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12.10.2016
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner: 1. Lesung zur Änderung des Hessischen Schulgesetzes

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe die große Freude, heute den gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Novellierung des Schulgesetzes in den Landtag einzubringen. Mit diesem Gesetzentwurf tragen wir dem Rechnung, was wir seit Beginn der Legislaturperiode zum Schwerpunkt der Bildungspolitik gemacht haben: einem Mehr an Bildungs- und Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir setzen mit diesem Gesetzentwurf auf drei Prinzipien. Das erste Prinzip, das diese Koalition leitet, ist der Respekt vor dem Elternwillen. Wir wissen es nicht besser als die Eltern, die Entscheidungen für ihre Kinder treffen. Wir wollen für die Kinder die bestmöglichen Fördervoraussetzungen an den Schulen schaffen, und wir wollen den Eltern die Möglichkeit geben, sich für das Bildungsangebot zu entscheiden, das aus ihrer Sicht für ihren Sohn oder ihre Tochter am besten ist. Das ist für uns Respekt vor dem Elternwillen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Zweitens lassen wir uns von dem Prinzip „Ermöglichen statt Verordnen“ leiten. Wir wollen unseren Schulen neue pädagogische Möglichkeiten einräumen, wir wollen ihnen Gestaltungsfreiheit geben, und wir geben ihnen eine gute Ausstattung, um ihre Arbeit zu erledigen. Aber wir schreiben ihnen eben nicht bis ins Detail vor, wie sie ihre Arbeit erledigen. Wir wissen nicht, welcher der beste Weg ist, um zu guten pädagogischen Konzepten zu kommen, sondern wir setzen auf „Ermöglichen statt Verordnen“.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Drittens setzen wir auf Evolution statt Revolution.

(Zwischenruf des Abgeordneten Hermann Schaus (DIE LINKE))

Wir wollen unser Bildungswesen mit Augenmaß weiterentwickeln. Aber wir wollen mit dem Fehler aufhören, der die hessische Bildungspolitik in früheren Jahrzehnten so oft ausgezeichnet hat: Immer neue, angeblich revolutionäre bildungspolitische Ideen sind in den Schulen ausgebracht worden, und dort hat man eigentlich nur gesagt: Um Gottes willen, könnt ihr uns nicht einen Moment in Ruhe lassen? Könnt ihr nicht uns entscheiden lassen, was das bessere pädagogische Konzept ist? – Deshalb setzen wir auf eine evolutionäre Weiterentwicklung statt auf immer neue, vermeintlich revolutionäre bildungspolitische Ideen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Lassen Sie mich auf einzelne Regelungen dieses Gesetzentwurfs eingehen. Wir regeln die ganztätig arbeitende Schule neu. Im Hessischen Schulgesetz wird erstmals der Pakt für den Nachmittag aufgenommen – das große Projekt dieser Legislaturperiode, mit dem wir es allen Grundschulen ermöglichen wollen, ein Bildungs- und Betreuungsangebot von 7:30 bis 17 Uhr zu machen. Außerdem wird im Hessischen Schulgesetz erstmals auch die rhythmisierte Ganztagsschule in gebundener und in teilgebundener Form geregelt.

Beides kommt in diesem Entwurf für das Schulgesetz neu heraus; denn die Politik der Koalition ist auch hier: Wir wissen es nicht besser als die Eltern, und wir wissen es nicht besser als die Schulen, sondern wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, sich für den Pakt für den Nachmittag oder die Form der rhythmisierten Ganztagsschule zu entscheiden – ganz so, wie es vor Ort passt und wie es vor Ort gewünscht wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Bei der Inklusion, also dem gemeinsamen Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen sowie von Schülerinnen und Schülern ohne Behinderungen, wollen wir, dass kein Elternwunsch auf inklusive Beschulung mehr abschlägig beschieden wird. Dafür nehmen wir in diesem Schulgesetz einige Änderungen vor.

Wir verankern die inklusiven Schulbündnisse. Der Kerngedanke der inklusiven Schulbündnisse ist, dass es bei der inklusiven Beschulung keinen definierten Ressourcenvorbehalt mehr gibt, sondern dass alle sonderpädagogischen Ressourcen, die derzeit im hessischen Schulsystem zur Verfügung stehen, je nachdem eingesetzt werden können, für welchen Förderort sich die Eltern entschieden haben, entweder inklusiv oder an der Förderschule. Auch hier gilt: Wir wissen es nicht besser als die Eltern, aber wir schaffen endlich die Möglichkeit, Inklusion in Hessen besser umzusetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir setzen auf die Schulvielfalt. Dazu gehört auch eine Stärkung der integrierten Gesamtschulen, die künftig die Möglichkeit erhalten, komplett binnendifferenziert zu unterrichten, also auf eine Differenzierung nach Kursen zu verzichten. In anderen Bundesländern wird darüber groß und ideologisch gestritten. In anderen Bundesländern haben diese Schulformen neue, mit großem Trara verkündete Namen, z. B. „Sekundarschule“ oder „Stadtteilschule“. In Hessen setzen wir auf eine Stärkung unserer integrierten Gesamtschulen; denn eine Schulform, die ein längeres gemeinsames Lernen gewährleistet, haben wir schon, und sie wollen wir mit diesen Maßnahmen stärken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Die Eltern wählen für ihre Kinder nicht mehr die eigenständigen Hauptschulen. Auch hier vollziehen wir mit dem Schulgesetz die schulische Wirklichkeit nach, indem wir sagen: Eigenständige Hauptschulen soll es in Hessen künftig nicht mehr geben.

Auch in weiteren Bereichen, z. B. bei dem Übergang von der Schule in den Beruf, dem Thema „Tragen eines Kopftuchs im Unterricht“ und der Sexualerziehung, nehmen wir eine Reihe von Veränderungen vor. Meine Redezeit lässt es leider nicht zu, dass ich das in allen Details ausbreite; das können wir in der Ausschusssitzung machen.

Aber ich will noch ein oder zwei Anmerkungen zu der Reaktion der Opposition auf die Novelle dieses Schulgesetzes machen. Was wird gesagt? Es war der Vorwurf zu hören, dass im Schulgesetz nichts über die Ressourcen steht. Meine Damen und Herren von der Opposition, das stimmt. So ist das bei einem Gesetz. Ein Gesetz bestimmt die Rahmenbedingungen, und danach legen wir die Ressourcen fest.

Mit diesen Ressourcen können wir uns doch sehen lassen: In den Schwerpunktbereichen dieser Koalition, dem Ganztagsschulausbau, der Inklusion, der Lehrerweisung nach dem Sozialindex und der Deutschförderung für Migranten, haben wir seit Beginn der Legislaturperiode 2.300 Stellen zusätzlich zur Verfügung gestellt. Ja, auch die Ressourcen haben wir geregelt – aber nicht im Schulgesetz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Dann höre ich, es müssten mit diesem Schulgesetz Großreformen verwirklicht werden. Es sei alles nicht ausreichend – höher, schneller, weiter –, und man benötigte ganz andere Maßnahmen. Ich habe nur bisher keinen einzigen konkreten Vorschlag für solche Maßnahmen gehört. Ich bin jetzt sehr gespannt auf die Debatte, nämlich darauf – die Opposition sagt, das alles reiche nicht aus –, wie die Vorschläge der Opposition aussehen.

Vielleicht sagen Sie endlich einmal, was Sie wollen. Dann sagen Sie doch, welche Schulform Sie abschaffen wollen. Dann sagen Sie doch, wie Sie die Inklusion anders umsetzen wollen. Dann haben wir etwas, worüber wir diskutieren und streiten können. Dann sagen Sie doch, welchen grundsätzlich anderen Weg Sie bei dem Thema G 8/G 9 gehen wollen. Dann sagen Sie doch, dass Sie jetzt auch den wenigen Schulen, die noch G 8 anbieten, vorschreiben müssen, zu G 9 zurückzukehren. Dann sagen Sie den Schulen doch, was Sie vorhaben. Meine Damen und Herren, immer nur „höher, schneller, weiter“ zu sagen, ohne einen konkreten Vorschlag zu machen, ist ein bisschen wenig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich weiß, warum die Opposition das nicht macht und es auch in dieser Debatte nicht machen wird: weil sie wissen, dass sie, wenn sie ihre Vorschläge aussprechen würden, die Schulen dagegen wären. Unsere Schulen wollen nämlich keine neue Zwangsbeglückung, und sie wollen keine neuen, vermeintlich revolutionären bildungspolitischen Ideen, sondern sie wollen Verlässlichkeit, Perspektiven und eine vernünftige Ausstattung. Genau das setzen wir mit dem Schulgesetz und unserer Bildungspolitik insgesamt um: mehr Bildungs- und Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

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