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24.09.2015

Ursula Hammann: Tierschutz stärker in Forschung und Lehre verankern

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sehr froh, dass ich heute zum Antrag „Tierschutz stärker in Forschung und Lehre verankern“ sprechen kann. Ich denke, Sie sehen mir das auch an.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Seit vielen Jahren verfolgen wir Grünen die Entwicklung der Tierversuchszahlen mit Sorge. Die Anzahl der verbrauchten Tiere in Tierversuchen an den hessischen Universitäten stieg seit dem Jahr 2000 von 28.818 auf 50.276 im Jahr 2014. Dies stellt für diese Zeitspanne fast eine Verdoppelung dar. Für uns Grüne ist es eine ethische Verpflichtung, sich für den Schutz der Tiere um ihrer selbst Willen einzusetzen. Wir sehen es als notwendig an, dass Maßnahmen mit dem Ziel, Tierversuche überflüssig zu machen, erforscht werden. Ich bin sehr froh, dass wir uns mit unserem Koalitionspartner geeinigt haben und dass wir ein gemeinsames Ziel haben. Wir sind uns einig: Die Tierversuche sollen deutlich reduziert werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Daher haben wir auch in der Koalitionsvereinbarung nicht nur beschlossen, eine Stiftungsprofessur für das sogenannte 3-R-Verfahren einzurichten, sondern auch die Verankerung der 3-R-Prinzipien bei den Forschungseinrichtungen durch das neue Hessische Hochschulgesetz. Für die, die es nicht wissen: Was bedeuten die „3 R“? Das bedeutet Replacement – dies bezeichnet den Ersatz von Tierversuchen –, Reduction – das bedeutet Verringerung von Tierversuchen –, und Refinement – das beinhaltet nichts anderes als die Verfeinerung von Versuchen und führt somit zu weniger belastenden Versuchen bei den Tieren.

Meine Damen und Herren, ich bin sehr stolz darauf, dass Hessen die Anliegen des Tierschutzes in der Hochschulpolitik verwirklicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Es ist nicht nur gelungen, eine Stiftungsprofessur auf den Weg zu bringen, sondern es wurden sogar zwei Stiftungsprofessuren geschaffen. Ich finde, das ist eine Leistung, die man anerkennen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Es gibt nicht nur zwei Stiftungsprofessuren, sondern zusätzlich erfolgt auch die Wiederbesetzung einer Professur für den Tierschutz an der veterinärmedizinischen Fakultät der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Damit wird ein von uns Grünen lang verfolgtes Ziel verwirklicht. Wir freuen uns sehr, dass Wissenschaftsminister Boris Rhein die Einrichtung einer entsprechenden Professur an der Goethe-Universität Frankfurt und einer Juniorprofessur an der Liebig-Universität Gießen bekannt gegeben hat und – das ist wichtig – die entsprechenden Bewilligungsbescheide auch übergeben hat.

Eine der Professuren ist für die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden vorgesehen, um neue Wirkstoffe zu prüfen. Sie wird in der Goethe-Universität Frankfurt künftig zur Reduktion von Tierversuchen beitragen können. Die andere Professur in Gießen sowie die neubesetzte Professur für den Tierschutz werden sich sowohl mit der Leidensreduktion von Tierversuchen als auch mit tierversuchsfreien Methoden beschäftigen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dies ist ein bedeutender Fortschritt für den Tierschutz. Er wird dazu führen, dass die Tierversuche in Hessen deutlich reduziert werden können. Es kann auch ein Signal an andere Bundesländer ausgehen, um deutlich zu machen, welche Möglichkeiten bestehen, alternative Verfahren zu erforschen und einzusetzen, um dann auch die Not und das Tierleid nach unten zu drücken und Tierversuche zu reduzieren. Vielleicht schaffen wir es auch irgendwann einmal, ganz auf die Tierversuche zu verzichten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Uns ist klar, dass es eine Vielzahl von Tierversuchen gibt, die gesetzlich vorgeschrieben sind. Dazu zählt die gesamte Palette der Giftigkeitsprüfungen für neue Chemikalien sowie auch die Arzneimittelprüfungen. Es gibt die Tierversuche, die in den Bereichen der Diagnostik, der Ausbildung, der Grundlagenforschung und der Arzneimittelentwicklung vorgenommen werden.

Es ist jedoch auch erkennbar, dass Tierversuche oft eine falsche Sicherheit bedeuten können: Es ist erwiesen, dass viele im Tierversuch getestete Medikamente im späteren klinischen Einsatz die Unbedenklichkeit nicht bestätigen, die sich zuerst durch den Tierversuch ergeben hatte. So wurden und werden – das ist Ihnen auch bekannt – immer wieder noch Medikamente vom Markt genommen, da Menschen durch sie gesundheitlich geschädigt wurden. Also: Ihnen wurde nicht geholfen, sondern es trat sogar noch ein gesundheitlicher Schaden ein.

Die Liste dieser Medikamente mit gesundheitlicher Schädigung ist sehr lang. Wer sich dafür interessiert: Es gibt eine Ausführung dazu. Ich war, als ich mich mit diesem Thema auseinandergesetzt habe, selbst darüber erstaunt, wie viele Medikamente wieder vom Markt genommen werden mussten, weil sie eben nicht die Wirkung erbracht hatten, die man sich von ihnen erhofft hatte. Besonders bekannt geworden ist zum Beispiel Contergan – das liegt schon eine Weile zurück. Aber in der neueren Zeit waren es Trasylol, Vioxx und auch Lipobay. So wurde Lipobay als Cholesterinsenker im Tierversuch getestet und als sicher befunden. Es gab vorher zahlreiche Tierversuche. Beim Menschen führte dieses Medikament jedoch zu Muskelzerstörung und zu Todesfällen.

Selbst Erkenntnisse oder Ergebnisse aus klinischen Studien, die meist an Menschen mittleren Alters vorgenommen werden, zeigen bereits, dass sie nicht auf Kinder oder alte Menschen übertragbar sind. Wenn schon die Übertragungen der Ergebnisse anhand eines Menschen auf einen anderen Menschen aufgrund von Alters- und geschlechtsspezifischen Unterschieden problematisch sind, besteht zu Recht die Frage: Wie sollen dann Ergebnisse anhand von Ratten und Fischen Sicherheit schaffen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

Der Mensch unterscheidet sich nun einmal von den verschiedenen Tierarten – hinsichtlich des Körperbaus, der Organfunktion und des Stoffwechselprozesses von Substanzen. Die Erkenntnisse aus einem Tierversuch sind daher – das muss ich betonen – immer mit einem Risiko behaftet. Ein Tier ist nun einmal kein Mensch. Daher können die Ergebnisse niemals eine hundertprozentige Sicherheit für den Menschen beinhalten.

Aber was wir brauchen, sind sichere Medikamente. Dafür brauchen wir verlässliche und für den Menschen relevante Forschungsergebnisse. Schon seit Längerem greift auch die Erkenntnis, dass Studien über Zell- und Gewebekulturen gegenüber Tierversuchen betrachtet zuverlässige, gut reproduzierbare und eindeutige Ergebnisse bringen können.

Es ist auch feststellbar, dass In-Vitro-Systeme nicht nur schnelle Ergebnisse bringen, sondern oftmals auch wesentlich empfindlicher auf giftige Einflüsse reagieren, als z. B. die Versuchstiere. Als Beispiel nenne ich den Episkin-Test mit künstlicher menschlicher Haut, der zur Bestimmung der Ätzwirkung von Chemikalien auf der Haut eingesetzt wurde.

Dieser Test, meine sehr geehrten Damen und Herren, wurde sonst an Kaninchen und Meerschweinchen vorgenommen. Oder der Transformationstest, der eine Prüfung auf Tumorbildung mit permanenten Zelllinien beinhaltet. Dieser Test ersetzt die Verabreichung von Substanzen bei Ratten und Mäusen und dies über einen längeren Zeitraum. Ich sage aber auch ganz deutlich: Der Kostenfaktor spielt natürlich auch eine Rolle, gerade bei den Versuchstieren. Wenn sich die tierversuchsfreien Verfahren erst einmal etabliert haben, sind sie, und das ist die Erkenntnis von vielen, wesentlich kostengünstiger als Versuche mit Tieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen alles daransetzen, dass dieser Weg zu einer Forschung mit sicheren Erkenntnissen und ohne Tierleid führt. Diesen Weg wollen wir in Hessen mit den 3-R-Stiftungsprofessuren begehen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Vizepräsident Wolfgang Greilich:

Vielen Dank, Frau Kollegin Hammann.

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