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14.09.2016
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet – Gesetz zur Regelung des Rechts der Hilfen und Unterbringung bei psychischen Krankheiten

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob es ein Meilenstein wird oder nicht, mag im Auge des Betrachters liegen, aber ich glaube, an solchen Tagen spricht man dennoch von historischen Momenten, denn nach 64 Jahren wird das Freiheitsentziehungsgesetz abgelöst durch ein modernes Gesetz für Hilfen für psychisch Kranke. Wir haben 2014 damit begonnen: CDU und GRÜNE haben Fraktionsanhörungen durchgeführt, wir haben unzählige Fachbeiratssitzungen zum Thema gehabt, wir haben öffentliche Anhörungen besucht, auch in der Uniklinik waren wir gemeinsam. In der Tat, nach zwei Jahren, in denen angehört, diskutiert und hart daran gearbeitet worden ist, darf man auch einmal davon sprechen, dass es – aus meiner Sicht – tatsächlich ein Meilenstein ist.
Es ist ein Wendepunkt in der hessischen Psychiatriepolitik, denn es bedeutet, dass wir Abstand nehmen von dem Primat des Zwangs. Wir sagen: „Hilfe vor Zwang“. Wir brauchen tatsächlich einen Geist, der ambulant den Vorrang vor stationär gibt. Wir wollen den Menschen helfen und sie nicht ordnungsrechtlich behandeln. Ich glaube, dieser Geist ist überfällig, und es ist gut, dass dies im Gesetzentwurf vorkommt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Wir wissen durch unzählige Berichterstattungen, wie hochsensibel dieser Bereich sein kann. Frau Schott, wenn ich mich richtig erinnere, haben auch Sie selbst schon damals gesagt, dass es unglaubliche Fälle von ungerechten Vorkommnissen gibt, bei denen Menschen gegen ihren Willen falsch behandelt wurden. Ja, diese Fälle gab es. Ich glaube, solche Fälle wird es auch in Zukunft immer wieder einmal geben, genauso wie es in Krankenhäusern, in der Medizin zu Fehlern kommt. Aber dennoch haben wir uns der Diskussion kritisch gestellt.
Wir haben uns auch die Frage gestellt: Bedeutet das, dass es trotz nachweislichen Fehlern in Einzelfällen, bei freiheitsentziehenden Maßnahmen, nicht dennoch zwingend notwendig ist, den Ärzten, den Krankenhäusern und den Psychiatrien dieses Instrument tatsächlich an die Hand zu geben? Das ist eine sehr sensible Diskussion, weil es um Bürgerrechte geht, um Menschenrechte und um die UN-Behindertenrechtskonvention, die zu Recht die Würde des Menschen betont.
Wir sind zu der Position gekommen, dass es Fälle geben wird, in denen freiheitsentziehende Maßnahmen und Zwangsbehandlungen notwendig sind. Aber wenn dem so ist, dann müssen wir als Politik dafür Sorge tragen, dass sie unter ganz klaren Regeln, größtmöglicher Transparenz und rechtlich klaren Rahmenbedingungen vorgenommen werden und dass sie so kurz wie möglich sind. All das wird jetzt im PsychKG tatsächlich geregelt. Deswegen ist das ein guter Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Der Gesetzentwurf entspricht also den heutigen Ansprüchen an moderne Hilfen.
Es geht natürlich auch um Prävention. Wir wissen, dass Menschen – das wird uns in Anhörungen oft geschildert –, die am Samstagnacht um 3 Uhr große Probleme bekommen, die plötzlich ausklinken, ausrasten oder die sich selbst etwas antun wollen, vorher in der Regel bekannt waren. Sie sind nicht aus heiterem Himmel psychisch erkrankt, sondern haben eine Krankenakte. Deswegen wird es wesentlich darauf ankommen, dass wir frühe Hilfen anbieten können.
Deswegen ist es auch so wichtig, dass dies vor Ort geschieht, dass wir die Sozialpsychiatrischen Dienste stärken und sie auch finanziell so ausstatten, dass sie die Menschen in der Prävention schon früh aufnehmen können und sie dann, wenn sie aus einer geschlossenen Unterbringung kommen, auch in der Nachsorge betreuen. Denn wir wissen – das ist immer wieder so –, dass psychisch Erkrankte auch wieder erkranken können. Wenn sie schon aktenkundig geworden sind, kann man natürlich auf eine Weise nachsorgen, dass sie nicht noch einmal geschlossen untergebracht werden müssen.
All das regeln die Rechte und Möglichkeiten der Sozialpsychiatrischen Dienste vor Ort, der öffentlichen Gesundheitsdienste. Es ist ein wichtiger Meilenstein, wie ich finde. Auch darüber haben wir sehr lange diskutiert: Was dort alles zu tun und zu lassen ist. Ich finde, auch diesbezüglich wurde unter umfassender Abwägung aller Interessen ein guter Weg gefunden.
Ich habe das nie so gesehen, Frau Kollegin Schott oder Frau Dr. Sommer. Ich habe das erst nicht so gesehen, sondern habe als Zeitungsleser natürlich die Probleme der Patienten gesehen. Aber es gibt eine Fülle von Ärzten, Sozialarbeitern, Betreuern, die sagen: Alles, was ihr dort hineinschreibt, atmet auch einen Tick von Misstrauen uns gegenüber.
Sie fragen dann natürlich auch: Warum müsst ihr mir so auf die Finger schauen? Warum muss es einen Patientenfürsprecher geben, einen Ombudsmann, eine Besuchskommission? Warum muss es Schriftverkehr geben, der unzensiert an alle Abgeordneten und Fachstellen gehen kann? – Das atmet doch eigentlich ein Tick Misstrauen unserer Arbeit und unserem Schwur gegenüber, dass wir nur das Beste für den Patienten wollen.
Diese Diskussion war auch nicht einfach. Wir sagen: In der Abwägung der Bürgerrechte brauchen wir, wenn wir der Zwangsbehandlung zustimmen, tatsächlich eine Fülle an Instrumenten, die der Kontrolle dienen. Sie müssen auch dokumentieren, was sie tun. Das ist ein Interessenausgleich, den wir durchschreiten wollen.
Ich kann allen Akteuren und Ärzten in die Augen blicken und sagen: Nein, das ist kein Misstrauensvotum. Es ist die Pflicht der Politik und der öffentlichen Hand, zu sagen: Wenn wir solche Eingriffe vornehmen, dann müssen wir uns der Tatsache stellen, dass wir alles getan haben, damit es nicht zu Missbrauch kommt.
Ich habe es gesagt: Die Patientenrechte werden enorm gestärkt werden. Es wird unabhängige Beschwerdestellen vor Ort geben. Es wird Patientenfürsprecher und eine Besuchskommission geben, die auch mit ehemaligen Betroffenen ausgestattet sein wird.
Ich weiß nicht, ob Sie das aus dem Gesetzentwurf richtig zitiert haben. Ich habe es nur zur Hälfte gehört. Die Besuchskommission soll nach Inkrafttreten des Gesetzes die Einrichtungen in den ersten zwei Jahren mindestens einmal pro Jahr besuchen. Dann kennt man seine Pappenheimer. Das weiß jeder, der schon einmal so eine Kontrollfunktion ausgeübt hat. Deshalb haben wir gesagt: Danach wird es nicht mehr ganz so oft stattfinden müssen. Wenn man die zwei Jahre lang einmal pro Jahr besucht hat, dann weiß man, wer gut und wer nicht gut arbeitet.
Ich finde, das ist in Ordnung. Das werden unabhängige Besuchskommissionen mit einer Fülle an Experten sein. Das werden unabhängige Menschen, Richter und ehemalige Betroffene sein. Auch das ist gut.
Ich finde, es ist auch richtig, dass im Gesetz noch einmal festgehalten werden wird, dass der Schriftverkehr der Patienten nicht zensiert werden darf. Auch das war zu regeln.
Ich komme abschließend zu folgender Position: Wir werden die freiheitsentziehenden Maßnahmen klar und transparent regeln. Wir haben gesagt, dass wir präventive Maßnahmen haben wollen und dass wir wollen, dass ambulant vor stationär geht. Zwangsmaßnahmen sollen nur die Ultima Ratio sein. Wir wollen, dass man sich um die psychisch Kranken auch nachsorgend kümmert. Mit den Berichten und dem Fachbeirat wollen wir zukünftig ein Monitoring der Situation der Psychiatrie in Hessen haben.
Ich glaube, das ist ein wirklich gelungenes Werk. Wir haben uns allergrößte Mühe gegeben, unter Abwägung aller Interessen wirklich mit Augenmaß ein zukunftsweisendes Gesetz zu machen. Wir werden damit einen neuen Geist in die hessische Psyichatriepolitik bekommen. Ich glaube, man kann schon heute von einem Meilenstein sprechen.
Dennoch sind wir natürlich, wie immer, für weitere Verbesserungen offen, wenn sich das aus der Anhörung tatsächlich ergeben sollte. Ich glaube, Hessen kann heute auf den Gesetzentwurf stolz sein. – Ich danke Ihnen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Vizepräsidentin Ursula Hammann:
Herr Kollege Bocklet, vielen Dank.

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