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03.02.2016
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Förderung von Chancengleichheit in der frühkindlichen Bildung

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stellen zuerst einmal fest: Heute ist der zweite Teil des Überbietungswettbewerbs des linken Teils des Saals hier.

(Zurufe der Abg. Günter Schork (CDU) und Janine Wissler (DIE LINKE) – Zurufe von der SPD)

Dazu die Frage: Wer möchte eigentlich mehr Geld versprechen? Wo sitzen die Stimmungsbremsen, die die Partielaune vermiesen wollen? Das ist das, was Sie hier suggerieren wollen. Aber wir neigen mehr zu einer fachlich seriösen Diskussion, und die möchte ich jetzt beginnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der SPD)

Was sind die Herausforderungen bei der frühkindlichen Bildung aktuell? Herr Kollege Merz, auch für Sie gilt, was Sie hier schon oftmals gesagt haben: In diesem Land fehlen noch Betreuungsplätze im Bereich U 3, Ganztagskindergartenplätze und Grundschulplätze. – Gehen Sie, Herr Merz. So ist das nun einmal: Wenn man sich mit Argumenten nicht auseinandersetzen will, verlässt man den Saal. So viel zum Thema Auseinandersetzung mit den Argumenten. Auf Wiedersehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der SPD)

Es fehlt also bei der Quantität, und wir geben in diesem Land schon 425 Millionen Euro aus – damit man einmal eine Idee bekommt, was dieses Land eigentlich schon ausgibt.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Wir haben viel diskutiert. Herr Schäfer-Gümbel, Ihr Kollege, der jetzt einen Kaffee trinken gegangen ist, hat hier mehrfach betont, dass das KiföG verbessert werden muss. Das nennt man die Verbesserung von Qualität, Herr Kollege Schäfer-Gümbel.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Quantität und Qualität, das ist auch das, was wir als Herausforderung sehen, auch als Regierungskoalition. Wir haben eine wissenschaftliche Evaluation in Auftrag gegeben, die begleiten und beantworten soll, was am KiföG noch verbessert werden muss, was bei der frühkindlichen Bildung noch verbessert werden muss und wie es uns gelingt, höhere Qualität in den Kindergärten und bei der frühkindlichen Bildung zu garantieren. Ausbau, Quantität und Qualität sind die Herausforderungen dieser Stunde, und die müssen finanziert werden. So ist momentan die Linie.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das alles haben Sie übrigens auch mitgetragen. Herr Kollege Schäfer-Gümbel, jetzt kommen wir also zu der spannenden Frage: Geht es um Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in diesem Land? Wann sind Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit denn in diesem Land garantiert? – Wenn erstens alle Eltern, die ihn brauchen, tatsächlich einen Platz für Ihre Kinder finden, wenn zweitens Eltern, die einen Kinderbetreuungsplatz finden, dort eine Qualität vorfinden, die die Kinder tatsächlich fördert, und wenn drittens alle Eltern die Möglichkeit haben, diesen Kinderbetreuungsplatz zu finanzieren.

Ich wiederhole: Menschen, die Sozialhilfen empfangen, bekommen die wirtschaftliche Jugendhilfe. Die können also schon einmal nicht gemeint sein. Chancengleichheit besteht, weil Menschen mit ganz geringen Einkommen die wirtschaftliche Jugendhilfe bekommen und Menschen mit geringen Einkommen Hilfen durch gestaffelte Beiträge bekommen und auch in die Kindergärten gehen können. Also ist doch die Frage bezüglich der Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit die, ob ein Platz vorhanden ist, ob die Qualität vorhanden ist und ob die Beiträge so hoch sind, dass man sich die Teilhabe nicht leisten kann. Wir sagen, im Moment kann man immer Freibier versprechen. Das ist doch nicht unser Problem.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Aber unser Problem ist, dass wir in Hessen flächendeckend einen Ausbau der Infrastruktur eine gute Qualität gewährleisten. Das sind die Prioritätensetzungen der schwarz-grünen Koalition.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Jetzt kommen wir zu der anderen These. Herr Schäfer-Gümbel, wir wollen uns gern auch der Frage stellen, ob denn Beitragsfreiheit tatsächlich förderlich für die Teilhabe ist. Die Bundesländer Hamburg und Rehinland-Pfalz bedürfen in diesem Zusammenhang einer genaueren Betrachtung. Dort sehe ich, die Betreuungsanteile in Hamburg liegen bei den Drei- bis Fünfjährigen beitragsfrei bei 92,5 Prozent; Hessen hat 93 Prozent. Man kann ja wenigstens eine Minute lang darüber nachdenken, dass die Beitragsfreiheit jetzt nicht zu 101 Prozent geführt hat, sondern genauso hoch liegt wie in Hessen.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Zu Rheinland-Pfalz. Ich habe gesagt, wir liegen bei knapp 94 Prozent. Rheinland-Pfalz liegt hauchdünn über dem hessischen Anteil. So frage ich Sie: Ist die Beitragsfreiheit Indikator dafür, dass tatsächlich mehr Kinder in den Kindergarten geschickt werden?

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Offensichtlich lassen sich diese Zahlen zumindest nicht erhärten. Ich will ja sagen, dass es nach wie vor schön ist, wenn es Gebührenfreiheit gibt. Aber diese These, dass viele Menschen abwesend bleiben und ihre Kinder aufgrund von Gebührenfreiheit nicht in die Kindergärten schicken, lässt sich aufgrund dieser Zahlen des Statistischen Bundesamts nicht erhärten. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

Wenn man bei der Frage ist, warum das die SPD eigentlich jetzt macht: Nehmen Sie doch bitte meine Verwunderung zur Kenntnis. Dann kommt man vielleicht dem Thema ein bisschen näher. Ich habe hier die Haushaltsanträge der Sozialdemokratischen Fraktion vom November 2015.

(Michael Boddenberg (CDU): Ups!)

Wenn das so eine bildungspolitische Priorität für die Sozialdemokratie hat: Wo waren denn dann Ihre Haushaltsanträge von 63 Millionen Euro? Herr Kollege, wo ist er denn? Wo waren denn ihre Anträge? Komisch: Die gab es nicht. Gut, das kann man einmal vergessen. Das kommt vor.

(Zurufe der Abg. Norbert Schmitt (SPD), Willi van Ooyen (DIE LINKE) und Michael Boddenberg (CDU) – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Glockenzeichen der Präsidentin)

Da war ja alles andere wichtiger: die Beamtengehälter, der Straßenbau.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe der Abg. Nancy Faeser (SPD), Janine Wissler (DIE LINKE) und Michael Boddenberg (CDU))

Gut, man kann sagen, in der Vorweihnachtszeit hat man viel zu tun. Aber ich habe hier einen Artikel – Herr Kollege Boddenberg, wir müssen da auch genau bleiben – vom 28. Januar mit dem Titel „Erstmals seit 1969 ein Plus im Haushalt“. Darin erzählt der Finanzminister – so kennen wir ihn –, was wir da an zusätzlichen Mitteln haben.

Was macht aber der Fraktionsvorsitzende der SPD, Schäfer-Gümbel? – Er sagt: Das bietet doch auch mehr Spielraum für höhere Investitionen. Notwendig sei was? – Höhere Ausgaben für Straßen, energetische Sanierung von Häusern und digitale Infrastruktur. Wo ist da denn bitte die Beitragsfreiheit für Kindergärten?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Gut. Dann merken wir, es geht um den Länderfinanzausgleich. Wir reden also über ein ungelegtes Ei, vermutlich 600 Millionen Euro. Da kann ich Ihnen nur sagen: Was machen eigentlich die genauen Berechnungen? Wir haben 240.000 Betreuungsplätze in Hessen. Der durchschnittliche Elternbeitrag liegt bei 2.800 Euro. Multipliziert man das – das hat der Minister gestern bestätigt –, kommen wir in der Endausbaustufe auf 800 Millionen Euro, die die Beitragsfreiheit in Hessen bedeuten würden.

Ich betone noch einmal: Wir GRÜNE haben immer gesagt, es ist ein Dreiklang, ein Dreischritt, der zu gehen ist: Ausbau, Quantität, Qualität. Dann können wir sicher auch über eine Reduzierung der Elternbeiträge reden, aber die Herausforderungen sind zunächst andere. Aber meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist doch unseriös bis ins Mark: Bevor überhaupt feststeht, wie hoch der Länderfinanzausgleich ist, zu fordern und als Versprechen hinaus zu kloppen, schon im Jahr 2015 oder im Jahr 2016 zu sagen, was 2020 verausgabt wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Nun hat man gemerkt: Hoppla, das ist tatsächlich so. Wir können nicht erst 2019 eine Pressekonferenz machen. Bis dann ist es etwas lange hin; wir haben nämlich in 6 Wochen Kommunalwahlen. – Was macht man nun? Da drängt sich doch auf, wenigstens schon eine kleine Scheibe der Wurst ins Fenster zu hängen und zu sagen: Wir wollen es wenigstens schrittweise.

Das ist natürlich ein durchschaubares Manöver. Es ist legitim. Aber ich glaube auch, es wird der Verantwortung einer großen Volkspartei nicht ganz gerecht, weil Sie Versprechungen erwecken, von denen Sie genau wissen, dass man sie am Ende des Tages nicht einhalten können wird.

Wir werden viele Herausforderungen in den nächsten Jahren haben. Ich klammere da explizit das Thema Flüchtlinge aus. Wir werden die Herausforderungen haben, wie wir die Universitäten und die Infrastruktur ausbauen. Wir stehen vor der Frage, wie wir die Ganztagsschulen und die Inklusion weiter ausbauen werden. Wir werden auch bei dem KiföG sicherlich über Nachbesserungen reden müssen. Wir werden garantiert auch über Infrastruktur und Straßenbau reden müssen.

Im Jahr 2019 werden wir dann, wenn wir wissen, wie hoch die Einnahmen sind, alles auf einen Tisch legen. Dann werden alle Interessenvertreter in diesem Saal sagen, ich kämpfe für Beitragsfreiheit, für bessere Qualität und bessere Schulen. Genau das wird dann passieren – aber genau dann, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, nämlich im Jahr 2019. Das wäre seriös.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Jetzt kommen wir noch einmal zu der Frage, ob man in dieser Stunde Beitragsfreiheit tatsächlich als Voraussetzung für Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit bezeichnen kann. Ich bin der festen Überzeugung – auch meine Fraktion ist das –, dass wir tatsächlich an vielen Ecken noch eine ganze Menge Arbeit haben.

Der Vergleich zu Schulen und Hochschulen – ich weiß gar nicht, wie man ihn beschreiben kann – ist wahrlich schon kein Hinken mehr, das ist schon ein Robben; Sie wissen genau, dass wir in den Schulen seit mindestens 70 Jahren den Aufbau einer Infrastruktur und die Verbesserung der Qualität verwirklichen und das mit Universitäten überhaupt nicht vergleichbar ist, weil Sie wissen, dass wir eigentlich erst seit 20 Jahren die Kinderbetreuungspolitik seriös und gesetzlich weiterentwickeln. Sie wissen auch, dass wir da Nachholbedarf haben.

Deshalb darf es keine Gegeneinanderstellung in der Frage sein, wollen wir Gebührenfreiheit in Schule, Hochschule und dann auch in Kindergärten? – Ja, die wollen wir. Aber wir müssen, wenn wir seriös und glaubwürdig sein wollen, erst die Augenhöhe der Kinderbetreuung zu Schulen und Hochschulen bei der Quantität und bei der Qualität herstellen. Daran arbeiten wir. Das ist eine seriöse und glaubwürdige Finanzpolitik, eine glaubwürdige Prioritätensetzung.

Was Sie vor der Kommunalwahl machen, ist verantwortungslos; Sie spucken einmal mehr Versprechen aus, die Sie am Ende des Tages nicht halten können. Das ist verantwortungslos. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Vielen Dank.

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