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12.10.2016

Frank Kaufmann: Wer gegen VW klagt, darf Ministerin Puttrich nicht aus der Verantwortung nehmen

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es gerade erlebt: Wenn es schlecht läuft, zelebriere ich die große Aufregung. – Das hat der Kollege Schmitt vorgeführt, und er hat die Klaumauk-Grenze mehrfach überschritten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, uns ist das Thema viel zu wichtig, weswegen ich über das rede, worum es uns wirklich geht, gerade uns GRÜNEN. Ich wiederhole es gerne und mit Nachdruck: Es ist gut und richtig, dass Deutschland den Irrweg der Stromerzeugung durch Atomspaltung endlich verlässt und in Hessen kein AKW mehr in Betrieb ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Damit haben wir eine wesentliche Etappe geschafft, sind aber noch nicht an dem Ziel, das wir GRÜNE uns seit Gründung unserer Partei vorgenommen haben. Deshalb beschäftigen wir uns jetzt zum einen mit der möglichst gefahrlosen Beseitigung der Nachwirkungen der Strahlenden Vergangenheit und zum anderen besonders engagiert mit der energiewirtschaftlichen Zukunft als einer Vollversorgung aus erneuerbaren Energiequellen. Wie gut wir alle zusammen diese zweitgenannte Aufgabe auf unserem Globus insgesamt lösen, das bestimmt das Schicksal von uns allen.

Meine Damen und Herren, leider beschäftigen sich nicht alle politischen Kräfte vorrangig mit diesen Zukunftsthemen. Wie an dem vorliegenden Antrag deutlich zu erkennen ist, beschäftigt sich die SPD lieber mit der Vergangenheit. So sei es eben, also schaue auch ich kurz zurück.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Ich wiederhole mit Nachdruck, dass es ein massiver politischer Fehler der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung war, den 2010 von Rot-Grün im Konsens mit der Atomwirtschaft rechtssicher vereinbarten Atomausstieg ohne Not aufzukündigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit begann das Desaster auch für Hessen. Die anschließende Rücknahme dieser Fehlentscheidung im März 2011 ist und bleibt aus unserer Sicht richtig, auch wenn sie im Hauruckverfahren erfolgte und dabei Fehler passiert sind.

(Zuruf des Abgeordneten Stephan Grüger (SPD))

Wenn es heute um Schadensersatz geht, ist doch zuallererst den Forderungen der Atomindustrie entgegenzutreten. Unsere Regierung kämpft gegen die unverschämten Ansprüche der Energiekonzerne, und eigentlich, so sollte man denken, müssten dann auch alle zusammenstehen – das sage ich insbesondere auch in Richtung der SPD.

(Zurufe von der SPD)

Das ist aber, wie wir gehört haben, leider nicht der Fall.

(Zurufe von der SPD – Glockenzeichen der Präsidentin)

So muss man sich dann doch fragen, für wessen Interessen die SPD-Fraktion in dieser Debatte eigentlich eintritt und welche Ziele sie mit ihrem Antrag verfolgt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Lebhafte Zurufe von der SPD)

Ich bitte um Nachsicht,

(Zuruf des Abgeordneten Günter Rudolph (SPD))

aber ich bin schon verwirrt, wenn Sie Schadenersatz gegenüber VW geltend machen wollen; wir haben zwar ein paar Bemerkungen von Herrn Schmitt gehört, dass er das richtig findet, aber im Text des Antrags findet sich dazu kein einziges Wort. Wie ist denn nun die Haltung der SPD-Fraktion? Wenn Sie das zum Thema machen, müssten Sie doch Genaueres darüber sagen können, wie Ihre Haltung zu den betrügerischen Handlungen des Autokonzerns VW gegenüber seinen Kunden und der Öffentlichkeit ist.

(Zurufe von der SPD)

Diese Frage ist doch spannend, gerade wenn wir – –

(Zuruf des Abgeordneten Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Weitere Zurufe von der SPD)

Gerade dann, wenn wir nach Niedersachsen schauen, wird die Frage noch spannender. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, wie sehen Sie eigentlich diesen Punkt, den Sie selbst auf die Tagesordnung gesetzt haben? Sie finden es richtig, dass Hessen Schadenersatz fordert. Ihr Parteifreund, der Ministerpräsident in Hannover, der zugleich Aufsichtsratschef von VW ist, verspricht öffentlich zwar Aufklärung, aber im Monatsrhythmus kommen neue Erkenntnisse über weitere Betrugsmanöver ans Licht, und von Schadenersatzforderungen ist in Niedersachsen überhaupt keine Rede. Insoweit sollten Sie nicht mit zweierlei oder mehrerlei Maß messen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf von der SPD)

Zum Thema VW stellen sich spannende Fragen, aus meiner Sicht deutlich spannendere als zu Biblis, denn zu Biblis hatten wir bereits einen Untersuchungsausschuss.

(Zuruf des Abgeordneten Gerhard Merz (SPD))

Wir haben am 22. Juni dieses Jahres – das ist noch nicht lange her – im Plenum ausgiebig über Fragen im Zusammenhang mit der Stilllegung von Biblis A und Biblis B und dem Abschlussbericht und eigentlich abschließend diskutiert. Deswegen traten in den Reden der Kollegen Schmitt und Rock keine neuen Fakten mehr zutage.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

– Sehr richtig, Kollege Schmitt. Schon in der damaligen Debatte haben Sie exakt dasselbe gefordert, was jetzt im Antrag steht, nämlich Schadenersatzforderungen zu erheben.

(Zuruf des Abgeordneten Norbert Schmitt (SPD))

Schon damals wurde dieser Forderung nicht gefolgt. Warum Sie das jetzt wieder beantragen, kann ich mir nur mit dem pädagogischen Prinzip der Wiederholung erklären. Vielleicht bescheren Sie uns diese Drucksache zur neuerlichen Debatte aber auch nach dem alten VW-Käfer-Prinzip – das ist vielleicht die Verbindung –: „… und läuft und läuft, und läuft“.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der SPD)

Der Untersuchungsausschuss zum Thema Biblis hat – übrigens im Einvernehmen aller Beteiligten – festgestellt, dass die Entscheidung, auf eine Anhörung von RWE zu verzichten, von Frau Ministerin Puttrich persönlich getroffen wurde. Das steht im Abschlussbericht und ist von mir in der angesprochenen Debatte ausführlich dargestellt worden. In diesem Punkt der Antragsbegründung hat die SPD-Fraktion recht. Das Argument ist aber überhaupt nicht neu. Schon der Folgesatz in Ihrer Begründung, dass dies aus rein politischen Gründen geschehen sei, enthält eine Einschätzung.

(Zuruf des Abgeordneten Norbert Schmitt (SPD))

Eine solche Einschätzung mag man treffen, aber ich ergänze: Das kann doch keinen Vorwurf enthalten. Es ist selbstverständlich, dass bei der Entscheidung einer Ministerin zumindest auch politische Gründe eine Rolle spielen. Schließlich ist es doch ihre Aufgabe, den politischen Willen umzusetzen.

(Zuruf des Abgeordneten Norbert Schmitt (SPD))

Dass es damals in der Bevölkerung, aufgerüttelt durch die Berichte aus Japan, und in den Parteien allgemeiner und allseitiger politischer Wille gewesen ist, rasch aus der Atomenergie auszusteigen, kann doch nicht ernsthaft bestritten werden.

(Zuruf des Abgeordneten Norbert Schmitt (SPD))

Ich hoffe übrigens – der Kollege Schmitt gibt mir da sehr zu denken –, dass das heute bei allen Parteien immer noch so ist. Herr Kollege Schmitt, bestreiten Sie das?

(Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, kommen wir noch zu den Fehlern, die bei der Umsetzung des politischen Willens gemacht wurden. Auch das ist im Ergebnis bekannt. Durch die rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs und ihre Bestätigung durch das Bundesverwaltungsgericht wissen wir, dass sowohl der Verzicht auf eine Anhörung als auch die materielle Begründung der Stilllegung falsch waren und die Verfügung somit rechtswidrig war. Das steht alles, wie Sie wissen, unmissverständlich auch im Bericht des Untersuchungsausschusses.

(Zuruf des Abgeordneten Günter Rudolph (SPD))

Da die Vorgabe für die materielle Begründung der Stilllegungsverfügung vom BMU aus Berlin kam, konzentriere ich mich jetzt auf die Zuständigkeit des Landes – das haben auch Sie getan –, auf den Aspekt der formellen Rechtswidrigkeit durch die unterlassene Anhörung aufgrund der Entscheidung der Umweltministerin.

Wie wir aus den Ermittlungen des UNA wissen und ebenfalls im Bericht nachlesen können, wurde die Frage der Durchführung einer Anhörung lange und intensiv diskutiert. Im Ergebnis wurde sie so wie in allen anderen betroffenen Ländern entschieden, nämlich auf eine Anhörung zu verzichten. Dazu wurde sogar im Bescheid selbst – das wurde, glaube ich, schon erwähnt – eine kurze Begründung eingefügt. Es war also – das ist an der Stelle doch wichtig – eine begründete Entscheidung zwischen zwei unterschiedlichen Rechtsauffassungen, von denen am Ende die falsche gewählt wurde. Aber das wissen wir erst seit dem Abschluss der gerichtlichen Nachprüfung.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Walter Arnold (CDU))

Meine Damen und Herren, um die Voraussetzung ihres Antrags auf Schadenersatz zu erfüllen – auch das ist schon dargestellt worden –, muss die SPD-Fraktion auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit plädieren. Das hat der Kollege Schmitt zwar deutlich getan – aber leider ohne hinreichende Begründung, lediglich als Unterstellung,

(Zuruf des Abgeordneten Norbert Schmitt (SPD))

denn aus den im UNA ermittelten Abläufen lässt sich das nicht schließen. Deshalb frage ich, wie die SPD-Fraktion hier auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit kommt. Das müssten Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, doch noch erklären.

(Zuruf des Abgeordneten Timon Gremmels (SPD))

Ich habe den Eindruck, Sie verwechseln hier den Inhalt der Entscheidung, der später vom Gericht als falsch beurteilt wurde, mit der Vorbereitung der Entscheidung, die keineswegs davon gekennzeichnet war, dass nahe liegende Überlegungen nicht angestellt wurden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Die Frage des Verzichts auf eine Anhörung wurde jedenfalls diskutiert. Es wurde abgewogen und am Ende die Entscheidung getroffen, die auch in den anderen Bundesländern getroffen wurde.

(Zurufe von der SPD)

Was daran vorsätzliches Handeln oder grobe Fahrlässigkeit sein soll, müssten Sie noch erläutern. Der UNA konnte dies jedenfalls nicht feststellen.

(Lachen der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) – Zurufe von der SPD)

In Ihrem Antrag fehlt auch eine nachvollziehbare Begründung. Schon deshalb werden wir den Antrag ablehnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, ich will noch einmal festhalten: Die Vorgänge in Hessen im März 2011 infolge der Katastrophe von Fukushima sind ganz gewiss kein vorbildhaftes Beispiel hoher Regierungskunst. Dies ist und bleibt aber eine politische Bewertung und kein justiziabler Tatbestand.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Grumbach, zwei kurze Bemerkungen.

Erstens. Ich bin beruhigt, dass ich Ihren Worten entnehmen konnte, dass Sie weiterhin zum Atomausstieg und gegen die unverschämten Ansprüche der Atomindustrie stehen. Das finde ich gut.

(Lebhafte Zurufe von der SPD)

Zweitens. Wenn innerhalb der vom Rechtsstaat geschaffenen Instrumente – in dem Fall ist es das Verwaltungsverfahrensgesetz – der Verzicht auf eine Anhörung möglich ist, dann kann es an der Stelle nicht um die Frage gehen, die Sie gerade angesprochen haben, denn es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Rechtsstaat und Demokratie untrennbar zusammengehören.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)