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10.03.2016
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Fluglärm wirksam reduzieren

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, es besteht beim Fluglärmschutz dringender rechtlicher Handlungsbedarf auf Bundesebene, und zwar nicht erst seit heute und auch nicht erst seit Mai, sondern schon länger.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, auf den im Antrag Bezug genommen wird, hat bereits in seinem Gutachten aus dem Jahr 2014 eine umfassende Defizitanalyse vorgelegt. Sie belegt, das sehe ich auch so, dass zentrale Aspekte im Bundesrecht schlicht ungeregelt bleiben bzw. die seit Jahrzehnten bestehenden Regelungen nicht mehr sachgerecht sind.
Wir sind gespannt, ob die Bundesregierung daraus und aus dem, was sie im Koalitionsvertrag festgelegt hat, Kenntnisse ziehen und tätig werden wird. Deswegen war es auch völlig richtig, dass die Kolleginnen und Kollegen der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den vorliegenden Antrag im Bundestag eingebracht haben, um Druck zu machen und zwar konstruktiv Druck zu machen, indem sie eigene Vorschläge entwickelt haben und nicht nur die Vorschläge von anderen abgeschrieben haben, so wie die Fraktion DIE LINKE im Hessischen Landtag.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Also: Ja, es besteht Handlungsbedarf – auch rechtlicher Handlungsbedarf – auf Bundesebene.
Ich will Ihnen aber ausdrücklich sagen, dass wir weder als Landesregierung noch als Hessischer Landtag die Defizite auf Bundesebene vollständig kompensieren können. Aber wir treten natürlich im Bundesrat dafür ein, mit konkreten Initiativen die bestehenden Defizite zu beheben. Genau das ist übrigens der Grund, warum wir gemeinsam mit unseren Nachbarbundesländern Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg im November eine Initiative zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes in den Bundesrat eingebracht haben. Das ist ein überparteilicher Vorstoß von drei Bundesländern, der dem Lärmschutz mehr Gewicht beimessen soll, der frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planungs- und Änderungsverfahren von Flugrouten vorsieht. Ausdrücklich sei gesagt – aus meiner Sicht ist das ganz klar –, dass es Verantwortung der Politik ist, sicherzustellen, dass Verkehr so lärmarm wie möglich abgewickelt wird. Das darf in Bund und Ländern nicht weiter auf die Gerichte abgewälzt werden.
Aber bei einer Bundesratsinitiative – der Kollege Kaufmann hat es gesagt – ist nicht automatisch eine Mehrheit vorhanden.
(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
– Achtung, aber Sie verdrängen gerne, dass Sie in zwei Bundesländern mitregieren. Ich sage jetzt nicht, wie die sich in den Bundesratsausschüssen verhalten haben; denn darüber spricht man nicht.
(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
– Ja, aber ich sage es einmal so: Ich hätte mir durchaus mehr Unterstützung gewünscht, und ich hoffe, dass es mir noch gelingt, diese Unterstützung im weiteren Verfahren zu bekommen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Im Übrigen – wenn ich es einmal so sagen darf, dann ist das vielleicht etwas unspezifischer – gibt es 14 Bundesländer, in denen die SPD an der Landesregierung beteiligt ist, und auf der Verkehrsministerkonferenz gibt es sogar eine deutliche Mehrheit sozialdemokratischer Verkehrsminister. Auch da hätte ich mir mehr Unterstützung gewünscht, Herr Kollege Weiß.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich arbeite aber weiter überparteilich daran, dass wir genau diese Mehrheiten hinbekommen, um Fortschritte zu erzielen.
Aber auch, wenn es in Einzelfragen solche Bundesratsinitiativen gibt, sei hinzugefügt, dass wir nicht die Bundesregierung sind, wir sind auch nicht der Deutsche Bundestag. Es geht bei Ihnen ausdrücklich nur um bundesgesetzliche Regelungen, und ehrlich gesagt müssten Sie sich einmal die Frage gefallen lassen, was denn Ihre konkreten Vorschläge und vor allem die Beschreibung des Weges ausmacht, wie man diese Ziele erreicht – aber dahin gehend ist Fehlanzeige. Insofern deutet das eher darauf hin, dass hier wenig Kreativität vorhanden ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich glaube, dass es am Ende, wenn man einfach nur Anträge von anderen abschreibt und in anderen Parlamenten einbringt, keine Politik zum Wohle der Betroffenen ist, sondern eher politischer Klamauk.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Deswegen komme ich zu dem Punkt, wo wir konkret handeln und wo wir konkret dafür sorgen wollen, dass die Situation hier rund um den Frankfurter Flughafen besser wird.
Wir haben eine Stabsstelle für Fluglärmschutz im Ministerium eingerichtet, die alle Maßnahmen koordinieren soll und sehr konsequent dabei ist, jede Handlungsmöglichkeit, die wir auf unseren Ebenen haben, erstens zu identifizieren und zweitens dafür zu sorgen, dass wir sie auch wahrnehmen können.
Herr Kollege Weiß, Sie haben es überhaupt nicht wahrgenommen – das macht mich wieder fassungslos –, aber wir haben zum 1. Januar 2015 eine neue Entgeltordnung am Frankfurter Flughafen genehmigt, die auch eine weitere Spreizung der Lärmentgelte vorgesehen hat.
(Zuruf des Abg. Marius Weiß (SPD))
Wir haben die Forschungsförderung aufgestockt, weil wir sicher sind, dass wir in Zusammenarbeit mit dem DLR beim aktiven Schallschutz auch an der Technik der Flugzeuge etwas verändern müssen, und das wollen wir auch als Landesregierung anstoßen.
Wir haben im Probebetrieb den nördlichen Gegenanflug um 1.000 Fuß angehoben; das war sehr erfolgreich, ich habe übrigens auch Rückmeldung erhalten, dass diese Maßnahme auch durchaus sehr wahrgenommen und angenommen wird. Wir haben den angehobenen Gleitwinkel auf der Nordwestbahn von 3° auf 3,2° vom Probebetrieb in den Regelbetrieb überführt.
Ich weiß ja, dass Sie, obwohl Sie – der Kollege Kaufmann hat es angesprochen – als einzige Landtagspartei das Wort „Lärmpausen“ in ihrem Programm haben, sich weiterhin darüber lustig machen – bitte sehr. Aber wenn man ein bisschen zurückblickt, sieht man: Am Anfang, als wir die Lärmpausen in unseren Koalitionsvertrag hineingeschrieben haben, hat die SPD-Fraktion gesagt, das würden der Flughafen und die Luftverkehrswirtschaft niemals mitmachen, Herr Kollege Weiß. – Wir haben festgestellt: Sie haben mitgemacht.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Marius Weiß (SPD))
Dann haben Sie gesagt, das funktioniere nur bei einer Windrichtung. – Wir stellen fest: In 2015 herrschte an 75 % aller Tage Westwind. An drei Vierteln aller Tage kam der Westbetrieb zur Anwendung, und dementsprechend haben dort auch die Lärmpausen eine Rolle gespielt.
Ferner haben Sie gesagt, das funktioniere nur bei perfekten Wetterbedingungen und würde niemals angewandt werden. – Wir haben nach Stand Ende Februar seit Beginn des Probebetriebs eine Umsetzungsquote der Lärmpause abends von 91 Prozent und morgens von 96 Prozent.
Sie haben gesagt, das sei nur ein Nullsummenspiel. – An dieser Stelle will ich die Fluglärmkommission einmal von gestern zitieren, in der übrigens ziemlich viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sitzen, Herr Kollege Weiß, jedenfalls mehr als GRÜNE und Christdemokraten. In der Presseerklärung der Fluglärmkommission heißt es:
Die vergleichende Auswertung der Lärm-Messstationen in den Nachtrandstunden vor und nach Einführung der Lärmpausen zeigte überwiegend die erwarteten Effekte. So konnten große Verbesserungen von bis zu 10 dB(A) unter der Anfluggrundlinie der Landebahn-Nordwest (Frankfurter Süden und Offenbacher Norden) aufgrund der Verlagerung der Anflüge zwischen 22-23 Uhr auf die Südbahn nachgewiesen werden. Auch in Neu-Isenburg überwogen die Entlastungen in der Zeit zwischen 5-6 Uhr durch die Schließung der Südbahn die aufgetretenen zusätzlichen Belastungen in der nächtlichen Abendrandstunde deutlich und im Süden Offenbachs hielten sich die Verbesserungen und die Verschlechterungen insgesamt die Waage. Die positiven Effekte bei den Abflügen
– „Abflüge“, Herr Kollege Weiß –
im Süden und Südwesten des Flughafens waren demgegenüber zwar viel geringer, aber gleichwohl […] immer noch erkennbar.
Um es Ihnen einmal konkret zu sagen: In Neu-Isenburg haben wir abends eine zusätzliche Belastung zwischen 2,5 und 4,5 dB, aber morgens eine Entlastung von 6 dB. Im Frankfurter Süden bzw. im Offenbacher Norden haben wir abends eine Entlastung von 10 dB. Sie haben hier gerade gesagt, das wieder abschaffen zu wollen. Gehen Sie nach Sachsenhausen, in den Offenbacher Norden, gehen Sie in die Offenbacher Innenstadt, gehen Sie nach Neu-Isenburg und sagen Sie den Leuten, dass Sie diese Entlastung wieder abschaffen wollen. Dazu fordere ich Sie hiermit ausdrücklich auf; machen Sie das.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Marius Weiß (SPD))
Natürlich – das ist der letzte Punkt, an dem Sie sich festhalten – gibt es die Behauptung, die Leute hätten gar nichts gemerkt. Ich will Ihnen einmal sagen, wie die Frage lautet, die wir in der repräsentativen Umfrage gestellt haben. Wir haben gefragt „Haben die Lärmpausen die Alltagsleben verändert?“ Im Nachhinein will ich Ihnen sagen, dass ich diese Frageformulierung nicht selbst vorgenommen habe. Hätte ich sie vorher gesehen, hätte ich wohl gedacht „Na ja, was sollen die Leute denn darauf antworten?“ Ich meine: Verändern die Reden des Abg. Weiß das Alltagsleben der Menschen in Hessen? – Da haben Sie wahrscheinlich hundertprozentige Nicht-wahrgenommen-Quoten.
(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))
Also, die Frage lautete, ob die Lärmpausen das Alltagsleben verändert hätten. Darauf haben 90 Prozent mit Nein geantwortet. Die nächste Frage lautete „Wie bewerten Sie das Lärmpausenmodell?“ Das bezog sich auf die Betroffenen. 43,1 Prozent antworteten mit „eher positiv“, 33,3 Prozent „eher neutral“. Die nächste Frage lautete „Wollen Sie, dass diese Lärmpausen weitergeführt werden?“ Da sagen 71 Prozrnt der Betroffenen „Ja, das wollen wir“.
 
Vizepräsidentin Heike Habermann:
Herr Staatsminister, die Redezeit der Fraktionen ist erreicht.
Tarek Al-Wazir:
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wenn Sie sich jetzt an der Frage festhalten, dass 90 Prozent gesagt haben, es habe ihr Alltagsleben nicht verändert – bitte sehr, das ist Ihr gutes Recht. Aber auch an diesem Punkt sage ich: Wir gehen den konsequenten Weg weiter, aktive Lärmschutzmaßnahmen umzusetzen, und dazu gehören auch Veränderungen im Flugbetrieb wie auch Veränderungen der Bahnbelegung.
Ich bin mir sicher, dass die Menschen, wenn sie am Ende vor die Wahl gestellt werden – wollen Sie, dass man auf diesem mühseligen Weg weitergeht, oder wollen Sie, dass Marius Weiß das alles wieder abschafft –, sich für den mühseligen Weg entscheiden werden, weil er nämlich Ergebnisse bringt.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Noch drei Punkte, die mir wichtig sind. Ich achte auf die Zeit, Frau Präsidentin.
Wir haben auf die Ergebnisse des dritten Moduls der NORAH-Studie reagiert. Wir werden die angekündigten Schritte umsetzen und die Schulträger und Grundschulen dabei unterstützen, für ausreichend baulichen Schallschutz zu sorgen.
Wir sind beim Thema Regionalfonds dabei, die Anliegen der betroffenen Kommunen aufzugreifen und umzusetzen und für einen dauerhaften Lastenausgleich zu sorgen.
Wir sind übrigens auch beim Vollzug des Fluglärmschutzgesetzes dabei, vorhandene Defizite im Bundesrecht zugunsten der Betroffenen zu lösen bei der Abwicklung der Außenwohnbereichsentschädigungen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir arbeiten an der Lärmobergrenze.
Letzter Punkt. Derzeit wird am zweiten Maßnahmenpaket zum aktiven Schallschutz im Forum Flughafen und Region gearbeitet. Das soll spätestens 2017 durch das FFR verabschiedet sein und der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Auch da unterstützen wir die konzeptionellen Arbeiten innerhalb dieser vier Arbeitsgruppen in vielfältiger Form.
Das sind einige Beispiele, wo konkrete Politik im Rahmen des rechtlich Möglichen die Belastungen der Betroffenen reduziert. In diesem Sinne werden wir unsere Arbeit zum Fluglärmschutz fortsetzen, sowohl in Richtung Bund, aber nicht zuletzt auch ganz konkret den Kampf um jedes Dezibel weniger in unserer Region. Der wird am Ende erfolgreich sein, da bin ich mir sehr sicher. – Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Heike Habermann:
Vielen Dank.

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