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23.06.2016

Karin Müller: Flughafen Kassel-Calden

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es fällt schwer, jetzt so nahtlos weiterzumachen.
Kassel-Calden ist zwar auch ein unerfreuliches Thema, aber nicht so ein unerfreuliches Thema. Es ist ein Dauerbrenner im Haus, so richtig freuen können wir uns über dieses Thema nicht. Ich rede zwar gerne über Nordhessen, aber lieber würde ich über Erfolgsgeschichten reden. Dass Kassel-Calden dazugehört, darüber sind wir uns einig, das kann man nicht behaupten.
Die einen werden es mehr bedauern als die anderen. Wir haben es immer befürchtet. Wir haben zu Beginn der Legislaturperiode gesagt, bzw. der Ministerpräsident hat es so formuliert: Wir gehen mit der Haltung in diese Koalition, dass der andere auch einmal recht haben könnte. – So sind wir daran gegangen. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag ein Verfahren zum Umgang mit Kassel-Calden verabredet, Dr. Arnold hat es auch dargestellt, trotz ursprünglich unterschiedlicher Auffassung in der Koalition.
Wir sind uns darüber einig, dass der Defizitausgleich jährlich sinken muss. Das tut er zumindest bisher. Nächstes Jahr sollte auch noch einmal ein gutes Jahr werden. Wenn die geplanten Flüge nach Athen im Zuge der Documenta stattfinden, wird das zur Auslastung beitragen. Was danach kommt, können wir zum heutigen Zeitpunkt noch nicht sagen.
Wir reden aber heute über Kassel-Calden aufgrund des umfangreichen und sehr spannend zu lesenden vertraulichen Berichts des Rechnungshofs. Dieser wurde auch schon im Haushaltsausschuss und im Wirtschaftsausschuss beraten. Die SPD-Fraktion hat dazu Fragen an den Wirtschaftsminister und an den Finanzminister gestellt, die alle umfassend beantwortet sind. Es ist aber längst nicht alles aufgeklärt worden.
Der Rechnungshof hat Vergabeverstöße festgestellt, die wir jetzt aufklären müssen und die dann auch geahndet werden müssen. Das ist jetzt unsere Aufgabe, und dabei dürfen wir keine Fragen offen lassen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ob die Höhe der Kosten durch eine andere Vergabe hätte gesenkt werden können, das muss im Zuge der Untersuchung geklärt werden. Natürlich muss auch geklärt werden, ob die Vergabe nach bestem Wissen und Gewissen erfolgt ist. Dazu können wir aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts sagen.
Der Rechnungshof hat in sechs Fällen Vergabeverstöße festgestellt. Das Wirtschaftsministerium hat diese Fälle vorab geprüft und in drei Fällen die Zuwendungsbescheide teilweise widerrufen. Bei den anderen drei Vergabeverstößen teilt das Wirtschaftsministerium die Auffassung des Rechnungshofs zurzeit nicht, zumindest was die Schwere der Vergabeverstöße angeht.
Wir gehen davon aus, dass alles sorgfältig und umfassend geprüft wird, und der Landtag über das Ergebnis informiert wird.
Wir hatten bereits im Jahr 2002 ein Gutachten von Herrn Prof. Bossel erstellen lassen, der bereits damals von mindestens 250 Millionen Euro sprach, als hier im Haus noch ganz andere Zahlen genannt worden sind. Auch das ist heute bereits erwähnt worden. Selbst die 151 Millionen Euro, die lange im Raum standen, waren bereits ein Vielfaches der ursprünglich veranschlagten Kosten.
Im Jahr 2010 wurden daraus in kürzester Zeit 225 Millionen Euro. Ab dem Haushaltsjahr 2012 waren es 271 Millionen Euro und jetzt sind wir bei 282 Millionen Euro. Darüber wurde der Landtag 2014 informiert.
(Zuruf von der SPD)
Was ich überhaupt nicht verstehe, und dazu höre ich schon einen Kommentar, sind die Gedächtnislücken der Sozialdemokraten.
(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
– Es gab einen Berichtsantrag Ihrer Fraktion, der war auch presseöffentlich. Es gibt bei Ihnen aber nicht nur in der Frage der 282 Millionen Euro Gedächtnislücken. Daran hätte man sich erinnern können, Sie tun es scheinbar nicht, bevor man den Vorwurf erhebt, man habe nichts gewusst.
Was ich aber überhaupt nicht verstehe, ist, dass Sie sich hierhin stellen und nach einem Konzept für den Flughafen Kassel-Calden schreien, wo im Jahr 2010 der damalige Finanzminister Weimar in Kassel war und alle gefragt hat, ob sie aufgrund der Kostensteigerungen von 151 Millionen auf 225 Millionen Euro diesen Flughafen gebaut haben wollten. Wer hat als Erstes hier geschrien? Das waren die Sozialdemokraten in Kassel-Stadt und Land.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP –Zuruf des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))
Mein Gedächtnis funktioniert sehr gut.
(Anhaltende Zurufe von der SPD)

Präsident Norbert Kartmann:

Meine Damen und Herren, bitte.
(Anhaltende Zurufe von der SPD)
Das Wort hat allein Frau Kollegin Müller.

Karin Müller:

– Scheinbar habe ich Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Nancy Faeser und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
– Was ist denn daran eine Unverschämtheit? Es war so.
(Anhaltende Zurufe von der SPD – Glockenzeichen des Präsidenten)
Wir haben aus bekannten Gründen diesen Bedarf angezweifelt. Im Gegensatz zu anderen.
(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))
Es gibt zahlreiche Flughäfen in der Nähe: Erfurt, Paderborn, Frankfurt, Hannover. Aber auch das hilft im Nachhinein alles nichts mehr. Der Flughafen ist gebaut. Wir haben in der Koalition verabredet, dass der Flughafen im Jahr 2017 evaluiert wird. Bis dahin bekommt er eine Chance, sich zu entwickeln.
Das ist nicht mehr viel Zeit. Die Negativschlagzeilen und der fehlende Winterflugplan tragen sicherlich nicht dazu bei, das nötige Vertrauen zu entwickeln. Wir hoffen, dass Kassel-Calden jetzt aus den Negativschlagzeilen herauskommt. Aber jetzt eine Entscheidung zu treffen, wie DIE LINKE das fordert, wäre nicht nur in Anbetracht der hohen Investitionssummen verfrüht.
Ich fasse zusammen: Wir arbeiten den Koalitionsvertrag ab. Der Flughafen und seine Entwicklungsperspektiven werden im nächsten Jahr evaluiert. Danach ist die Entscheidung offen, wie es weitergeht.
Die Vergabeverstöße werden bewertet, eventuelle Rückforderungen werden gestellt. Alles muss vollständig aufgeklärt werden.
Gleichzeitig begrüßen wir die Initiative des Finanzministeriums, bei zukünftigen Großprojekten gemäß den Ausführungen des Rechnungshofs größtmögliche Transparenz und Akzeptanz herzustellen. Auch die intensivere Einbindung des Landtags ist zu begrüßen. Das Problem haben wir nicht nur bei Kassel-Calden, sondern auch bei vielen anderen großen Infrastrukturprojekten. Wenn wir die Bemerkungen des Rechnungshofs lesen, ist es leider zu spät. Deswegen freuen wir uns, wenn sich die Auskunftsfreudigkeit der Landesregierung in dieser Beziehung erhöht.
Gleichzeitig geht ein Appell an uns alle zu mehr Ehrlichkeit und Mut, nämlich in den Entscheidungen.
(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
Nicht jedes Projekt, das einmal für gut befunden wurde, muss dann auch durchgezogen werden, egal, ob es dafür einen Bedarf gibt oder nicht, nur um das Gesicht nicht zu verlieren, oder der oder die Erste sein zu wollen, der nicht mehr dazu steht.
Unser Maßstab muss sein: Gibt es einen Bedarf, nutzt es der Allgemeinheit und ist es zu finanzieren? – Es ist auch keine Schande, die Meinung einmal zu ändern.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der SPD)
Lassen Sie uns in diesem Sinne nach vorne blicken und Calden ein gutes Jahr wünschen. Nach erfolgter Evaluierung entscheiden wir, wie es weitergeht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)