Rahmen der Abwägung zu stärken.

Mehr biologische Vielfalt!

In Europa gilt intensive bzw. industrielle Landwirtschaft als Hauptverursacher für den Rückgang der biologischen Vielfalt. Durch Nährstoffanreicherung und Nitratbelastung, Schwermetalle, Pflanzenschutzmittel und Pharmarückstände infolge der Massentierhaltungen werden  Böden, Oberflächengewässer und Grundwasser eutrophiert. Klima und Luft werden mit Ammoniak, Lachgas, Methan und anderen Schadgasen sowie durch Pilze, Bakterien und Viren belastet.

Das ist zu tun: Zum Erhalt der biologischen Vielfalt fordern wir eine ökologische Agrarwende. Ziel ist eine nachhaltige Landwirtschaft, die ihre traditionellen, angestammten Aufgaben der Sicherung einer gesunden Ernährung, der Gestaltung einer reichen Kulturlandschaft und der Erhaltung der biologischen Vielfalt erfüllt. Im Rahmen des Aufbaus eines Biotopverbunds in Hessen müssen ökologisch wertvolle Ausgleichsflächen als Rückzugsflächen und Ausbreitungskerne zur Steigerung des ökologischen Wiedererholungspotenzials der Agrarlandschaft geschützt werden.

Fördern im Sinne einer nachhaltigen Landwirtschaft!

Das Land Hessen greift mit eigenen Haushaltsmitteln und mit der Vergabe von EU-Fördermitteln massiv in die Investitionsplanung der Landwirtschaft ein. Unter dem Stichwort „Förderung des Wettbewerbs“ wird oftmals die Überproduktion von billigem Schweine- und Geflügelfleisch beflügelt. Auf der anderen Seite kann die Produktion von Biolebensmitteln in Hessen nicht mit der wachsenden Nachfrage mithalten.

Das ist zu tun: Wir wollen, dass in Zukunft öffentliche Gelder nur noch für die Erbringung gesellschaftlicher Leistungen gezahlt werden. Zukünftig sollen nur noch Projekte gefördert werden, die zu einer Verbesserung im Bereich Klima-, Umwelt-, Natur- und Tierschutz beitragen. Der Ökolandbau ist die nachhaltigste Form der Landwirtschaft. Deshalb ist er bei der Investitionsförderung deutlicher zu bevorzugen. Wir fordern, mit der zukünftigen Förderpraxis einen Wandel zu einer modernen und nachhaltigen bäuerlichen Landwirtschaft einzuleiten anstatt das Wachsen oder Weichen der Betriebe zu fördern.