Inhalt

14.09.2016
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Freihandelsabkommen CETA sorgsam prüfen und bewerten

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben mit Blick auf die anstehende Beschlussfassung beim Treffen der EU-Handelsminister Ende September in den letzten Wochen viel über CETA diskutiert. Ich merke zunehmend, dass die Debatte ein bisschen durcheinander geht. Wir reden jetzt über CETA, über das Abkommen mit Kanada. Wir reden nicht über TTIP. Da muss man durchaus sagen, dass sich in den letzten Monaten einiges verändert hat. Manche werfen da ziemlich viel durcheinander. Deswegen ist es angebracht, am Anfang etwas Grundsätzliches dazu zu sagen, und zwar aus Sicht der Landesregierung.
Was uns wichtig ist, und was mir wichtig ist: Aus ökonomischer Sicht ist freier Handel und ein freier Zugang zu internationalen Märkten grundsätzlich positiv zu bewerten. Natürlich steht dies unter der Voraussetzung, dass dies für alle Seiten unter fairen Rahmenbedingungen geschieht.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Für die international ausgerichtete hessische Wirtschaft würden sich mit einem Freihandelsabkommen mit Kanada Potenziale für wirtschaftliche Entwicklung, Beschäftigung, Innovationskraft und Produktivitätszuwachs ergeben. Auch hessische Unternehmen könnten von einem vereinfachten Zugang mit geringeren bürokratischen Hürden zum kanadischen Markt profitieren.
CETA würde den kanadischen Markt für europäische Unternehmen weitgehend öffnen und auch umgekehrt. Wenn wir uns betrachten, dass Hessen als Investitionsstandort bereits jetzt ein Drittel des für Deutschland insgesamt ausgewiesenen Investitionsbestands aus Kanada hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Hessen besonders profitieren würde, wenn kanadische Unternehmen hier investieren, eher groß.
Noch einmal: Freihandelsabkommen sind zunächst grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings, das hat der Landtag schon mehrfach festgestellt, gilt es, dass die Standards im Umwelt- und im Gesundheitsbereich, beim Verbraucherschutz und auch die kommunale Daseinsvorsorge nicht gefährdet oder ausgehebelt werden können. Auch da gilt sehr deutlich: Da darf man die Nase nicht zu weit oben haben.
(Lachen der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Ich rede jetzt als Beispiel über TTIP. Am Anfang der Debatte wurde viel über das Chlorhühnchen geredet. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: Ein geschlachtetes Huhn durch ein Chlorbad zu ziehen, oder im Laufe des Lebens ganz viel Antibiotika reinzuschmeißen. – An dieser Stelle wäre ich dafür, beides zu lassen.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Man sollte aber nicht glauben, dass europäische Standards in jedem Fall immer besser sind.
Es kann auch einmal andersherum sein.
(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Ich stelle fest, dass wir hier sehr viel Misstrauen in der Gesellschaft haben. Das muss man sehr ernst nehmen. Wir haben sehr viel Misstrauen, und dieses Misstrauen hat viel damit zu tun, dass wir eine transparentere Verhandlungspraxis nötig gehabt hätten. Das stelle ich ausdrücklich fest.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)
Das wäre förderlich gewesen für gesellschaftliche Akzeptanz und auch für Glaubwürdigkeit. Diese Transparenz wurde sowohl bei den CETA- wie auch bei den TTIP-Verhandlungen vernachlässigt, wobei zur Wahrheit auch dazugehört: Hätte es keine TTIP-Verhandlungen gegeben, würden wir jetzt wahrscheinlich auch nicht über CETA reden, sondern es wäre einfach ein Abkommen abgeschlossen und wahrscheinlich auch ratifiziert worden.
Die Frage ist – Stichwort: Transparenz –: Womit haben wir es jetzt zu tun? Inzwischen gibt es zwar eine deutsche Version des CETA-Verhandlungsstandes. Ob diese Fassung wirklich den finalen CETA-Text darstellt, bleibt abzuwarten. Wie im Antrag von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschrieben, gibt es gegenwärtig durchaus noch Bestrebungen, Änderungen bzw. Ergänzungen an dem Abkommen vorzunehmen. Auf jeden Fall muss das endgültige Ergebnis von nationaler Seite geprüft werden.
Also: Ob es überhaupt zu einem Abkommen in Sachen TTIP kommt, ist momentan zumindest fraglich. Am Ende werden wir abwarten, was CETA angeht, wie das endgültige Ergebnis sein wird. Dann ist die europäische Ebene am Zug. Dann kommt die nationale Ebene, und dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, käme der Bundesrat.
Ich bin ausdrücklich dankbar dafür – denn auch das ist ein Teil des Misstrauens, mit dem wir es zu tun haben –, dass inzwischen auch auf europäischer Ebene klargestellt wurde, dass wir es mit einem gemischten Abkommen zu tun haben. Das heißt, dass die Notwendigkeit der Zustimmung der nationalen Parlamente vorhanden ist. Das bedeutet, dass wir uns genau betrachten werden, was ein solches Abkommen an etwaigen Auswirkungen für uns hätte, weil am Ende Kompetenzen und Befugnisse der Länder und der Kommunen betroffen sein werden. Deswegen ist der Bundesrat am Ende am Zug.
Der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, um den Namen einmal zu nennen
(Beifall des Abg. Torsten Warnecke (SPD))
– nur weil er so heißt; dafür kann er nichts, aber ich habe ihn einmal genannt –, hat im Juli angekündigt, dass die Bundesregierung ein Ratifizierungsgesetz zu CETA vorlegen werde, mit dem sich sowohl Bundestag als auch Bundesrat befassen sollen. Wir warten also auch an dieser Stelle ab, was die Bundesregierung vorlegt.
Ich will ausdrücklich sagen: Es ist auch noch nicht zu spät, wenn es um inhaltliche Diskussionen geht, zumindest bei den Punkten, die nicht ausschließlich in den Kompetenzbereich der EU fallen und deshalb von einer vorläufigen Anwendung ausgenommen werden.
Deswegen will ich ausdrücklich noch einmal feststellen: Die politische Handlungsfähigkeit der betroffenen Nationalstaaten, auch der Länder und Kommunen, darf nicht eingeschränkt werden. Ich glaube, da sind wir uns einig. Wir dürfen auch nicht ein Freihandelsabkommen haben – das sehe ich bei CETA allerdings nicht –, das in die rechtsstaatliche Souveränität eines Landes eingreift. Bestehendes nationales Recht sollte nicht durch ein solches Abkommen beeinträchtigt oder ausgehöhlt werden.
Wir reden neben der Abschaffung von Zöllen auch von der Abschaffung von sogenannten nichttarifären Handelshemmnissen. Beispielsweise sollen Standards und Normen angeglichen werden. Das ist grundsätzlich völlig richtig, meine sehr verehrten Damen und Herren. Man ist in Deutschland manchmal stolz auf die sogenannte Deutsche Industrienorm. Das war einmal der Versuch, Standards zu schaffen. Ich glaube, dass auch klar sein muss, dass es nicht um eine Angleichung auf dem niedrigsten Niveau gehen soll, wenn es z. B. um das Vorsorgeprinzip bei Umwelt- und Verbraucherschutz, bei Arbeitsschutz oder auch bei Tarifrecht geht.
Aber auch an dieser Stelle: Manchmal ist es so, dass die europäischen Standards nicht die besten sind. Ich stelle immer wieder fest, dass es viele Menschen gibt, auch welche in diesem Haus, auch TTIP-kritische,
(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
die nach Reisen in die USA mit Medikamenten zurückkommen, die sie dort eingekauft haben, bei denen sie sich keine Sorgen machen, sondern eher sagen: Mann, sind die günstig dort.
Wie gesagt, an dieser Stelle kommt es immer darauf an – –
(Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))
– Für die Haschischprodukte? Dafür gibt es noch keinen europäischen Standard, Frau Kollegin Schott.
Noch einmal: Wir haben es mit viel Misstrauen zu tun. Das habe ich genannt. Es ist auch aus Sicht der Landesregierung wichtig, dass es in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Sozialdienstleistungen, Kultur und Wasserversorgung keine Privatisierungsverpflichtungen gibt, die das Regulierungsrecht von Ländern und Kommunen aushöhlen. Um es deutlich zu sagen, das Right to regulate war einer der Punkte, über die gestritten wurde, und zwar zu Recht.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Natürlich ist auch wichtig, was die Klarstellung angeht, dass wir nicht etwas bekommen, was DIE LINKE hier an die Wand malt. Willi van Ooyen hat es genannt, im Antrag ist es auch nachzulesen: sozusagen TTIP durch die Hintertür zu bekommen.
Das ist relativ einfach. Man kann auch klarstellen, dass rechtlich unselbstständige oder sogenannte Briefkastenfirmen über den Umweg Kanada in der EU bestimmte Punkte nicht durchsetzen können.
(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Ich glaube, an dieser Stelle ist völlig klar, dass man das regeln kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Anforderungen haben wir im Landtag wiederholt beraten und beschlossen. Natürlich werden wir, sobald die abgeschlossenen Verhandlungspapiere und das Ratifizierungsgesetz der Bundesregierung vorliegen, diese noch einmal wirtschaftlich, politisch und juristisch prüfen. Das, finde ich, ist eine Selbstverständlichkeit.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Ursula Hammann:
Ich muss Sie an die Redezeit der Fraktionen erinnern, Herr Staatsminister.
Tarek Al-Wazir:
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Den Chancen, die ein Freihandelsabkommen mit Kanada für unser Bundesland bietet, sollten wir keine vorschnelle Absage erteilen. Wir sollten die Potenziale auch für die hessische Wirtschaft ausloten und gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass beispielsweise die öffentliche Daseinsvorsorge, die eine zentrale Voraussetzung für unseren wirtschaftlichen Erfolg darstellt, nicht gefährdet wird. Verbraucher und Umwelt sollen weiterhin mindestens so gut geschützt sein wie derzeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wenn man sich an dieser Stelle in die Tiefe der Verhandlungspapiere hineinarbeitet, dann wird die Debatte uns zwar weiter verfolgen. Ich bitte aber darum, sehr genau zu betrachten, was passiert, nicht euphorisch zu sein, aber auch gleichzeitig nicht Angst zu verbreiten. Ich glaube, beides ist an dieser Stelle nicht angebracht, sondern ruhig und in der Sache zu entscheiden. Genau das werden wir tun. – Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Ursula Hammann:
Vielen Dank, Herr Staatsminister Al-Wazir.

Kontakt